Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Jérôme Ferrari: Ein Gott ein Tier
Roman
Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
Secession Verlag. Berlin/Zürich 2017
110 Seiten
20 Euro
Rezension von Claudia Kramatschek
Dienstag, 07. März 2017 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Ein Mann zieht in den Krieg. Er möchte der Langeweile und Bedeutungslosigkeit
entkommen, die ihm in der stickigen Enge seines Heimatortes, einem kleinen Dorf in der
französischen Provinz, den Atem zu nehmen scheinen. Es ist die Zeit nach dem 11.
September 2001 – an den Kriegsschauplätzen der Welt werden Söldner gesucht, und so
zieht er in die Ferne, um sich endlich, inmitten des Gemetzels, zu beweisen: Er hat teil am
Leben. Tausende Kilometer entfernt ist eine Frau in eine andere Form des Krieges
gezogen: Sie heißt Magali, ist die Jugendliebe des Mannes – und arbeitet als
Headhunterin für ein großes Finanz-Unternehmen. Einst wollte sie Menschen in der
Psychiatrie helfen – nun geht sie täglich und mit immer mehr Erfolg auf die Jagd nach
Köpfen, Geld, Gewinn. Den Mann, der sie in jungen Jahren geliebt hat, hat sie längst
vergessen.
Dass sie ihn im Fernsehen, wo sie abends die Nachrichten aus der weiten Welt verfolgt,
unter den ausländischen Söldnern wiederentdecken könnte, ahnt sie nicht. Doch eines
Tages erhält sie einen Brief von ihm: Er sei zurückgekehrt in das Dorf der Kindheit – denn
die Welt läge in Trümmern: Sein bester Freund, auch ihn kannte der Mann seit
Kindheitstagen, ist vor seinen Augen von einer Autobombe getötet worden. Nun sucht er
Trost in dem, was war – und schreibt der Kindheitsfreundin in fiebrigen Worten zugleich
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von der Liebe Gottes, die grausam sei, da allmächtig und selbst den Tod und das
Gemetzel umfassend.
Bereits in seinem Roman „Und meine Seele ließ ich zurück“ schilderte der französische
Schriftsteller Jérôme Ferrari eine Welt, in der das Leben nur noch aus Krieg, Gewalt und
Tod besteht. Sein neuer Roman „Ein Gott ein Tier“ folgt dieser thematischen Spur –
schaut aber noch einmal tiefer hinein in die Abgründe dessen, was man das menschliche
Leben, die menschliche Seele nennt. Denn Ferraris Kombattanten – der Mann, die Frau –
ziehen nicht in ihre jeweiligen Kriege, um für oder gegen etwas zu kämpfen. Sie ziehen in
den Krieg einzig um des Krieges willen – sei es ein realer, sei es ein sinnbildlicher Krieg.
Denn der Krieg, das ist in diesem Roman zugleich auch ein Bild für das, was unser Leben
vermeintlich überhöht – weil der Mensch, so heißt es an einer Stelle, immer etwas braucht,
das größer ist als er. Ferrari zieht deshalb im Roman eine Parallele zwischen Krieg und
Kapitalismus. Der Roman wiederum bezieht daraus seine ganz eigene Drift. Der Gott, zu
dem wir beten, so sagt er uns, ist austauschbar – nicht aber seine zerstörerische Kraft.
Freiwillig, so Ferrari, verfallen wir der blutrünstigen Liebe dieses Gottes und richten uns
damit doch nur selbst. Tatsächlich weisen Ferraris Romane in all ihrer pessimistischen
Agnostik stets eine quasi-religiöse Note auf. So eröffnet auch „Ein Gott ein Tier“ mit dem
Gedicht eines persischen Sufi-Mystikers, der am Ende seines Lebens hingerichtet wurde
und als Märtyrer starb.
Dieses Gedicht setzt den Ton für alles Folgende: für den Verweis auf die quasi-mystische
Substanz des Krieges – aber auch für den Hohen Ton des Romans, der übrigens
durchgängig als inneres Selbstgespräch des Mannes in der Du-Form geschrieben ist. Im
Deutschen klingt das auf Dauer gerne mal anstrengend, manchmal auch betulich.
Christian Ruzicska meistert diese Hürde allerdings in seiner glänzenden Übersetzung –
und das gilt auch für die gewollte Verschachtelung der Sätze. In ihnen gleitet die
Perspektive zwischen Frau und Mann gekonnt hin und her und manchmal sogar
ineinander. Zugleich sind dem Roman Szenen aus dem Leben des persischen Mystikers
eingewebt, die Zeit und Raum der Handlung immer wieder unerwartet durchschneiden,
dadurch aber auch einen anderen Hallraum erschaffen. Denn natürlich geht es auch um
Gott, der hier ein gnadenlos Liebender ist. Die Dinge enden schlecht, so heißt es schlicht
und ergreifend gegen Ende dieses ebenfalls ergreifenden Romans. Denn der stellt eine
quälende Frage: Was wäre der Mensch, ohne Gott? Ein Tier? Oder endlich nur ein
Mensch? Eines ist sicher: Die Idee eines wohlwollenden Gottes verwirft der Autor mit
Verve – und mit Hilfe einer gleißenden Sprache.
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