SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Marie von Ebner-Eschenbach: Unsühnbar
Roman
Nachwort von Sigrid Löffler
Manesse Verlag Zürich
343 Seiten
22,95 Euro
Rezension von Martin Krumbholz
Freitag, 22.07.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die Zeit der großen Ehebruchromane: „Madame
Bovary“, „Anna Karenina“, „Effi Briest“. Weniger bekannt ist der 1889 veröffentlichte
Roman „Unsühnbar“ der Österreicherin Marie von Ebner-Eschenbach, der jetzt in der
Manesse Bibliothek der Weltliteratur neu ediert wurde.
Man ist unter Grafen. Der gesellschaftliche Kontext im kaiserlichen Österreich des späten
19. Jahrhunderts spielt in Marie von Ebner-Eschenbachs Roman „Unsühnbar“ eine
entscheidende Rolle. Die Mechanismen des Patriarchats greifen noch, die Frauen dürfen
kaum über sich selbst bestimmen, aber es gibt auch Anzeichen für einen Wandel des
sozialen Klimas. Gegen Ende dieses Ehebruchromans heißt es, die große Welt, die
öffentliche Meinung verdamme die Ehebrecherin nicht, im Gegenteil, sie bewundere sie
sogar. Die strengsten Richter habe sie hingegen in ihrer eigenen Familie gefunden. So
etwas kann man in Fontanes fünf Jahre später erschienener „Effi Briest“ nicht lesen.
Worin besteht der Skandal, und wieso ist er – glaubt man dem Titel – „unsühnbar“? Maria
von Wolfsberg wird von zwei Männern umworben: dem hochanständigen Hermann von
Dornach und dem etwas windigen, aber charmanten Felix Tessin. Ihr Herz, so glaubt sie,
schlägt für Letzteren. Ihr Vater aber hat bereits für sie entschieden, zugunsten des
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solideren Bewerbers; unter anderem auch deswegen, weil er selbst, der Graf von
Wolfsberg, sich in seinem bewegten Leben so manche Leichtfertigkeit gestattet hat. Davor
will er seine Tochter schützen. Maria heiratet also den integren Dornach, doch die
unterdrückte Leidenschaft kehrt ungebeten zurück: In einer schwachen Stunde oder in der
„Verirrung eines Augenblicks“, wie sie es nennen wird, gibt sie sich Tessin hin, wird dabei
schwanger. Und gerät unaufhaltsam in die „Hölle der Schande“.
Diesen Höllenfall hat Maria nicht zuletzt sich selbst zuzuschreiben. Denn statt ihrem
großmütigen, sie vergötternden Ehegemahl den einmaligen Fehltritt zu beichten – den sie
keineswegs zu wiederholen gedenkt -, verschweigt sie ihn und gibt Tessins Kind als das
ihres Gatten aus. Es ist paradoxerweise gerade Dornachs Großmut, die Maria dazu bringt,
den Seitensprung zu verschleiern: Denn sie vermutet, und wohl zu Recht, dass ihr Mann
sie nicht vor der Welt bloßgestellt, sondern einsam gelitten und die Fassade gewahrt
hätte; nicht aus Dünkel, sondern ihr zuliebe. Und eben dies will sie ihm auf keinen Fall
zumuten. Dornachs Illusion von einer heilen Welt soll um keinen Preis zerstört werden.
Ganz im Gegensatz zu Baron von Instetten, dem hintergangenen Ehegemahl in Fontanes
„Effi Briest“, zeichnet Ebner-Eschenbach ihren männlichen Protagonisten nicht als
hyperkorrekten, selbstgefälligen Pedanten. Bei ihr ist er ein zweiter Held, dessen
plötzlicher Tod nicht nur von Maria beweint wird. Erst nach seinem Tod hält Maria die Last
der Schuld nicht mehr aus, gesteht alles und setzt sich, quasi aus freien Stücken, dem
Skandal aus. Hierin liegt eine bemerkenswerte Volte. Denn die Autorin bündelt das ganze
Drama in der Person ihrer überaus liebenswürdigen Heldin, deren beinahe makelloser und
doch komplizierter Charakter den Kern des Romans bildet. Dass es sich bei Marias
Seitensprung, diesem kurzen Triumph der Sinnlichkeit, um ein „unsühnbares“ Vergehen
handele, ist nicht mehr als eine fixe Idee der Protagonistin – und die reaktionären
Familienangehörigen, die ihr darin recht geben, werden von der Autorin schonungslos
diskreditiert.
Wir schreiben das Jahr 1889. Und die Zeichen der Zeit beginnen sich zu ändern. Marie
von Ebner-Eschenbachs nun wiederentdeckter Roman gliedert sich nicht schlicht in ein
fertiges Genre, das des Ehebruchromans ein; er setzt eigene Prioritäten. Er ist wunderbar
zu lesen, ist von schönem, subtilen Humor, die Figuren sind authentisch und stark, und
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namentlich die Protagonistin Maria von Wolfsberg wird dem Leser mit ihrem Feinsinn, ihrer
Herzenswärme und auch ihren Schwächen unfehlbar ans Herz wachsen.
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