SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Julia Kissina: Elephantinas Moskauer Jahre Aus dem Russischen von Ingolf Hoppmann und Olga Kouvchinnikova Suhrkamp Verlag 22,95 Euro Rezension von Clemens Hoffmann Donnerstag, 30. Juni 2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Die in Berlin lebende Ukrainerin Julia Kissina machte sich in den letzten Jahren der Sowjetunion als Aktions- und Fotokünstlerin einen Namen. Aber sie schreibt auch - und das seit frühester Jugend. In den 80er Jahren gehörte Julia Kissina zum Kreis der Moskauer Konzeptualisten um Vladimir Sorokin und Pawel Pepperstein. In ihrem vor zwei Jahren bei Suhrkamp erschienenen Roman „Frühling auf dem Mond“, beschreibt Julia Kissina die Kindheit eines musisch begabten Mädchens in ihrer Geburtsstadt Kiew. Vieles davon konnte man durchaus biographisch lesen. Nun hat Julia Kissina eine Art Fortsetzung vorgelegt. „Elephantinas Moskauer Jahre“ begleitet eine junge Frau aus dem Kiewer Intellektuellenmilieu ins Moskau der späten Sowjetunion, wo sie ihr Glück als freie Künstlerin sucht. Clemens Hoffmann hat Julia Kissinas neuen Roman gelesen. In einem der einflussreichsten Romane des 19. Jahrhunderts folgen wir Leser einem jungen Mann aus der französischen Provinz nach Paris. Er träumt von einer Karriere als Schriftsteller. Doch wird seine Tatkraft gelähmt: von seiner schwärmerischen, unerfüllbaren Liebe zu einer verheirateten Frau. Julia Kissina dürfte Gustave Flauberts Roman „Éducation sentimentale“ zu Deutsch „Die Erziehung des Herzens“ gut kennen. Denn in ihrem Episoden-Roman „Elephantinas Moskauer Jahre“ erzählt sie uns eine ähnliche Geschichte: Kiew Anfang der 80er Jahre, Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT der Mehltau der späten Sowjetunion. Die 17-jährige Elephantina, so das selbst gewählte Pseudonym der Elevin einer Kunstschule, träumt davon, Literatin zu werden. Das freie Künstlerleben stellen sich die rebellische Elephantina und ihre Freundinnen nämlich wahnsinnig aufregend vor. Entsagungsreich, aber avantgardistisch. Alsbald verfassen die Mädchen ein künstlerisches Manifest. Punkt eins: Niemals auf die Meinung anderer hören. Punkt zwei: sich dem Werk opfern. Letztes Gebot: sich niemals verlieben! Wie das so ist mit Vorsätzen, manche geraten schneller ins Wanken, als sie gefasst sind. Bei einer Lesung lernt Elephantina einen berühmten russischen Avantgarde-Dichter kennen. Zehn Jahre älter, etwas mopsig und schon verheiratet. Aber er macht Elephantina auf einem Spaziergang Komplimente zu ihren selbst verfassten Gedichten. Ein Briefwechsel entspinnt sich. Und schon ist sie ihrem Tomaterich, wie sie ihren rotgesichtigen Guru zärtlich nennt, hoffnungslos verfallen. Elephantina schmeißt die Schule und zieht ihm nach – nach Moskau. Doch in der großen Stadt wartet natürlich niemand auf sie. Elephantina schreibt sich an einer Theaterschule ein. Tagsüber sitzt sie in Bibliotheken. Nachts taucht sie ein in die freie Kunstszene. Sie besucht Lesungen und avantgardistische Happenings, schließt Bekanntschaften zu Intellektuellen und verkannten Künstlern aller Art und wehrt nonnenhaft eine Reihe durchaus realer Verehrer ab. Doch Tomaterich, ihr Herzens-Dichter, macht sich rar. Was Elephantinas Sehnsucht nach ihm nur noch steigert - bis in die komplette Obsession. Flaubert lässt schön grüßen. Übrigens auch stilistisch: Wie der große Franzose erzählt Julia Kissina keine eigentliche Geschichte, sondern schildert die Begegnungen unterschiedlicher Figuren über den Zeitraum von mehreren Jahren. Wie schon in ihrem Kindheits-Roman „Frühling auf dem Mond“ entwirft Kissina auch in ihrem neuen Werk ein schillerndes Panoptikum der wunderlichsten, bisweilen grell überzeichneten Gestalten. Auch diesmal geraten diese Figuren dauernd in die absonderlichsten Situationen. Dabei schwebt die Stimmung zwischen Komik, Melancholie und Groteske. Und manches ist sogar ziemlich surreal. Immer wieder gelingen ihr aber auch Momente voller poetischer Leuchtkraft, vor allem in den stimmungsvollen Beschreibungen der Stadt Moskau im Wechsel der Jahreszeiten. Thematisch schöpft Julia Kissina für „Elephantinas Moskauer Jahre“ erneut aus dem tiefen Brunnen jener Zeit, die sie künstlerisch und persönlich am meisten geprägt hat: die Jahre der ausgehenden Sowjetunion. “In der Vergangenheit ist die Zeit kein Film, sondern eine Fotografie“, stellt Elephantina ganz am Schluss des Romans fest. Und weiter: Wenn die Zeit zu einer Fotografie geworden ist, ist sie flach. Und wenn sie erstmal flach ist, dann kann man einen Mantel daraus nähen. Zitat Ende. Roman-Ende. Genau in dieser Art von Mantel-Stoff liegt aber das Problem. Die 41 eher locker miteinander verbundenen Episoden des Romans wirken wie eine Kiste voller Schnappschüsse. Ein Film, eine Hierarchie von Ereignissen, ein spannender Plot sind leider nicht dabei herausgekommen. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Julia Kissina besitzt eine überbordende Fantasie. Und sie kann begnadet formulieren. Atmosphärisch, thematisch und stilistisch stellt der Roman aber eher eine Fortsetzung von „Frühling auf dem Mond“ dar als etwas Neues. Darum überzeugt dieser zweite Aufguss etwas weniger. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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