SWR2 DIE BUCHKRITIK

SWR2 MANUSKRIPT
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SWR2 DIE BUCHKRITIK
Charlotte Brontë: „Der Professor“
aus dem Englischen von Gottfried Röckelein
ars vivendi
312 Seiten
14,99 Euro
Rezension von Angela Gutzeit
Donnerstag, 21.04.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Von den drei schreibenden Töchtern des Pfarrers Patrick Brontë war die 1816 in
Yorkshire geborene Charlotte die einzige, der noch zu Lebzeiten mit ihren Romanen
Ruhm beschieden war. Als die britische Autorin 1855 starb, hinterließ sie einen bis
dahin unveröffentlichten Roman, ihr Debüt: „Der Professor“. Die Lebensgeschichte
eines Selfmademans liegt nun zum 200. Geburtstag Charlotte Brontës in
Neubearbeitung vor. Angela Gutzeit stellt den Roman vor.
Charlotte Brontës erstem Roman „Der Professor“ war kein Glück beschieden.
Zunächst von den Verlagen zurückgewiesen, erschien er dann doch, aber erst 1857,
zwei Jahre nach ihrem frühen Tod. Die Kritiker reagierten ablehnend. Man
bewertete dieses Debüt als Fingerübung für ihre großen Erfolgsromane „Jane Eyre“,
„Shirley“ und „Villette“. Brontë hatte auf ihre Kritiker noch selbst reagiert und den
„Professor“ mit einem Vorwort versehen. Darin verteidigt sie unter ihrem
Pseudonym Currer Bell die Mühen der Ebenen, die sie ihren Helden William
Crimsworth auf seinem Lebensweg durchqueren lässt, mit folgenden Worten: „Ich
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hatte mir vorgenommen, dass sich mein Romanheld so durchs Leben kämpfen
sollte, wie ich erlebt hatte, dass es Männer in der Wirklichkeit taten.“
Der Roman ist sicherlich von Konstruktion und Plot her gesehen Charlotte Brontës
schwächster. Und trotzdem war die Entscheidung des Verlags ars vivendi, dieses
Buch 1990 dem deutschsprachigen Leser zugänglich zu machen und nun zum 200.
Geburtstag der Autorin in leicht aufgefrischter Übertragung desselben Übersetzers,
Gottfried Röckelein, erneut zu veröffentlichen, eine gute Tat. Denn im „Professor“
sind bereits alle wichtigen Motive angelegt, die Charlotte Brontë in ihren
nachfolgenden Romanen weiterführen und virtuos entfalten sollte. Zum Beispiel
eben dieses Motiv des Sichbewährens auch unter widrigsten Umständen – so wie
Brontë es für ihren männlichen Helden William Crimsworth im Vorwort formulierte.
Und so steht der Start ins Leben dieses William Crimsworth zunächst unter keinem
guten Stern. Er ist verwaist - auch ein wiederkehrendes Brontë-Motiv –, will aber das
Angebot seiner adligen Verwandtschaft, ihn mit einer seiner oberflächlichen
Cousinen zu verheiraten und die Pfarrerslaufbahn einzuschlagen, nicht annehmen.
Da er sich unbedingt von diesem ungeliebten Familienzweig emanzipieren will,
wendet sich William an seinen älteren Bruder Edward, der es mit einem
angeheirateten Firmenbesitz zu Reichtum gebracht hat. Dieser Bruder gibt ihm zwar
eine Arbeit im Büro, lässt aber keine Gelegenheit zu seiner Demütigung aus. Unter
diesen Umständen muss Williams Versuch scheitern, seinen Unterhalt als Kaufmann
zu bestreiten.
Die Haupthandlung ist das noch nicht, sondern eine Art Vorspiel, zusammengefasst
in einem Brief des Helden an seinen Freund Charles. Auf diesen Brief hat er nie eine
Antwort erhalten. Aber da Crimsworth das Bedürfnis hat, seine weitere
Lebensgeschichte zu erzählen, wendet er sich im Folgenden an ein „allgemeines
Publikum“, das er auch immer wieder anspricht. William findet in Brüssel eine
Anstellung in einer katholischen Lehranstalt für Jungen, unterrichtet dann aber auch
im benachbarten Mädchenpensionat. Dort erwärmt er sich für dessen attraktive
Leiterin Mademoiselle Reuter, entdeckt jedoch ihren verschlagenen Charakter und
verliebt sich schließlich in die Hilfslehrerin Frances Henri, die bei ihm
Englischstunden nimmt. Wie er ist sie eine Waise, äußerlich unscheinbar, dafür aber
ehrgeizig, nach Unabhängigkeit und nach moralischer Integrität strebend. Wie
William ist Jane protestantischen Glaubens und leidet wie er unter dem bigotten
katholischen Erziehungssystem.
Das sind wesentliche Ingredienzien, die Charlotte Brontë ihrem eigenen Leben
entnommen hat: Die Zeit als Erzieherin an einem katholischen Lehrinstitut in
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Brüssel, ihre allerdings unerwiderte Liebe zum verheirateten Institutsleiter und
Lehrer sowie ihr Leiden an ihrem minderen sozialen Status und unattraktiven
Äußeren. Aber eine reine Spiegelung ihrer eigenen Erlebnisse und Situation in
Brüssel ist das keineswegs. Das Interessante an diesem Roman ist so auch nicht das
Biografische, sondern die kritische Sicht seiner Autorin auf Sitten, Abgründe und
Verdrängungen ihrer Zeit, der viktorianischen Ära. Das macht das Buch in der klugbehutsamen Übersetzung von Gottfried Röckelein lesenswert - trotz seiner allzu
schematischen Kontraste, seiner schwülstig geratenden Liebesgeschichte und der
weitschweifigen Reflexionen seines Helden, des „Professors“ William Crimsworth.
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