SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Alissa Ganijewa: Eine Liebe im Kaukasus Aus dem Russischen von Christiane Körner Suhrkamp Verlag 239 Seiten 22 Euro Rezension von Clemens Hoffmann Donnerstag, 22.09.2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Für gewöhnlich taucht Dagestan, die russische Teilrepublik im Nordkaukasus, mit dem Attribut „Unruheprovinz“ in unseren Nachrichten auf: Anschläge, politische Morde und Entführungen sind in dem muslimisch geprägten Land an der Tagesordnung. Auch viele IS-Kämpfer sollen aus der Kaukasusprovinz stammen. Die 31jährige Alissa Ganijewa wuchs in Dagestan auf, lebt und schreibt aber seit 2003 in Moskau. Mit ihrem Roman „Eine Liebe im Kaukasus“ liefert uns Ganijewa eine prägnante Momentaufnahme aus Dagestan: Da reibt sich eine neue, westlich orientierte Generation an archaischen Familien- und Gesellschaftsstrukturen. Nicht die besten Voraussetzungen für eine zarte Romanze. Clemens Hoffmann hat den Roman gelesen. t Die rebellische Patja kehrt in ihren Heimatort im Osten Dagestans zurück. Gerade noch durfte sie ein glücklich freies, halbes Jahr bei ihrem Bruder in Moskau leben und nebenbei ein Praktikum machen. Nun soll Patja dringend unter die Haube. So wünschen es sich die muslimischen Eltern. Mit ihren 25 Jahren gilt Patja in der tristen Steppen-Siedlung schon fast als alte Jungfer. Auch der in Moskau arbeitende Anwalt Marat wird nach Hause beordert, um endlich zu heiraten. Der junge Mann stammt aus dem gleichen Ort wie Patja. Marats Eltern haben sogar schon den Hochzeitssaal gebucht. Es gibt da nur ein kleines Problem: Eine Braut hat Marat noch nicht. Doch seine Mutter ist wild entschlossen, diesen Zustand möglichst schnell zu beenden. Eine fieberhafte Brautschau nimmt ihren Lauf. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Patja ergeht es kaum besser. Ihre Mutter arrangiert ein Treffen mit dem unverheirateten Sohn einer Bekannten. Einem Tierarzt, der sich als eiserner Schweiger entpuppt. Und dann ist ja auch noch Timur, ein längst bereuter Facebook-Flirt von Patja, der sich in der realen Welt als ebenso anhängliche wie wichtigtuerische Quasselstrippe mit unangenehm dickem Bizeps erweist. Als sich für die beiden Brautleute wider Willen das Kandidaten-Karussell immer schneller zu drehen beginnt, kreuzen sich ihre Wege zufällig – und sofort verlieben sich Patja und Marat heftig in einander. Ein Hauch von Romeo und Julia weht durch die dagestanische Steppe. „Bräutigam und Braut“ heißt Alissa Ganijewas Roman treffend im russischen Original. „Eine Liebe im Kaukasus“, der deutsche Titel, klingt da fast etwas irreführend. Denn was sich stellenweise wie eine Beziehungskomödie liest, bildet den Hintergrund für sehr viel Tiefergehenderes. Es ist ein beunruhigendes Bild, das Alissa Ganijewa da in temporeichen Szenen und hitzigen Dialogen hineinzeichnet in das baumlose Flachland am Rande des Kaspischen Meers. Zwischen die rostigen Pipeline-Rohre, die ärmlichen Baracken und die Eisenbahngleise, die die namenlose Siedlung nicht nur räumlich teilen: Der soziale Zusammenhalt ist zerstört. Stattdessen herrscht ein feindliches Klima, genährt vor allem von den vernagelten Eiferern in den konkurrierenden Moscheen, aber auch von tief sitzenden Konventionen und blühender Doppelmoral, von Aberglaube und Gerüchten. Alissa Ganijewa schildert die Siedlung und ihre Bewohner als ideologisch engstirnige Gesellschaft, die keinen Platz kennt für Nonkonformisten. Etwa Marats Kindheits-Freund Russik, inzwischen Wirtschaftsdozent an der Uni in der Nachbarstadt. Dass dieser Russik sich für alte Landkarten und Tangotanzen interessiert, bringt ihm Hohn und Spott ein. Als er dann auch noch öffentlich zu erkennen gibt, dass er die Frage nach der Existenz Gottes für belanglos hält, ist sein Schicksal besiegelt. Russik wird von einigen den Islamisten nahestehenden Halbstarken aus einer Rangelei heraus ermordet. Wer Gott anzweifelt, verhöhnt Allah, so die schlichte Logik. Die Figur, in der Alissa Ganijewa all die Rohheiten und Absurditäten kulminieren lässt, ist die Unterweltgröße Halilbek. Ein skrupelloser Geschäftemacher mit Blut an den Händen und besten Beziehungen zur Obrigkeit. Obwohl er wegen Mordes an einem Untersuchungsrichter in Gefängnis sitzt, wird Halilbek von den einfachen Leuten als Legendengestalt verehrt. Man veranstaltet sogar Soli-Konzerte, um seine Freilassung zu erreichen. Von Kapitel zu Kapitel wechselt die Erzählperspektive zwischen dem männlichen Blick Marats und dem weiblichen von Patja. So gelingt der Autorin mit „Eine Liebe im Kaukasus“ das Kunststück, keine schwarz-weiße Problemlektüre abzuliefern, sondern einen nuancenreichen, realistischen, nicht überschwänglich romantischen Roman aus einer unruhigen Weltregion. So unbestimmt die Zukunft in Dagestan erscheint, so offen und zweideutig kommt die Geschichte der beiden Liebenden Marat und Patja an ihr Ende. Wer Hoffnung hineinlesen will, kann das tun. Das Gegenteil wäre genauso plausibel. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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