Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Gioacchino Criaco: Schwarze Seelen
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl
Folio Verlag
230 Seiten
22,90 Euro
Rezension von Frank Rumpel
Mittwoch, 16.03.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Der italienische Autor Gioacchino Criaco erzählt in seinem Debüt "Schwarze Seelen" von
drei Freunden aus Kalabrien, die im Mailand der 1980er Jahre zu mächtigen Mafiosi
werden. Darin steckt auch die Geschichte von Criacos Familie, die aus Kalabrien stammt.
Ein düsterer und intensiv erzählter Mafiaroman, meint Frank Rumpel und empfiehlt die
Lektüre.
Noch eine Mafia-Geschichte, mag mancher denken, als gäbe es davon nicht längst genug.
Doch das Thema Organisierte Kriminalität ist nunmal ganz real und der fiktional
zugespitzte Blick darauf auch deshalb interessant, weil sich immer wieder neue
ästhetische Zugänge und Blickwinkel auftun. Dies schafft auch der italienische Autor
Gioacchino Criaco, der in seinem Debüt "Schwarze Seelen" von einer archaischen Welt in
den kalabrischen Bergen erzählt, einer geschichtsträchtigen, mit Mythen und Traditionen
vertrauten Gegend, die er bestens kennt, weil er von dort stammt.
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Söhne der Wälder nennen sich seine Protagonisten, ein namenloser Ich-Erzähler und
seine zwei Freunde Luigi und Luciano. Die Drei wuchsen im Aspromonte auf, einer
waldreichen Bergregion auf der italienischen Stiefelspitze. In den abgeschiedenen Dörfern
lebten die Leute in den 1960er und 70er Jahren noch von der Ziegenhaltung und
verdienten sich etwas dazu, indem sie für die ‘Ndrangheta, die kalabrische Mafia,
Entführungsopfer versteckten, bis Lösegeld bezahlt wurde. Doch die Mafiosi waren nicht
gut gelitten, weil sie nur zu gern ihre Macht zur Schau stellten und schließlich einige
Dorfbewohner auf dem Gewissen hatten.
Bereits in jungen Jahren war für die drei Protagonisten klar, dass sie raus wollten, aus der
von Armut geprägten, engen Welt des Aspromonte. Ihr Ausweg: Das Gymnasium. Das
Geld für die passende Kleidung besorgten sie sich erst mit Diebstählen, später mit
bewaffneten Überfällen. Der nächste Schritt: Die Universität in Mailand. Um dort während
der 1980er Jahre über die Runden zu kommen, begannen sie, mit Heroin zu dealen - und
das im immer größeren Stil. Sie lernten den Syrer Sasá kennen, der ihnen Kontakte in die
Türkei, zu den rechtsextremen Grauen Wölfen vermittelte, die ihnen den Stoff lieferten.
Um die Drogen zu verkaufen, heuerten sie Jungs an, die ebenfalls aus dem Aspromonte
stammten. Sie genossen das gute Leben und trugen den Reichtum zurück in die Berge,
wo die einfachen Steinhäuser durch Villen ersetzt wurden und die alten Leute sich in
feinen Zwirn kleideten. "Keiner von uns war sich damals bewusst, wie lächerlich wir
eigentlich schon waren, und dass wir unserer Heimat eine Katastrophe bescherten",
analysiert der Ich-Erzähler.
Zudem waren die jungen Männer gegenüber jenen in der Pflicht, die ihnen diesen
Reichtum beschert hatten. Und das hieß: Sie töteten im Auftrag, etwa einen arabischen
Politiker in Frankreich. Nach den Hintergründen fragten sie nie. Als 1990 ein neues
Antidrogen-Gesetz den Behörden weitreichende Befugnisse einräumte, wurde den
Freunden klar, dass ihre Tage in Mailand gezählt waren.
Es ist eine eindringliche Geschichte über Menschen seiner Generation, die der 1965
geborene Criaco seinen Protagonisten da im Rückblick erzählen lässt. Dieser ist
intelligent, durchaus sensibel und dennoch abgestumpft. Gerade auf diesen Zwiespalt
seiner Figuren legt Criaco besonderes Augenmerk. Sein Stil ist lapidar. Er beschreibe das
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Böse, wie es sei, ohne zu moralisieren, sagte er über diese zwar fiktive und doch sehr
reale Geschichte. Criaco selbst wuchs am Aspromonte auf, verließ die Gegend aber nach
der Schule. Sein Vater wurde 1993 in einer Blutfehde ermordet. Sein lange
untergetauchter Bruder Pietro, der damals zu den zehn meistgesuchten Kriminellen
Italiens gehörte, wurde 2008 verhaftet und zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt. Criaco selbst
kam erst mit 40 zurück in seine alte Heimat.
Seine Protagonisten wollten ein selbstbestimmtes Leben und merkten viel zu spät, dass
sie auch in Mailand nur wieder von neuen Zwängen eingeschnürte Handlanger und zudem
längst zu dem geworden waren, was sie verabscheuten: Zu skrupellosen Mafiosi.
"Schwarze Seelen" ist ein starker Roman, dessen Stoff gerade in der kühlen, beiläufigen
und dennoch sehr präzisen Art des Erzählens, seine Kraft entfaltet. Doch sie verleiht ihm
auch eine gewisse Sprödigkeit. So liegt diese hoch konzentrierte, spannende Geschichte
zwar offen da, wirkt bisweilen aber dennoch so verschlossen, wie die Bergbewohner, von
denen sie erzählt.
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