SWR2 DIE BUCHKRITIK

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Gaito Gasdanow: Die Rückkehr des Buddha
Roman
Deutsch und mit einem Nachwort von Rosemarie Tietze
Hanser Verlag
19,90 Euro
Rezension von Gisela Erbslöh
Freitag, 24. Juni 2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Hunderttausende russischer Staatsbürger zogen in den zwanziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts in den Westen. Der Bürgerkrieg hatte sie vertrieben. Allein Berlin brachte es
dann auf etwa 400 000 Russen und in Paris strandeten nicht weniger. Unter ihnen war der
noch blutjunge hochbegabte Gaito Gasdanow, der in Frankreich zunächst vom Taxifahren
lebte, später, nach dem zweiten Weltkrieg, nach München zum amerikanischen
Auslandssender Radio Liberty ging und nebenher zu einem der wichtigsten russischen
Exilautoren seiner Zeit avancierte. In Deutschland wurde Gasdanow allerdings erst vor
wenigen Jahren bekannt. Da brachte die renommierte Übersetzerin Rosemarie Tietze
seinen Roman „Das Phantom des Alexander Wolf“ heraus – mit großem Erfolg. Jetzt ist
ihre dritte Gasdanow-Übersetzung erschienen: der nicht minder faszinierende Roman „Die
Rückkehr des Buddha“.
Autorin
Zuerst sieht es so aus, als nähme der Romananfang das Ende vorweg. Der Protagonist
stürzt in den Tod. Beinahe hat er die rettende Oberkante einer steilen Felswand erreicht,
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da bricht das Bäumchen, an dem er sich festhielt und - er fällt in die Tiefe. Packend,
geradezu mitreißend schildert der Fallende selbst die schreckliche Episode. Es stellt sich
heraus, dass er nicht wirklich, nicht physisch gestorben ist. Doch selbst, wenn die
Todeserfahrung nur eine Schreckensvision war, sie scheint etwas in ihm getötet zu haben.
Mehr und mehr leidet er von nun an unter dem Verlust seiner Identität. Gasdanows
Roman „Die Rückkehr des Buddha“ kreist um ein „Ich“, das von ständigen
Realitätseinbrüchen bedroht wird. Phantome, Erscheinungen, gänzlich fremde Gefühle
und körperliche Schmerzen ergreifen jäh von ihm Besitz und – lösen sich wieder auf. Der
Ort, an dem der Protagonist lebt, ist Paris. Seinen Namen erfahren wir nicht und auch was
die eigentliche Ursache seines Leidens ist, wird lediglich angedeutet. Wir wissen nur, dass
er – wie so viele andere – im vom Bürgerkrieg zerrissenen Russland kämpfte und dann
emigrierte. Nun studiert er Geschichte an der Universität, meidet nähere Kontakte und
pendelt zwischen Bibliothek, Cafés und bescheidenem Hotelzimmer, immer bemüht, dem
Ansturm der Halluzinationen Einhalt zu gebieten und seinen Zustand zu verbergen. Brillant
und ungemein spannend stellt Gaito Gasdanow hier die fließenden Grenzen zwischen
Wirklichkeit und Vorstellung dar: wie sich ein bekanntes Pariser Viertel unmerklich in eine
bedrohliche Albtraum-Szenerie verwandelt oder, umgekehrt, halluzinierte
Gefängnismauern sich unvermittelt auftun und der Nebel des Fremden nach und nach
einen vertrauten Ort und sicheren Boden freigibt.
Doch auch das ganz reale Migranten-Milieu, dem der Protagonist trotz aller Anstrengung
nicht ausweichen kann, hat etwas permanent Trügerisches. Kranke, abgewrackte oder in
die Kriminalität abgerutschte Akteure phantasieren, lügen und täuschen vor, was das Zeug
hält - ohne Chance, jemals zurückkehren zu können in ein halbwegs sicheres, geordnetes
Leben. Nur einer ist darunter, der sein früheres „Selbst“ hat bewahren können. Per Zufall
erneut zu Wohlstand gekommen, dient sein Haus dem gequälten Studenten als Hort der
Ruhe. Aber nur kurz. Der Freund und Gönner fällt einem Mord zum Opfer, und der Student
selbst ist des Mordes verdächtig. So verbindet Gasdanow die existentiellen Fragen nach
Leben, Tod und Identität, Wahrheit und Unwahrheit mit einer spannenden
Kriminalgeschichte. Und schließlich bekommt der Roman noch eine gewisse politische
Dimension.
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Im Verhör des verhafteten Studenten durch den – realen - Untersuchungsrichter spiegelt
sich nämlich eine zuvor geschilderte halluzinierte Schreckensszene kafkaesken
Ausmaßes. Da hatte der Erzähler in Notwehr einen Unbekannten getötet, war ebenfalls
verhaftet und anschließend an einem obskuren, „Zentralstaat“ genannten Ort mehreren
Haftrichtern vorgeführt worden. Sie verkörperten auf absurdeste Weise das Prinzip des
stalinistischen Strafgerichts: kein Angeklagter hat hier die Chance, dem Regime zu
entkommen. Dass die Angstphantasie eines Emigranten in totalitäre Verhältnisse zurück
zu geraten, durchaus reale Grundlagen hatte, zeigt ein Blick ins Nachwort dieses Buches.
Tatsächlich haben die Sowjets ihre Gegner immer wieder aus dem Ausland zurück nach
Russland verschleppt. Doch dieser Aspekt des Buches, ist, wie gesagt, nur einer unter
vielen. In erster Linie geht es hier um das literarische Spiel mit den verschiedenen
Realitätsebenen. Dass hinter dem Spiel eine bitterernste Lebenserfahrung des Autors
steht, der selbst oft genug im Exil auf schwankendem Boden stand, tut dem Glück, dieses
Buch in Händen zu halten, keinen Abbruch. Bleibt zu hoffen, dass weitere GasdanowAusgaben dieses Glück fortsetzen werden.
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