SWR2 DIE BUCHKRITIK

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Thomas von Steinaecker: Die Verteidigung des Paradieses
Roman
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
410 Seiten
24,99 Euro
Rezension von Helmut Böttiger
Freitag, 29.04.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Katastrophenszenarien sind im Moment äußerst beliebt. Das muss etwas mit der
Gegenwart zu tun haben. Etliche Schriftsteller haben bereits Romane veröffentlicht, die
eine Situation nach dem Untergang beschwören: es gibt keine Menschen mehr, die
Häuser sind zerstört, Lebensmittel, Strom und Wasser sind kaum noch vorhanden.
Thomas von Steinaecker schließt jetzt an diese apokalytischen Szenarien an, und er
erweist sich als Kenner aller möglichen Spielarten der Genre-Literatur.
Sein zentraler Schachzug liegt darin, dass der Held 15 Jahre alt ist. Es hat vielleicht auch
etwas mit der unmittelbaren Gegenwart zu tun, dass die sogenannten „Coming of Age“Romane gerade so in Mode sind – Heranwachsende bieten ein enormes
Identifikationspotenzial. Da ist die Welt noch nicht so differenziert, abgeklärt oder zynisch
zu erfassen wie bei Erwachsenen. Man fiebert mit, in einfachen und überschaubaren
Gefühls-Schüben. Der Held heißt Heinz. Er gehört zu einer Art Kommune von
Überlebenden, die der Katastrophe entronnen sind, weil sie sich im Gebirge aufgehalten
haben. Unten aber liegt die „Große Ebene“ in einem verseuchten Nebel, nachdem alles
ausgebrannt ist. Das Ganze spielt etwa hundert Jahre nach unserer Zeit, kurz zuvor war
noch alles hochtechnisiert, mit großen Solarfeldern und Logistikzentren. Thomas von
Steinaecker deutet Klimaveränderungen an, einen Sonnensturm, die Siedlungen befanden
sich unter kuppelartigen Schutzschirmen. Die Regierungsform schien eine Art
undurchsichtige Post-Demokratie mit anonymen Machtstrukturen gewesen zu sein.
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Die Besatzung auf der Alm, die sich von übrig gebliebenen Kühen und Wollschweinen
ernährt, wird in ihren unterschiedlichen Charakteren genau gezeichnet: Jorden, ein
soldatischer Typ, der umsichtige Cornelius aus der früheren Verwaltungs-Oberschicht, die
alte Anne sowie das Paar Özlem und Chang. Heinz weiß: er ist „das vielleicht einzige und
letzte Kind auf Erden“. Aber er bekommt die Aufgabe, Chronist zu sein. Und immer, wenn
er literarisch tätig wird, spürt er ein Brennen unter den Achselhöhlen, dort hat er ein
eintätowiertes Quadrat. Später wird sich herausstellen, dass er in Chiemgauer
Laboratorien als potenzieller Schriftsteller geklont worden ist.
Und er hat viel aufzuschreiben, in seine blauen, grünen und gelben Hefte, die aus der
„Voruntergangszeit“ übriggeblieben sind. Nach zwölf Jahren auf der Alm entschließen sich
die Überlebenden, sie zu verlassen – das Wetter verändert sich, unter den Tieren bricht
eine Seuche aus, die Lage wird immer bedrohlicher. Sie haben am Himmel Drohnen
gesehen, und es sind Flugblätter abgeworfen worden, in denen von einem Transfer in ein
„Großes Lager“ die Rede ist. Es beginnt eine Abenteuergeschichte mit Endzeit-Episoden,
mit Mord und Überlebenskampf, mit Mutanten und Robotern, mit programmierten Katzen,
Füchsen und Kaninchen als Spielzeugen und „Toys“.
Da die Story durchaus spannend ist, sollte man das Ende nicht verraten. Nur soviel sei
gesagt: die aktuelle Flüchtlings- und Schleuserthematik, die Asyl- und AsylVerhinderungspolitik vermeintlich sicherer Staatswesen spielen eine große Rolle. Thomas
von Steinacker nutzt das Arsenal, das die Genreliteratur und aktuelle Diskursfelder
bereithalten, und unter der Hand wird dabei auch die Apokalypse, die wir ja alle ahnen, zu
einem Pop- und Scratching-Phänomen. Der Autor ist geschickt, phantasie- und
fantasybegabt. Gekonnt malt er die einzelnen Horror- und Thriller-Szenarien aus. Dabei
erweist er sich durchaus als Pendant zu seinem Musterschüler Heinz, der alles
aufschreibt, sehr alt und mönchisch wird und der Kinder- und Jugendliteratur auch nach
dem Ende der Literaturgeschichte einen Platz freihält. Aber es bleibt eine dumpfe Ahnung,
dass Literatur auch noch etwas ganz Anderes sein könnte.
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