SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Alvydas Slepikas: „Mein Name ist Maryte“ Aus dem Litauischen von Markus Roduner Mit Illustrationen von Helmut Stabe Mitteldeutscher Verlag 19,95 Euro Rezension von Gisela Erbslöh Dienstag, 22.03.2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de In Litauen wurden sie Wolfskinder genannt. Sie waren deutscher Herkunft, hatten um das Kriegsende herum ihre Mütter verloren und schlugen sich im strengen Winter 1946 allein aus dem verwüsteten Ostpreußen ins Nachbarland durch. Manche wurden von der Bevölkerung aufgenommen, andere als "Faschisten-Brut" gejagt. Mehr als 60 Jahre später sprach der litauische Autor und Lyriker Alvydas Slepikas mit ehemaligen Wolfskindern und verarbeitete ihre Geschichten in seinem Roman "Mein Name ist Maryte". Er wurde 2012 zum litauischen "Buch des Jahres" gewählt. Gisela Erbslöh kann das Buch nur bedingt empfehlen. „Mein Name ist Maryte“ – das ist nicht nur der Titel von Slepikas Roman, es ist auch der erste Satz, den eine seiner Hauptfiguren auf Litauisch lernt. Die siebenjährige Renate hat einen alten Mann angebettelt, sie aus dem völlig zerstören Ostpreußen mit nach Litauen zu nehmen, was verboten ist, und seine Frau bringt nun der kleinen Deutschen bei, sich mit dem Namen Maryte als litauisches Kind auszugeben. - Renates Familie – Mutter, Tante, Geschwister – hat sich Stück für Stück aufgelöst. Vom Lebenswillen der Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Erwachsenen ist vor Erschöpfung und Eiseskälte und bei all dem Sterben um sie herum kaum etwas übrig. Aber die Kinder scheinen sich an den Anblick der Toten gewöhnt zu haben. Der Hunger treibt sie an, nach Auswegen zu suchen. Und die führen nur ins Land jenseits der Memel. Ob sie dort überleben, dort überhaupt ankommen werden, ist ungewiss. Der älteste Bruder Heinz hat es gewagt, danach gehen die anderen Kinder. Der Erzähler folgt mal diesem, mal jenem, vor allem Heinz und Renate. Die also wird von den beiden Alten mitgenommen und verwandelt sich in Maryte. Das geht gut, bis die alte Frau stirbt -und der Mann Renate bei Schnee und Eis vor die Tür setzt. So wird sie zum Wolfskind, taucht mit anderen Kindern im litauischen Wald unter, wird beim Stehlen erwischt. Ein junges Ehepaar nimmt sie zu sich, wieder ist sie Maryte, aber die jungen Leute werden von Kollaborateuren der Sowjetarmee verraten und nach Sibirien deportiert, Renate bleibt wieder nur der Wald. Was der 51-jährige Alvydas Slepikas hier erzählt, ist Teil der deutschen und der litauischen und eigentlich auch der russischen Geschichte. In Litauen trug Slepikas Roman wohl dazu bei, das lange verdrängte Schicksal der Flüchtlingskinder von damals ins öffentliche Gedächtnis zurückzuholen. Er beschreibt das Leid der einen und die Grausamkeit der anderen. Er hält aber auch fest, dass es Menschen gab, die trotz eigener Not bereit waren, zu helfen. Das Buch hat also einen durchaus auch aktuellen Aspekt und seine prägnantesten Szenen, die vom Umgang mit Flüchtlingskindern handeln, wird man so schnell nicht vergessen. Die folgende etwa: Sowjetische Wachsoldaten beobachten von einer Brücke herab, wie Kinder versuchen, den zugefrorenen Fluss zu überqueren. Der eine Soldat wirft eine Handgranate. Einige der winzigen Gestalten fliehen, eins stürzt in das entstandene Eisloch, ein anderes ist verletzt, schreit wie ein Tier – ein drittes, ganz kleines, steht erstarrt dazwischen – rennt schließlich weiter aufs Eis hinaus. Der andere Soldat erschießt das verletzte Kind, zielt auf das Fortlaufende, trifft nicht, ärgert sich. Das zappelnde Wesen im Eisloch geht unter. Der eine Soldat singt, der andere raucht. - In Szenen wie dieser stellt Slepikas seine Figuren gleichsam auf eine Bühne, schaut ihnen distanziert zu, und beschreibt kommentarlos, wie in einer Regieanweisung, was geschieht. Stärker ist Grausamkeit kaum zu vermitteln. Leider hält der Autor diese Distanz aber nicht durch. Und er beschränkt sich nicht auf die Erfahrungen der Kinder, sondern er schreibt Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT sich in die Gefühle und Leiden der Mütter hinein, malt sie aus. Dem realen täglichen Schrecken dieser Frauen stellt er die Erinnerung an das Vorkriegs-Glück gegenüber, ungebrochen - ganz so, als hätten diese Frauen nichts mit der kriegsbegeisterten deutschen Gesellschaft zu tun gehabt, als wäre nicht ihre Gesellschaft die eigentliche Auslöserin der Gewalt gewesen, die jetzt, da der Krieg verloren ist, sie trifft. [Zudem lässt Slepikas die deutsche Vorkriegs-Idylle wie aus heiterem Himmel enden. „Dann kam der Krieg, der ihre Männer und Liebsten dahinraffte“, schreibt er.] Solche Simplifizierung, die auch an anderen Stellen des Buches zum Zuge kommt, überhöht und verkitscht die Geschichte der Frauen, die ja wirklich - auch - Opfer waren. Darüber hinaus beeinträchtigt die eher lebensferne, teilweise poetisierende Übersetzung aus dem Litauischen von Markus Roduner die Lektüre. So ist dieser Wolfskinder-Roman nur bedingt empfehlenswert. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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