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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Andrej Platonow: Die Baugrube
Aus dem Russischen übersetzt von Gabriele Leupold
Suhrkamp Verlag
240 Seiten
24 Euro
Rezension von Clemens Hoffmann
Donnerstag, 02. März 2017 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Am Rande einer russischen Provinzstadt heben Arbeiter eine gigantische Grube aus. Sie
soll das Fundament eines monumentalen, gemein-proletarischen Hochhauses aufnehmen.
Das Haus soll dereinst die Bevölkerung der ganzen Stadt beherbergen. Die Baustelle
verheißt die neue sozialistische Ordnung der Welt. Doch der irrwitzige Plan, man ahnt es,
ist zum Scheitern verurteilt. Es fehlt an Arbeitern, an Material und auch an Enthusiasmus.
Und je tiefer sich der Bautrupp in die Erde wühlt, umso offenbarer wird, dass sich hier die
Menschheit ihre eigene Grube gräbt. Eine Gruft, in der ganz zum Schluss tatsächlich
schwer allegorisch ein unschuldiges Kind zu Grabe getragen wird, die Verkörperung der
lichten Zukunft.
Ein zweiter Strang des Romans spielt auf einem alten Dorf, in dem die
Zwangskollektivierung der sowjetischen Landwirtschaft im vollen Gange ist: also die
Enteignung von Großgrundbesitzern, die brutale Zerstörung bäuerlicher Klein-Wirtschaften
und ihre Ablösung durch Kolchosen - vergesellschaftete Großbetriebe. Andrej Platonow
schreibt „Die Baugrube“ 1930 unter dem Eindruck der „Entkulakisierung“- der grausamen
Deportation und Ermordung der als Kulaken geschmähten Schicht der wohlhabenderen
Klein-Bauern. Es sind apokalyptische, nur schwer zu ertragende Szenen, wenn die
todgeweihten Bauern ihr Vieh schlachten und aufessen, um, wie Platonow schreibt, „den
Leib des vertrauten Schlachtviehs im eigenen Körper zu bergen und ihn dort vor der
Vergesellschaftung zu bewahren“. Und wenn sich die Bauern nach diesem letzten
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Abendmahl zum Schlafen in die von ihnen selbst gezimmerten Särge legen. Das Buch ist
reich an solchen wie beiläufig geschilderten schmerzlichen Szenen.
Aber nicht deswegen ist dieser Roman eine echte Herausforderung für den Leser.
Sondern wegen der Sprache. Platonow benutzt das hölzerne, bürokratische Neusprech
der Revolution als Steinbruch und puzzelt es seinen Figuren in den Mund. Wendungen
aus Stalin-Reden, Direktiven, Slogans und Jargon. Die Arbeiter und Bauern, und auch die
enthusiasmierten Funktionäre und Aktivisten beherrschen diese Sprache – nun ja,
allenfalls so halb. Und so klingt alles, was sie sagen und denken, sonderbar verrutscht.
Wie aufgeschnappt von einem Schwerhörigen. Eine Art stille Post in einer Grammatik vom
Hörensagen. Schon der Anfang des Romans setzt diesen besonderen, etwas
umständlichen Ton, wenn die Hauptfigur eingeführt wird, der melancholische
Woschtschew, ein zweifelnder, sowjetischer Jedermann, der sich ohne innere
Überzeugung dem Bautrupp anschließt. Über ihn schreibt Platonow: „Am dreißigsten
Jahrestag seines persönlichen Lebens gab man Woschtschew die Abrechnung von der
kleinen Maschinenfabrik, wo er die Mittel für seine Existenz beschaffte. Im
Entlassungsdokument schrieb man ihm, er werde von der Produktion entfernt infolge der
wachsenden Kraftschwäche in ihm und seiner Nachdenklichkeit im allgemeinen Tempo
der Arbeit.“ (Zitatende)
Die Übersetzerin Gabriele Leupold, hat das floskelhafte, mal hochtönende, mal brüchige
Russisch dieses lange als unübersetzbar geltenden Romans kongenial ins Deutsche
übertragen. Eine gewaltige Leistung! Trotzdem bleibt die nur 170 Seiten kurze Lektüre
hochkomplex. Und oft befremdlich. Der Anhang mit kundigen Erläuterungen, ein Nachwort
der Übersetzerin und ein begleitender Essay mögen das Verständnis befördern: Aber
selbst wer „Die Baugrube“ solchermaßen präpariert und mit höchster Konzentration liest,
wird längst nicht alle Sätze entschlüsseln können. Ungeduldige Leser könnten das als
Zumutung empfinden.
Wer diese Leseaufgabe durchhält, wird erschüttert erkennen: Platonows Sprache ist ein
Amalgam aus Utopie und Gewalt. Sie demaskiert den Stalinismus und führt uns jene
Fundamente vor Augen, auf denen der Aufstieg der Sowjetunion als Weltmacht beruht und die bis ins heutige Russland fortwirken. Ein anspruchsvolles, von tiefer Traurigkeit
durchzogenes Werk, das die Mühen der Wiederentdeckung lohnt.
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