Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Ralph und Stefan Heidenreich: Forderungen
Merve Verlag
12 Euro
Rezension von Barbara Eisenmann
Donnerstag, 17.03.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
SWR2 MANUSKRIPT
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten
Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung
bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR
Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?
Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen
Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen.
Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen
Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.
Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
2008 haben die Brüder Ralph und Stefan Heidenreich mit ihrem Buch "Mehr Geld" auf 150
Seiten eine kluge, freilich nicht unumstrittene Analyse des Finanzkapitalismus vorgelegt,
und dessen auf Pump basierende Zusammenhänge erhellt. Ralph ist Programmierer und
Stadtrat der Linken in Biberach an der Riss, Stefan, der jüngere der beiden, lebt in Berlin
und ist Kulturwissenschaftler. Nun ist ein seit längerem schon angekündigter Folgeband im
Merve Verlag erschienen. "Forderungen" heißt er, und Barbara Eisenmann weiß, was
davon zu halten ist.
Wenn die Brüder Ralph und Stefan Heidenreich davon sprechen, dass die wertvollsten
Rohstoffe heute Kredite und Daten seien, dann stutzt man zunächst, versteht aber nach
der Lektüre ihres neuen Buches „Forderungen“, dass sie das politisch-ökonomische
System der Gegenwart damit ganz wunderbar auf den Punkt gebracht haben.
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
SWR2 MANUSKRIPT
Zunächst einmal rekapitulieren die Autoren, wie das nach dem 2.Weltkrieg arrangierte
Machtverhältnis von Kapital und Staat, das in den westlichen Industrienationen eine Weile
Wohlstand für alle produzierte, seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts
allmählich von einem neuen Verhältnis abgelöst wurde. Ein Verhältnis, das sich als
Machttransfer von der Seite des Staats hin zur Seite der Wirtschaft beschreiben lässt. Die
Wirtschaft ist in dieser neuen Phase des Kapitalismus eine, in der die Profite nicht mehr in
erster Linie aus der Produktion stammen. Denn die Vermehrung des Geldes geschieht
jetzt vorwiegend in der Finanzsphäre selbst, ohne den Umweg über die Produktion. Geld
entsteht über Kredite. Und durch immer raffiniertere, an Kredite angedockte
Finanzprodukte wie Kreditversicherungen, Wetten auf Kredite, Wetten auf
Kreditversicherungen werden Schulden inzwischen in immer mehr Geld verwandelt.
Wobei die Schulden der einen die Vermögen der anderen sind. Die Staaten haben in
diesem Prozess ihr Geldschöpfungsmonopol an die Finanzindustrie abgegeben, die jetzt
eben selbst immer mehr Geld qua Kredit schöpft. Auch nach der Krise von 2008 hat sich
an diesem Modell nichts geändert. Man liest das alles in seinen finanztechnischen und
finanzpolitischen Details besser bei den Heidenreich-Brüdern selber nach, die die neue
Konstellation dicht und kompakt und dennoch in all ihrer Komplexität pointiert darstellen.
Neben den Herren des Geldes hat man es nun auch mit den Herren der Daten zu tun.
Beide sind nicht demokratisch gewählt. Bei den Datensammlern handelt es sich neben
Privatkonzernen um die Geheimdienste, die nur mehr formell der Staatssphäre
angehören. Weder die Geheimdienste noch das Finanzwesen halten sich bei ihren
Aktivitäten an geltendes Recht. Und die Staaten, so die Heidenreichs, sind bloß mehr
Anhängsel der beiden global vernetzten Machtgebilde, also den im Verbund operierenden
Geheimdiensten und den Finanzmärkten. Den Regierungen blieben so nur mehr zwei
Aufgaben: Angebote für Investoren zu entwickeln und den Leuten bereits getroffene
Entscheidungen als eigene Wahl zu verkaufen.
Was tun gegen dieses Regime der globalen Finanzmärkte, gegen das, wie die
Heidenreichs sagen, keine Revolution helfen kann. Der revolutionäre Druck sei zwar da,
aber das dazugehörende Subjekt fehle. Und so suchen die Autoren revolutionäres
Potential in den drei großen Verwaltungen: der des Staates, der der Finanzen und der der
digitalen Netzwerke. Drei utopische Möglichkeiten machen sie dort aus; die ersten beiden
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
SWR2 MANUSKRIPT
haben allerdings wenig Utopisches, wenn Utopie tatsächlich eine andere
Gesellschaftsordnung meint.
Sie lauten: Arbeit für alle und Grundeinkommen, und scheiden auch beide aus. Nur die
dritte, eine Ökonomie ohne Geld, wird weiterverfolgt und ist auch die einzige, die das Zeug
zur Utopie hätte. Weil, so das Argument, Ökonomie als Verteilung von Arbeit und Waren
sich als Netzwerkproblem beschreiben lässt und weil heute genügend Daten und vor allem
Datenverarbeitungskapazitäten vorhanden sind, könnte diese Verteilung auch
algorithmisch bewerkstelligt werden; das Medium Geld würde dafür nicht mehr gebraucht.
Eine geldlose Wirtschaft wäre, so gesehen, eine Art algorithmisch erzeugter
Kommunismus. Denn ohne Geld gäbe es weder Eigentum noch Tausch, nur
Transaktionen, die der Idee von Karl Marx folgten: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem
nach seinen Bedürfnissen.“
Als Kritiker der politischen Ökonomie sind die Brüder brillant, zumal sie die Dinge ziemlich
präzise auf den Punkt bringen, wenn es aber um Auswege geht, scheinen ihre Phantasien
gefangen in einem technischen Imaginären. Vielleicht weil die beiden zu sehr als Nerds
denken, und nicht als Aktivisten, und so hat man das Gefühl, dass der Heidenreich´schen
Einbildungskraft, wenn es um das Neudenken von politischer Subjektivität und politischer
Organisation geht, die dafür nötige Puste fehlt.
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.