SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Robert Simanowski: Facebook Gesellschaft
Matthes & Seitz Verlag
20 Euro
Rezension von Moritz Holler
Freitag, 16. September 2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Facebook – ein Ort des Austausches und der Kommunikation, der Freude und Freunde,
Schnappschüsse, Selfies, Urlaubsbilder und Videos. An keinem realen Ort kommen so
viele Menschen zusammen wie hier. Doch wie verändern Facebook und andere soziale
Netzwerke unser Denken und Handeln? Dieser überaus komplexen Frage geht der
Medienwissenschaftler Roberto Simanowski in seinem Essay „Facebook Gesellschaft“
nach. Moritz Holler stellt das Buch vor.
Roberto Simanowski untersucht das Phänomen der sozialen Netzwerke aus
kulturwissenschaftlicher Perspektive und nähert sich diesem zunächst möglichst wertfrei.
Das bedeutet, nicht der üblichen Kritik verdummender „Datenkraken“ zu folgen. Diese
führt der Autor auf Adornos Verteufelung der Massenkultur zurück. Jener Vorwurf
entbehre des Verständnisses für die zentrale Funktion sozialer Netzwerke, dem Erzeugen
von Gemeinschaftlichkeit. Der Autor sieht in Facebook und Co zunächst einmal die
Berichtigung einer gesamtgesellschaftlichen Fehlentwicklung, nämlich des Zerfalls
„kollektiver Geselligkeitsmodelle“. Auch häufig vorgebrachte Einwände an der
Oberflächlichkeit virtueller Kommunikation griffen zu kurz, seien doch soziale Beziehungen
heute generell geprägt durch Unverbindlichkeit. Unter Berufung auf den Soziologen
Zygmunt Baumann verortet Simanowski den heutigen Menschen jenseits althergebrachter
Narrative. So erfahre sich das postmoderne Individuum als von vorbestimmten und
allumfassenden Lebensentwürfen befreit. Daraus resultiere eine „episodische Identität“, in
der Zeit nicht mehr als Kontinuität, sondern als Ansammlung einzelner Momente erlebt
werde. Dies finde auf Facebook seinen Widerhall, wo die Pinnwand eines Benutzers die
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schiere Chronologie von Ereignissen ohne Interpretation darstellt. Simanowski identifiziert
hier einen Wandel, der die Gesellschaft in all ihren Bereichen erfasst: Weg von der
Narration hin zur Datenbank. Das Verschwinden sinnstiftender Erzählungen führe zwar in
den sozialen Netzwerken zu einer neuen Gemeinschaft, da die Menschen nun nicht mehr
durch soziale, religiöse oder nationale Schranken voneinander getrennt seien. Doch diese
Entwicklung führe zu einem Verlust kollektiver Werte und Erinnerung. Das neue
Gemeinschaftsgefühl sei daher äußerst fragil, was die verstörend maßlosen
Hasskommentare im Netz zu bestätigen scheinen. Auch der Widerspruch des Internets als
personalisiertes Massenmedium begünstige das Verschwinden kollektiver Identität. Die
dynamisch erzeugten und auf den User zugeschnittenen Informationen führten zu einem
selektiven und hochgradig subjektiven Informationsfluss.
Des Weiteren macht Simanowski einen Paradigmenwechsel im Rahmen dessen die Werte
Authentizität, Kohärenz und Identität abgelöst werden von solchen wie Hybridität, Wandel
und Augenblicklichkeit. Dies bezeuge etwa der neue Partizipationsjournalismus, in dem
von Amateuren gedrehte Videos zunehmend die von professionellen Journalisten
produzierten Medienerzeugnisse verdrängen. Authentizität bedeute nunmehr vor allem
den Automatismus der Dokumentation: das Gegenteil zu rückblickender und einordnender
Berichterstattung durch eine erzählende Person. Das „beschreibungslose Bezeugen“ sei
die Zukunft digitaler Kommunikation, daran lässt Facebook-Mastermind Mark Zuckerberg
keinen Zweifel. Die nächste Generation sozialer Netzwerke werde sich ihm zufolge
Geräten bedienen, die Erlebnisse und Gedanken in Echtzeit übertragen. Und so,
befürchtet Simanowski, gehe auch die schriftliche Sprache als Ausdruck der Reflexion
verloren. Das Programm Snapchat sei ein erster Vorreiter dieses Trends. Jugendliche
schicken sich schon heute fast nur noch Sprachnachrichten, Bilder und Videos. Und
einmal mehr scheint Facebook sowohl Produkt als auch Motor dieser Entwicklung. Dessen
Bedienungsfelder lassen wenig Spielraum für gestalterisches Erzählen, das Programm
präferiert auswertbarere Informationen seiner Benutzer – die „Datenkrake“ lässt grüßen.
Die Folge: Der User sei nicht Herr seiner eigenen Autobiografie, eine mechanisierte
Oberfläche setze das steuernde Subjekt zum bloßen Objekt eigener Darstellung herab.
Und so kommt Simanowski letztlich doch zu pessimistischen Schlussfolgerungen, auch
wenn er Raum für Hoffnung lässt. Die Verwendung sozialer Netzwerke unterliege dem
Missverständnis, dass die erlebte Verbundenheit eigentlich nicht das Ziel habe, das
individuelle Dasein gemeinsam zu feiern, sondern eine Reaktion auf einen allgemein
wahrgenommenen Mangel an Sinngebung darstelle. Wie dieses Missverständnis
ausgeräumt werden kann, lässt Simanowski allerdings offen. Mit „Facebook Gesellschaft“
gelingt ihm dennoch eine scharfsinnige Gegenwartsanalyse, die weit über die sozialen
Netzwerke hinausreicht.
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