SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Marceline Loridan-Ivens mit Judith Perrignon: Und du bist nicht zurückgekommen Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer Insel Verlag, Berlin 2015 112 Seiten 15 Euro Rezension von Ulrich Rüdenauer Freitag, 18.03.2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Als 15-Jährige wurde Marceline Loridan-Ivens zusammen mit ihrem Vater aus Frankreich deportiert. Sie überlebte mehrere Vernichtungslager. Ihr Vater wurde umgebracht. Ihr Buch "Und du bist nicht zurückgekommen", das sie zusammen mit der Journalistin Judith Perrignon verfasst hat, ist ein Brief an den Vater, 70 Jahre nachdem die beiden auf grausame Weise voneinander getrennt wurden. Ein literarisches Meisterwerk und ein bedrückendes Zeugnis, findet Ulrich Rüdenauer. Marceline Loridan-Ivens ist aus der Hölle zurückgekehrt, und doch ist sie nie mehr ganz in der Welt angekommen. Sie hat das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau überlebt. Ihr Vater, mit dem zusammen sie aus Frankreich deportiert worden ist, starb nur wenige Kilometer entfernt von ihr in Auschwitz. Auschwitz-Birkenau – zwei Orte, zwei Worte, unverbrüchlich miteinander verbunden, unauflösbar verknüpft mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Vom einen Lagerkomplex in den anderen einen Brief zu schmuggeln, muss wagemutig und schier unmöglich gewesen sein. Aber ein solcher Brief des Vaters hatte die Tochter im Jahr 1944 erreicht. An die wenigen Sätze, die auf dem Zettel standen, kann sie sich nicht mehr erinnern. Sie sind unwiderruflich in ihr verschollen. Eine Antwort konnte sie dem Vater nicht überbringen lassen, es gab weder Stift oder Papier noch einen Boten; Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT „die Dinge“, schreibt die heute 87-jährige Marceline Loridan-Ivens, „hatten unser Leben verlassen“. Ihr Buch, das sie mit der Co-Autorin Judith Perrignon verfasst hat, ist eine verspätete Erwiderung, eine Botschaft der Überlebenden an den Getöteten, mit dem sie in all den seither vergangenen Jahrzehnten nie aufgehört hat in Gedanken zu sprechen. Und dieses Buch ist auch eine Nachricht an die Nachgeborenen, die bewegende Geschichte einer Frau, die Unfassliches erfahren hat und mit ihren Erfahrungen weiterleben musste. „Du wirst vielleicht zurückkommen, weil du jung bist, aber ich werde nicht zurückkommen“, hatte der Vater zu ihr gesagt, als die beiden in einem Zug über Marseille und Drancy nach Auschwitz-Birkenau verbracht wurden. „Und du bist nicht zurückgekommen“, heißt das schmale Erinnerungsbuch von Marceline Loridan-Ivens, das in Frankreich im Frühjahr große Aufmerksamkeit erregte. Der Titel, das darf man nach der Lektüre sagen, bezieht sich nicht alleine auf den Vater, sondern ebenso sehr auf die Autorin selbst: Auch sie ist nie ganz aus dem Lager zurückgekehrt. Jeder Bezugspunkt zur Welt, schreibt sie einmal, sei verloren gegangen. Zitat: „Meine Rückkehr ist Synonym für deine Abwesenheit.“ Marceline Loridan-Ivens, 1928 geboren, ist Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin. Mit ihrem zweiten Mann Joris Ivens, der 1989 starb, hat sie zahlreiche Dokumentarfilme gedreht. Eine erfolgreiche Frau, deren Innenleben von diesem öffentlichen Dasein abgekoppelt war. Es gab nach dem Holocaust kein Zuhause mehr; über ihre Erlebnisse konnte sie nie richtig sprechen: In der Nachkriegszeit sollte so schnell wie möglich wieder Normalität herrschen. Die entstandene Leere musste ausgefüllt werden. Die Juden, die im Lager waren, und jene, die andernorts überlebt hatten, existierten in unterschiedlichen Welten. Die Erinnerungen waren nicht teilbar. Auch davon erzählt Loridan-Ivens – von Gefühlen und Ängsten, die keinen Widerhall finden konnten, nicht einmal in der eigenen Familie, wo unhörbar um Hilfe gerufen wurde. Auch hier fehlte der Vater – „wir wären zwei gewesen, die wussten“, schreibt sie. Ihre Geschwister wählten den Freitod. Die auf den Arm tätowierte Lagernummer ist das äußerliche Zeichen für dieses Verlorensein, für die Scham auch, von der viele ehemalige Gefangene heimgesucht wurden – überlebt zu haben, während so viele andere zurückbleiben mussten. Und gleichzeitig spricht aus Loridan-Ivens Aufzeichnungen das tiefe Bedürfnis, alles Grausame und Zwiespältige und nicht zu Bewältigende aufzuschreiben. Man denkt zuweilen an die Erzählungen jener Menschen aus den Todeslagern, die Claude Lanzmann für seinen Film „Shoah“ interviewt hat. Fast kathartisch wirkten diese Gespräche, ein schmerzhafter Prozess des Zeugnisablegens. Ein solch schmerzhaftes Zeugnis ist auch Marceline Loridan-Ivens Buch, das am Ende von der Gegenwart spricht und von der furchtbaren Erkenntnis, dass der Antisemitismus eben doch eine feste Größe sei, der in immer wieder neuen Wellen heranrollt. Man muss ihr wohl recht geben: Auch in diesem Land, das für das größte Verbrechen der Menschheit verantwortlich ist, sprechen Antisemiten, NeoNazis und Rassisten wieder offen auf Kundgebungen und in Fernsehsendungen. Das Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Traurige ist, dass auch die Lektüre eines Buches wie das von Marceline Loridan-Ivens sie in ihrer blinden Wut kaum irritieren würde. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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