SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Janine di Giovanni: Der Morgen, als sie uns holten, Berichte aus Syrien S.Fischer Verlag 20 Euro Rezension von Conrad Lay Donnerstag, 20. Oktober 2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Über fünf Jahre dauert der syrische Bürgerkrieg schon, und ein Ende ist nicht abzusehen. Wie erleben die Menschen im Innern des Landes diesen Krieg? Die amerikanische Kriegsreporterin Janine di Giovanni, die zuvor schon in Bosnien, im Irak, in Afghanistan und mehreren afrikanischen Ländern Kriege hautnah erlebte, begab sich von 2012 bis 2014 zu Recherchen nach Syrien. Ihren Berichten hat sie den Titel gegeben „Der Morgen, als sie uns holten“. Für das Buch erhielt sie den „Courage in Journalism Award“. Conrad Lay hat es gelesen. Die Berichte Janine di Giovannis zeichnen sich gegenüber anderen Büchern über Syrien durch zwei Merkmale aus: Erstens beschreibt sie den Übergang vom Alltag, von der Normalität, in den Krieg: da ist von opulenten Partys mit aufwendigen sunnitischen oder schiitischen Zeremonien die Rede, von Poolpartys, Freizeitparks und Straßen, die von Luxuslimousinen verstopft sind. Doch die Geschwindigkeit, mit der das alltägliche Leben zusammenbricht, ist überwältigend. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Und zweitens spricht sie sowohl mit Kämpfern der Rebellen als auch mit An-hängern des Assad-Regimes, vor allem aber mit vielen, die diesen Krieg einfach erleiden. Couragiert und mit viel Mitgefühl versucht die amerikanische Reporterin zu begreifen, was der Krieg aus den Menschen macht. Da ist von Rebellen die Rede, die mehr oder weniger in die kriegerische Auseinandersetzung hineingezwungen wurden, von Folteropfern, die sich schämen, vergewaltigt und misshandelt worden zu sein, aber auch von Geschäftsleuten, die hunderprozentig hinter der Assad-Regierung stehen und nicht wollen, dass ihre Welt sich ändert; lieber leugnen sie, dass die Regierung aufständische Stadtviertel bombardiert und Menschen foltert. Vor allem aber wird in diesen Kriegsberichten das Elend jener Menschen deutlich, die in ihren belagerten Städten ausharren. Janine di Giovanni erzählt hautnah und sehr persönlich, unter welchen Umständen sie diese Menschen kennengelernt hat: wie sie durch die Tunnel der Ruinen von Aleppo gekrochen ist, vorbei an Durchlässen in Häuserwänden, die dort „Mauselöcher“ genannt werden; wie sie mit den Soldaten wartet, bis die gegnerischen Scharfschützen zu schießen aufhören. Und zwischen den verfeindeten Parteien stecken die Bewohner fest. Eine des Krieges überdrüssige Schiitin aus Homs, die sich mit ihren Nachbarn zusammengeschlossen hat, meint zu der Amerikanerin: „Die Rebellen, die angeblich für die Freiheit kämpfen, können diese behalten, wenn wir einen so hohen Preis dafür bezahlen müssen.“ Janine Di Giovanni erlebt mit, wie sich das Land unter dem Eindruck kriegerischer Brutalitäten radikalisiert, wie das Wiedererstarken religiöser Bindungen das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl zerreißt: nun ist man nicht mehr Syrer, sondern Sunnit oder Schiit oder Alawit, und am Ende ist jeder des anderen Feind. Assad habe – so die Ansicht der Autorin – deshalb eher Unterstützung bei Minderheiten wie Alawiten und Christen gefunden, weil seine Regierung wenigstens dem Anschein nach national geprägt war, also die Nationalität offiziell mehr galt als die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft. Warum wird eine junge Amerikanerin wie Janine di Giovanni Kriegsreporterin? Was zieht sie immer wieder dorthin, wo Leid und Brutalität herrschen? Mitten im syrischen Bürgerkrieg lernt sie Steven Sotloff, einen amerikanischen Journalisten, kennen. Unablässig macht er Witze, sein Leben sei im Arsch wie das Leben aller Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Auslandskorrespondenten. „Würdest du dir nicht auch wünschen, du wärst nicht so von Syrien besessen?“ fragt der Kollege die Autorin. Wenig später wird er entführt, an den IS verkauft und von den sog. „bärtigen Typen“, wie er sie nennt, enthauptet. Die Recherchen der Autorin stammen aus den Jahren 2012 bis 2014; sie haben nichts an Aktualität verloren, im Gegenteil. Eine äußerst eindrückliche, ja aufwühlende Lektüre. Wer nicht vorher schon Pazifist war, nach der Lektüre dieses Buches könnte er es werden - so wie viele Bewohner Syriens am Sinn kriegerischer Auseinandersetzungen zu zweifeln beginnen. Die politischen Argumente verschwinden für sie hinter dem untröstlichen Schmerz, dem tiefen Gefühl des unwiederbringlichen Verlustes. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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