SWR2 DIE BUCHKRITIK

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Kjersti A. Skomsvold: 33
Roman
Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein
Hoffmann und Campe. Hamburg 2015
142 Seiten
20 Euro
Rezension von Ulrich Rüdenauer
Montag, 29.02.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Von Ulrich Rüdenauer
Herrje! Diese Frau ist geschlagen – mit einer Lungenkrankheit, einem Mann, der sich das
Leben genommen hat, einem unerfüllten Schreib- und Kinderwunsch und einem
Fantasiegeliebten, der Samuel heißt und aus dem Geiste und den Lenden Becketts
geformt ist. Dass sie auch noch K. heißen muss, als würde ihr ein Prozess gemacht, und
sie obendrein eine Schmerzensfrau im 34. Jahr ist, weshalb der Roman 33 heißt, ist schon
ganz schön dick aufgetragen. „Das Leben“, sagt diese K., „ist nichts für mich, denn ich
mag Menschen und Tiere nicht besonders, zumindest, wenn ich nachdenke; Gedanken
verzerren und verschieben alles.“ Die Gedanken zerren vor allem an der Protagonistin, die
arg gebeutelt durch eine schlimme Phase ihres Lebens taumelt. Man muss so einen
Selbstgesprächs-Text mögen, viel Geduld mitbringen und auch ein bisschen
Leidensfähigkeit, um dieser K. zu folgen. Kjersti A. Skomsvolds zweiter Roman jedenfalls
– nach ihrem Debüt „Je schneller ich gehe, desto kleiner werde ich“ – ist ein merkwürdig
zappeliges, zerfranstes Buch, das nicht nur die Krise der Heldin, sondern auch eine
Schreibkrise der Autorin abzubilden scheint.
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Dass Schriftsteller an den Hoffnungen, die ein gelungener Erstling weckt, zerschellen
können, ist hinlänglich bekannt. Die Literaturgeschichte ist voll von missratenen, quälend
langweiligen, verzweifelt-bemühten Nachfolgewerken. Es wäre schön, die 1979 in Oslo
geborene Kjersti Skomsvold als gloriose Ausnahme vorstellen zu dürfen – allein, sie hat
sich in „33“ redlich Mühe gegeben, ein vor Kunstwillen nur so strotzendes Büchlein
vorzulegen. Die Bezeichnung anämisch wäre für diesen blutleeren Roman fast ein
bisschen zu vornehm – man hat den Eindruck, die Autorin wisse selbst nicht so viel mit
ihrer Hauptfigur anzufangen, weshalb sie diese viele unausgegorene Sachen sagen und
durch 140 Buchseiten tapsen lässt.
Ein paar Anhaltspunkte finden sich denn doch: K. ist Mathematiklehrerin. Ferdinand, ihren
französischen Freund, hat eine Depression in den Tod getrieben – er liegt in seiner Heimat
begraben, während K. zurückkehrt nach Oslo. Über diesen Schicksalsschlag tröstet sie
sich mit dem Cricket spielenden Iren Samuel hinweg, der ihr Liebhaber wird; dass er
schreibt wie sie selbst, scheint ihr ein gutes Zeichen. Zu einem Roman wie Samuel hat sie
es allerdings noch nicht gebracht – dafür zu einem Mathematiklehrbuch, das sie auf einem
Kongress vorstellt, was grandios schief geht. K. kauft sich einen Hund, den sie „Kind“
nennt, um für die eigene Mutterschaft zu üben. Und sie wartet auf eine
Lungentransplantation. Zwischen diesen mehr oder minder greifbaren Motiven und
Figuren findet sich allerhand Pseudophilosophisches, Raunen und skurrile Komik. Ein
wenig ist es so, als hätte Skomsvold ihre Notizzettel mit gesammelten Gedanken wild
durcheinandergewirbelt und dann zusammengeklebt – weder wird daraus aber eine
Geschichte noch eine spannende Figur, deren Leid, Verzweiflung oder Verwirrung man
sonderlich ernst nimmt.
Natürlich ist der fragmentarische und aphoristische Charakter des Buches Konzept: Hier
soll eine aus allen Zusammenhängen gerissene Frau neu zusammengesetzt werden in
der Sprache. Ein Spiel, ein Experiment, eine Versuchsanordnung: In der Sprache nämlich
sucht K. auch ihr Heil. Am Ende heißt es bedeutungsschwanger – und hier passt die
Beschreibung „schwanger“ sehr gut – Zitat: „Ich verstehe, dass das Kind kein Kind ist,
sondern etwas anderes. Das Kind müssen die Wörter in diesem Buch sein, denn wie
solltest du es dir sonst vorstellen können?“ Es geht um die Macht der Poesie, die über die
Katastrophen des Lebens hinweghelfen kann. Um die Wirkkraft der Fantasie. Und
natürlich um das Absurde – Beckett alias Samuel steht hier Pate, wirft aber einen allzu
langen Schatten auf dieses doch eher mickrige Buch.
Die Erzählerin sitzt schließlich mit einem frisch gespitzten Bleistift am Schreibtisch und
arbeitet „an der Schöpfung eines glaubwürdigen, geliebten Ichs“. Vielleicht musste erst
dieses Krisenbuch geschrieben werden, um irgendwann wieder mit spitzem Bleistift ein
glaubwürdiges Ich schaffen zu können. K. jedenfalls, Kjersti Skomsvolds suchende Heldin,
ist ein verhuschtes Wesen aus der literarischen Retorte.
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