Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Friedericke Mayröcker: fleurs
Suhrkamp Verlag
151 Seiten
22,95 Euro
Rezension von Andreas Puff-Trojan
Freitag, 10.06.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des
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„Fleurs“ ist der letzte Teil von Friedericke Mayröckers Prosa-Trilogie, der die Bände
„études“ und „cahier“ vorangingen. Um aber in die überreiche Poesie der Dichterin
einzutauchen, muss man die ersten beiden Teile nicht kennen. „Fleurs“, das ist das
Sprießen der Blumen, das Erwachen der Sprache, beides soll nie enden.
Sprecher:
Man ist sicher erstaunt, wenn man in Friedericke Mayröckers neuem Prosaband über
den Maler Egon Schiele die Bemerkung liest: „ SCHIELE kokste die Strasze
hinunter“. So en passant gibt es im Buch einiges über Drogen zu lesen: die Dichterin
bezeichnet sich als „Rauschkind“, stellt fest, sie „habe Delirium gehabt“ und sie sei
„hinübergeschlafen ins Räuschlein“. Auch eine 91jährige Dichterin weiß: Wer im
Rauschzustand seine Umwelt wahrnimmt, der lebt, und zwar intensiv. „Rausch“, das
meint natürlich nicht einfach Rauschmittel einnehmen. Das meint „magische Verben“
niederschreiben, das meint den „Taumel von Sprache“, „Blutsturz der Poesie“ und
ganz allgemein: „dasz ich dahinschwärmte ach!“
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„fleurs“ heißt der neue Prosaband. Blumen kreuzen darin Mayröckers Sprach- und
Gedankenwege. Auf jeder Buchseite mindestens eine: knospende, blühende und
verblühte; Orchideen, Kirschblüten, Primeln, Schwertlilien, Ringelblumen, Veilchen,
Hyazinthen, Gauklerblumen, Lupinen, Carolinenrosen; auf Wiesen, am Waldrand
und im „Blumenladen“. Schreiben mit „Händen voller Blumen“, wie die Dichterin sagt,
heißt schreibend leben. Und dann gibt es noch: „pensee was Stiefmütterchen heiszt
oder Gedanke“. Mayröcker hat recht: Wer französisch kann, weiß, dass „pensée“ auf
deutsch der „Gedanke“ ist, aber tatsächlich bezeichnet das Wort auch dieses kleine,
feine Veilchengewächs. Ja, die Gedanken sprießen wie die Blumen, erwachen in
Schönheit zum Leben – und vergehen wieder.
Im Prosaband „fleurs“ ist die Dichte der Sprachbilder und das ausufernde Spiel der
Assoziationen überdeutlich. Das ist auch in Mayröckers poetischen Arbeiten der
letzten Jahre nicht anders. Aber der alternden Schriftstellerin geht Gott sei Dank der
Atem nicht aus. Wenn sie schreibt, „mit 90 als Frau ist man altbacken“, so kann man
nur sagen, dass derartige Aussagen ihre Dichtung nicht betreffen. Denn auf jeder
Seite, ja, in jeder Zeile in diesem Buch ist die poetische Kraft der Dichterin
auffindbar. Faszinierend ist ihr Spiel mit Unterstreichungen von Satzteilen,
Abkürzungen, Interpunktion, variierender Rechtschreibung, Wortneubildungen. Die
durchgängig beschriebene Seite wird meist aufgebrochen in Textblöcke, manchmal
sind es drei, vier pro Buchblatt.
„fleurs“ das sind einerseits datierte Aufzeichnungen von März 2014 bis Mai 2015.
Doch ist „fleurs“ keineswegs eine Art Tagebuch, eine Sammlung von klar
strukturierten Aufzeichnungen. Die Texte, die jeweils ein bis zwei Seien lang sind,
repräsentieren Gedankenblitze, poetische Einfälle, Erinnerungen, Träume,
Alltagssplitter. Die Welt – das sind die „fleurs“, die Blumen, die Gedanken, sie
erblühen, und damit sie nicht gänzlich wieder verschwinden, hebt sie die dichterische
Sprache auf. Man kann da nur staunen über Friederike Mayröckers Lebens-,
Schreib- und Liebeslust! Sie ist mit über 90 Jahren ungebrochen! Und auch ihre
Erinnerung täuscht die Dichterin nicht. An einer Stelle von „fleurs“ ist zu lesen:
„einmal wollte Peter Weibel eine Briefmarke von mir entwerfen“. Tatsächlich hat der
Medienkünstler vor rund dreißig Jahren bei der österreichischen Post nachgefragt,
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ob man nicht eine Sondermarke zu Ehren der Dichterin herausbringen könne. Darauf
bekam Weibel eine klare Antwort: Sondermarken seien in Österreich nur für tote
Persönlichkeiten vorgesehen. Da sei – weh uns! – noch lange hin. Das letze Wort
habe die Dichterin: „Es ist das Honiglecken es ist das Geweihte es ist der Duft des
Buches es ist ein Taumel von Sprache. Zu meinen Füszen die kl. Rosen es war 5
und ich wollte den Schlaf beenden um weiterzuschreiben.“
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