SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Ottessa Moshfegh: McGlue
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
Liebeskind-Verlag
143 Seiten
16 Euro
Rezension von Frank Rumpel
Donnerstag, 06.10.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Die junge US-amerikanische Autorin Ottessa Moshfegh hat mit McGlue ein Debüt
vorgelegt, in dem sie sich als Ich-Erzählerin in die fiebrigen Erinnerungen eines Seemanns
und Alkoholikers stürzt, der seinen besten Freund ermordet haben soll. Es ist auch die
Erzählung von einer bigotten Gesellschaft im Jahr 1851. Ein düster brodelnder Roman,
findet unser Rezensent Frank Rumpel.
McGlue ist Seemann und schwerer Alkoholiker. Schnaps ist denn auch, was ihn vor allem
interessiert. Die Welt, das Leben, andere Menschen gar sind ihm reichlich egal - zumal
sein Gedächtnis porös ist. Schuld ist ein Unfall. Er war von einem fahrenden Zug
gesprungen und hatte sich dabei einen Schädelbruch zugezogen. Seither klafft ein offener
Spalt in seinem Kopf, der nicht heilen will. Das freilich ist nicht das Schlimmste. Auf
Sansibar soll er seinen Freund Johnson erstochen haben, der ihm einst das Leben
gerettet hatte, als McGlue betrunken im Schnee lag und zu erfrieren drohte. Seither sitzt
McGlue in Arrest, zunächst unter Deck eines Schiffes, das von Sansibar nach Tasmanien,
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durch die Südsee nach Peru, an Feuerland vorbei ins US-amerikanische Salem segelt.
Dort soll er vor Gericht gestellt werden.
Ottessa Moshfeghs Romankonzentrat spielt im Jahr 1851. Darin taucht sie ein in die
düster brodelnde Gedankenwelt eines Außenseiters von damals. Aufgewachsen in armen
Verhältnissen an der US-Ostküste entdeckt McGlue bereits als Kind den Rum - und bleibt
ihm treu. Mit Frauen hat er seine Probleme, zwingt sich gelegentlich zu schnellen
Begegnungen in Bordellen. Die allerdings enden stets desaströs und dienen vor allem
dazu, in den protzenden Männergesellschaften der Saloons bestehen zu können.
Als McGlue dann Johnson kennenlernt und der ihn schließlich als Seemann mit auf ein
Schiff schleust, sehen die beiden erstmals die Welt, streifen durch New York, durch
Kapstadt, Kalkutta und verlieren sich auf Sansibar. Sie sind sich ähnlich. Johnson ist des
Lebens überdrüssig, hasst seinen Vater und meint nun, mit McGlue jemanden gefunden
zu haben, der ihn versteht. Ein Missverständnis. Zu sehr sind sie in gesellschaftliche
Konventionen und Moralvorstellungen gezwängt, versuchen ihre Homosexualität nicht nur
vor dem jeweils anderen, sondern auch vor sich selbst zu verbergen.
Die 1981 in Boston geborene, heute in Los Angeles lebende Ottessa Moshfegh blickt in
ihrem Debütroman durch die wässrigen Augen McGlues auf die Welt. Eingepfercht in
einen stinkenden, heißen Raum unter Deck eines Schiffes fährt dieser Gefangene um die
Welt, ohne sie zu sehen. Ganz sich selbst ausgeliefert, fischt er in seinem kaputten
Schädel nach Erinnerungen, die an die Oberfläche seines Denkens schnellen, wie
Holzplanken, die sich von einem sinkenden Schiff lösen. McGlue meint, sein Freund
Johnson könne jeden Moment zur Tür herein kommen und er, McGlue, müsse nur genug
Rum trinken, damit alles wieder ins Lot kommt, damit das Brummen und Krakeelen, der
mal dumpfe, mal glashelle Schmerz in seinem maroden Schädel Ruhe gibt. Immer wieder
schlägt er ihn gegen die Wand, kratzt sich die Wunde blutig, um sich selbst im Dunst
vergangener Tage zu orten.
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Ottessa Moshfegh stammt aus einer Musikerfamilie und hat zunächst Erzählungen in
Zeitschriften wie "The Paris Review" veröffentlicht. McGlues Reise zu sich selbst presst
sie in einen knappen, im Präsens gehaltenen Monolog. Figuren und Zeitumstände werden
da eher skizziert, während Moshfegh einem in kurzen Kapiteln gut ausgeleuchtete Szenen
aus McGlues Leben in der Gosse zeigt - kleine, erzählerische Strudel mit schwarzem
Schlund. Der Ton ist dabei oft kühl, distanziert, in einigen Traum- und
Erinnerungssequenzen hingegen schwebend, phantasievoll, verspielt. Das ist zwar schön
zu lesen, will aber nicht so ganz zum rauen Protagonisten passen, der sich da aus Hass
auf die Welt dem Ende entgegen säuft. Doch McGlue ist ein Erzähler, der seinen
Erinnerungen misstraut und sie dennoch bisweilen genießt, der erst allmählich hinter der
Fassade des harten Kerls einen anderen entdeckt. Und das passt dann doch wieder ganz
gut zusammen in dieser Geschichte, deren Kraftzentrum der ungeklärte Mord an Johnson
ist. Immer tiefer hinab geht es in die zerrüttete Psyche eines Gestrandeten seiner Zeit, der
auf dem Weg zum Galgen versucht, Ordnung zu schaffen - Ordnung im reißenden Strom
dunkler Bilder eines verpassten Lebens.
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