SWR2 DIE BUCHKRITIK

SWR2 MANUSKRIPT
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SWR2 DIE BUCHKRITIK
Shida Bazyar: „Nachts ist es leise in Teheran“
Verlag Kiepenheuer und Witsch
288 Seiten
19,99 Euro
Rezension von Moritz Holler
Mittwoch, 06.04.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Flucht, Vertreibung, Neuanfang, das sind die großen Themen der Stunde. In ihrem
Debütroman "Nachts ist es leise in Teheran" beschreibt die 1988 im rheinland-pfälzischen
Hermeskeil geborene Shida Bazyar die Geschichte einer iranischen Familie, die 1979
flieht, und ein neues Leben in Deutschland beginnt. Im Abstand von je einem Jahrzehnt
erzählen Vater, Mutter und zwei der Kinder jeweils von ihrem Blick auf die
Familiengeschichte. So entsteht ein vielschichtiges und emotional dichtes Familienmosaik,
meint Moritz Holler und empfiehlt die Lektüre.
In ihrem kraftvollen Debütroman begleitet Shida Bazyar die iranische Familie Hedayat
über 40 Jahre hinweg. Alles beginnt im Jahr 1979 in Teheran. Behsad Hedayat ist
Sprecher der kommunistischen Bewegung im Iran. Mit den starken religiösen Kräften
vereint die Kommunisten bis zur Revolution der Kampf gegen ausländische Einmischung
in iranische Angelegenheiten und für soziale Gerechtigkeit. Doch seitdem der Schah ins
Ausland geflüchtet und der Ayatollah zurückgekehrt ist, mehren sich die Anzeichen für
einen autoritären Gottesstaat.
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Äußerst packend berichtet Bazyar zunächst aus dem Leben des Revolutionärs Behsad.
Sie ist eine mitreißende Erzählerin, die die Straßen Teherans, die Innenhöfe und Märkte,
die Universität, die konspirativen Treffen der Kommunisten und die
Familienzusammenkünfte in vielen Farben, Geräuschen und Gerüchen zum Leben
erweckt. Behsad verliebt sich unsterblich in die literaturbegeisterte Nahid, ebenfalls
Kommunistin. Die beiden werden ein Paar und heiraten. Doch der Kampf um die Macht im
Land ist verloren. Als die kommunistische Führung verhaftet wird, flüchten Behsad und
Nahid mit ihren zwei kleinen Kindern, Laleh und Morad, über die Türkei in die
Bundesrepublik Deutschland. Man hofft, nur kurzzeitig bleiben zu müssen. Doch der
Optimismus ist rasch aufgebraucht und die verhaltene deutsche Mentalität befremdet sie.
Andere iranische Familien bieten wenig Trost, denn es sind Bürgerliche, die bereits vor der
Revolution geflüchtet sind. Aus der alten Heimat erreichen die mittlerweile fünfköpfige
Familie manchmal Pakete voll duftender Lebensmittel oder schlechte Nachrichten über
Verhaftungen oder Exekutionen.
Aus dem deutschen Exil berichtet nicht mehr Behsad, sondern Ehefrau Nahid. „Nachts ist
es leise in Teheran“ besteht aus vier Kapiteln und einem Epilog. In jedem der Abschnitte
wechselt die Autorin die erzählende Figur und macht dabei zugleich Zehn-Jahres-Sprünge
in Richtung Gegenwart. 1979 berichtet Behsad, 1989 Nahid, 1999 Tochter Laleh und 2009
Sohn Morad. Das Buch endet mit einem kurzen Epilog der jüngsten Tochter Tara.
Dies macht Bazyars Erstlingswerk zu einem vielschichtigen Buch. Darin gibt sie nicht nur
die Erfahrungen von fünf Menschen auf berührende Weise wieder, sondern setzt sich
auch mit der Weitergabe von Erinnerungen und Werten in einer Familie auseinander.
Jedes Kapitel unterscheidet sich in Klang und Erzählhaltung, doch es gibt auch Parallelen.
Sie alle sind durch eine mehr oder weniger jugendliche Sichtweise geprägt dementsprechend kategorisch fällt da manches Urteil aus. Gelegentlich stoßen vehemente
Pauschalisierungen der Figuren den Leser etwas vor den Kopf. Doch mangelhafte
deutsche Bereitschaft zur Integrierung von Einwanderern sowie geringe Empathie, auch
bei Menschen, die sich als politisch links bezeichnen würden, sind deutsche
Mentalitätsprobleme, die Shida Bazyar in ihrem Roman zur Sprache bringt. Dabei hält sich
mit plakativen Aussagen zurück. Sie will weder belehren noch überzeugen, sondern lässt
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die unterschiedlichen Stimmen in einen eher nachdenklich-melancholischen Erzählfluss
münden. Für scharfe Urteile ist bei der Komplexität ihres Familienpanoramas kein Platz.
Die Kinder setzen sich auch kritisch mit ihren eigenen Eltern auseinander, und man erlebt
die Protagonisten früherer Kapitel aus anderer Perspektive. Behsad etwa, einst ein
entschlossener junger Mann, wird mit der Zeit schwermütig und unnahbar. Die Autorin
zeigt, was das Exil aus Menschen machen kann. Die Eltern werden sprachlos und erleben
ihre Entwurzelung als Trauma. Dies geben sie an ihre Kinder weiter, die sich selbst
müheloser in das neue Leben einfinden: Laleh wird Architektin, Tara feministische
Aktivistin, Morad studiert Geographie. Auch wenn sie immer wieder an ihre Herkunft und
Andersartigkeit erinnert werden und sporadische Iranbesuche sehr emotional sind, ist eher
Deutschland ihr Zuhause.
„Nachts ist es leise in Teheran“ ist ein stürmisches und zugleich reflektiertes Romandebüt
über Emigration, Identität und das Leben zwischen zwei Welten – ein Buch voll Poesie,
Verzweiflung und Lebensbejahung.
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