SWR2 DIE BUCHKRITIK

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Simon Garfield: Briefe. Ein Buch über die Liebe in Worten, wundersame Postwege
und den Mann, der sich selbst verschickte
Aus dem Englischen von Jörg Fündling
Theiss Verlag
539 Seiten
29,95 Euro
Rezension von Martina Wehlte
Freitag, 15.04.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Simon Garfield arbeitet als Journalist unter anderem für BBC, The Independent, The
Observer. Er ist bekannt durch seine Sachbücher, beispielsweise zum Thema Aids
oder zu Landkarten. Sein Buch Karten! Ein Buch über Entdecker, geniale
Kartografen und Berge, die es nie gab wurde von Bild der Wissenschaft zum
„Wissensbuch des Jahres 2014“ gewählt. Die englische Originalausgabe des Buches
Briefe. Ein Buch über die Liebe in Worten, wundersame Postwege und den Mann, der
sich selbst verschickte erschien 2014 bei Gotham Books unter dem Titel To the
Letter: A Celebration oft he Lost Art of Letter Writing. Der Titel verspricht, was das
Buch auch hält: Herzensbekenntnisse ebenso wie Skurriles, Berechnendes wie
aufrichtiges Sehnen, Originelles und vieles Unbekannte. Das und die Kunst,
Substantielles im Plauderton mitzuteilen, lohnt die Lektüre, meint Martina Wehlte.
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Gerade noch so rechtzeitig, dass sich die weltweit 3,4 Mrd. Menschen mit aktivem
Email-Account an den zeitverschwenderischen Luxus des handgeschriebenen Briefes
erinnern können, legt nun der britische Journalist und Buchautor Simon Garfield
einen fünfhundertseitigen Abgesang auf dieses aussterbende Medium vor. Er umreißt
die Kultur des Briefeschreibens und die Macht des wohl gesetzten Wortes vom ersten
bis zum einundzwanzigsten Jahrhundert. Die im Wesentlichen chronologische
Abfolge von Briefauszügen mit Hintergrundinformationen und Kommentaren Simon
Garfields ist durchsetzt von thematischen Akzenten wie Liebe in Worten oder
Musterbeispielen zum perfekten Brief. Quellenangaben und Bezüge auf die
Forschung lassen die solide Recherche und große Kenntnis des Autors erkennen.
Dabei ist es ein besonderes Verdienst, dass der insgesamt essayistische Charakter
dieses historischen Überblicks die Leselust bis zur letzten Seite nicht dämpft.
Das Buch-Cover zeigt stockfleckige Papiere, in unterschiedlichem Duktus sorgfältig
mit Tinte beschrieben. Italienisches ist zu lesen, „Auschwitz“ im Briefkopf
aufgedruckt und eine Skizze van Goghs - ein sinnlicher Zugang zum privaten Brief
als sehr persönlichem Zeugnis, dem Simon Garfields Annäherung an die
unterschiedlichsten Verfasser und ihre je eigene Welt durchaus entspricht. Nun
geißelt der Autor nicht etwa die unaufhaltsame Entwicklung digitalisierter
Zwischenmenschlichkeit, deren Vorteile er, dreiundfünfzigjährig, selbstverständlich
nutzt. Wie anders hätte er die vielen Schriftstücke, die er auf Auktionen erworben
hat, archivieren, Autografen aus Museen und von Übersee dokumentieren, sein
weitverzweigtes Netzwerk an Fachleuten pflegen können? Er blickt aus
geschichtlicher Distanz auf ein mehr oder weniger abgeschlossenes Kapitel der
Schreibkultur, zu dem er kompetent ausgewählt hat: Banal Alltägliches wie die
angekündigte Sendung von Sandalen und Unterhosen an einen römischen
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Garnisonssoldaten etwa 100 n.Chr.; Ergreifendes wie den berühmten Bericht Plinius‘
des Jüngeren an Tacitus über den Vesuvausbruch und den Tod seines Onkels;
Liebesschwüre wie in der leidenschaftlichen Korrespondenz zwischen Abaelard und
Heloise, deren Wirkung auf spätere Leserinnen durch den beigegebenen Ausschnitt
eines schwülen Porträts aus dem späten achtzehnten Jahrhundert süffisant
kommentiert ist. Der britische Humor, mit dem Simon Garfield den Leser auf seine
Seite zieht, trägt den Band. Und wenn er zeigt, wie Elvis Presley dem amerikanischen
Präsidenten Richard Nixon erfolgreich „Honig ums Maul schmierte“, um tatsächlich
ein Abzeichen der Bundesdrogenagentur zu bekommen, dann versteht man, warum
diese 1970 auf einem Flug zu Papier gebrachten Zeilen zu seinen Lieblingsbriefen
zählen.
Vor klaren Wertungen scheut der Autor nicht zurück und er fasst sie in deutliche
Worte. So seien die Schreiben der ehrwürdigen Kirchenväter, die – umgeben vom
Gros der Analphabeten - über ein Jahrtausend hin die schriftliche Tradition prägten,
eine langsame Folter. Da bieten Napoleon, Franz Kafka und Ernest Hemingway
schon Aufschlussreicheres über ihre Persönlichkeit, an deren Habitus Simon Garfield
mit sprachlichem und psychologischem Scharfsinn zupft. Seine in bester
angelsächsischer Tradition unterhaltenden Kommentare und die ebenso informativen
wie amüsanten Textpassagen zum zeitgeschichtlichen Hintergrund machen die
Lektüre gleichermaßen kurzweilig wie die vielseitige Briefauswahl.
Und der Autor des „Briefe!“-Bandes selbst? Er ist durchaus kein nostalgischer
Briefschreiber und unterzog sich gewissermaßen einem Selbstversuch, als er einer
ihm unbekannten Frau antwortete, mit der sich eine längere Korrespondenz per Post
entspann. Mehrere Tage habe er an dem ersten Brief gesessen und dabei eine Tiefe
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entdeckt, die er in Mails nie ausgeschöpft habe. Er stellte fest, gründlicher zu
analysieren und mehr Verbindungslinien zwischen Ereignissen zu ziehen. Ein
Gewinn! - Bleibt zu hoffen, dass sich Simon Garfields Prognose, es werde von der
Gattung bald nur noch der Beileidsbrief übrig bleiben, nicht erfüllen möge.
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