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ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Saphia Azzeddine: Bilqiss
Aus dem Französischen von Birgit Leib
Verlag Klaus Wagenbach
176 Seiten
20 Euro
Rezension von Dina Netz
Donnerstag, 24.11.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Saphia Azzeddine, 1979 im marokkanischen Agadir geboren, lebt in Frankreich, seit sie
neun Jahre alt ist. Sie hat Soziologie studiert und arbeitet heute als Drehbuchautorin und
Schriftstellerin. Berühmt wurde sie mit ihrem zweiten Roman „Mein Vater ist Putzfrau“, bei
dessen Verfilmung Saphia Azzeddine selbst Regie geführt hat. Jetzt ist ein neuer Roman
von ihr auf Deutsch erschienen, „Bilqiss“. Dina Netz hat ihn gelesen:
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Autorin:
Bilqiss ist eine typische Protagonisten eines Saphia Azzeddine-Romans: jung, schön –
und rebellisch. So rebellisch, dass sie zum Tode verurteilt wird. Bilqiss wollte zwar
eigentlich nur helfen. Da der völlig betrunkene Muezzin ihres Dorfes nicht imstande war,
zum Morgengebet zu rufen, hat sie den Job kurzerhand übernommen – und den Text um
die eine oder andere eigene Interpretation bereichert. Das allein wäre wahrscheinlich nicht
ausreichend Grund für die Steinigung, zu der sie anschließend verurteilt wird. Aber Bilqiss
war den Männern und auch vielen Frauen in ihrem Dorf ohnehin ein Dorn im Auge: Eine
schöne, junge Witwe, die allein lebt – das ist verdächtig. Und auch sonst widersetzte sie
sich mit Make-up, Stöckelschuhen und Gedichtbänden frech der unterwürfigen Rolle, die
ihre streng muslimische Umgebung für sie vorgesehen hatte.
Das Land, in dem Bilqiss lebt, benennt Saphia Azzeddine nicht, aber es hat viel
Ähnlichkeit mit dem Irak. Jedenfalls handelt es sich um ein Land im Nahen Osten, in dem
amerikanische Soldaten stationiert sind, die nach Auffassung der Dorfbewohner ihr Land
ins Unglück gestürzt haben.
Als der Roman einsetzt, ist Bilqiss bereits zum Tod durch Steinigung verurteilt. Saphia
Azzeddine erzählt das, was danach kommt, und das ist zu aller Überraschung nicht die
Steinigung, sondern es sind immer neue Verhandlungstage. Anders als die wütende
Menge im Gerichtssaal ist der Richter beeindruckt von Bilqiss, die in klugen und frechen
Schmähreden ihrem Publikum zum Beispiel vorwirft, den Koran zu missbrauchen. Wie
Scheherazade redet sie um ihr Leben. Bilqiss war übrigens auch der Name der weisen
Königin von Saba, die sowohl in der Bibel als auch im Koran erwähnt wird.
Frühere Frauenfiguren von Saphia Azzeddine waren psychologisch manchmal etwas
rätselhaft: Man fragte sich oft, woher bei diesen durchschnittlichen Dorfmädchen der
Drang zur Rebellion kam. Bilqiss' Aufsässigkeit leitet Azzeddine nun glaubwürdiger her:
Sie ist ohne Eltern aufgewachsen und musste sich also früh behaupten. Und so fiel der
Samen einer Lehrerin auf fruchtbaren Boden, die ihr Lesen und Schreiben beibrachte und
noch so allerlei andere freie Gedanken. Diese Lehrerin nahm sich wegen ihrer
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unglücklichen Ehe das Leben. Und ihr Ehemann war – ausgerechnet – der Richter, der
jetzt über Bilqiss' Schicksal zu befinden hat.
Auch aus seiner Sicht erzählt Azzeddine, und das macht den Roman besonders reizvoll:
Bilqiss ist keine einsame, strahlende Heldin, sondern sie muss sich auseinandersetzen:
mit dem Richter, der ihr eigentlich helfen will, und mit einer amerikanischen Touristin, die
angereist ist, um über Bilqiss' Fall zu berichten.
Die beiden Frauen liefern sich geradezu einen verbalen Krieg. Denn Bilqiss glaubt sich im
Recht, weil sie in der deutlich schwächeren Position ist und die Journalistin in ihren Augen
bloß Katastrophen-Tourismus macht und sich – Zitat – „an ihrer eigenen Menschlichkeit
berauschen“ will. Die Journalistin Leandra macht auch gar keinen Hehl daraus, dass sie
wieder in ihr reiches, westliches Leben zurückkehren wird und deshalb Skrupel gegenüber
der zum Tode Verurteilten hat.
Saphia Azzeddines Roman ist zuallererst eine bitterböse Abrechnung mit der
muslimischen Männer-Gesellschaft in diesem Dorf und diesem Land, aber sicher nicht nur
dort. Bilqiss wird zum Beispiel vorgeworfen, dass sie Auberginen und Zucchini am Stück
gekauft habe. Dieses Gemüse habe eine phallische Form und müsse deshalb vom
Verkäufer zerschnitten werden, wenn er es einer Frau überreicht. „Einem kranken Geist
entsprungene Absurditäten“ nennt Bilqiss das, und sie sieht ihre Hinrichtung sicher zu
Recht als einen symbolischen Akt der Rache an allen Frauen, die aufbegehren.
Das Thema Steinigung lässt es nicht vermuten, aber Saphia Azzeddine hat wieder einen
wahnsinnig komischen Roman geschrieben. Ihre Bilqiss verfügt, wie viele frühere
Azzeddine-Figuren auch, über sprühende Intelligenz, beißenden Spott und bissigen
Humor, sie ist frech und komisch zugleich. Ihr Gegenüber, die amerikanische Journalistin,
steht ihr aber in nichts nach. Die beiden liefern sich hochintelligente Wortgefechte mit Witz
und Esprit, in denen niemand bloß mit guten Absichten durchkommt und die viel
Erhellendes über die vertrackte Beziehung zwischen Orient und Okzident enthalten. Wer
mehr wissen will, lese also unbedingt: Saphia Azzeddine: Bilqiss. Aus dem Französischen
von Birgit Leib. Erschienen im Verlag Klaus Wagenbach. 176 Seiten kosten 20 Euro.
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