SWR2 DIE BUCHKRITIK

SWR2 MANUSKRIPT
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SWR2 DIE BUCHKRITIK
Włodzimierz Nowak: Das Herz der Nation an der Bushaltestelle
Polnische Reportagen
von Joanna Manc aus dem Polnischen übersetzt
Klak Verlag
16,90 Euro.
Rezension von Marta Kijowska
Donnerstag, 25. August 2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Der Warschauer Reporter Włodzimierz Nowak gilt in Polen als einer der Besten seines
Fachs. Vor einigen Jahren machte er auch in Deutschland von sich reden, als seine
Reportagen-Sammlung Die Nacht von Wildenhagen erschien, für die er hervorragende
Kritiken und den Ehrenpreis des Georg-Dehio-Buchpreises erhielt. Nun liegt unter dem
Titel Das Herz der Nation an der Bushaltestelle ein neuer Band seiner Texte auf Deutsch
vor.
SPRECHERIN: Wenn früher einmal von polnischen Reportern die Rede war, wurden
meistens zwei Namen genannt: Hanna Krall und Ryszard Kapuściński. Heute spricht man
bereits von einer „polnischen Schule der Reportage“ und denkt dabei in erster Linie an die
Journalisten der Warschauer Tagezeitung Gazeta Wyborcza, allen voran an Włodzimierz
Nowak, der seit einiger Zeit die Reportagen-Beilage des Blattes leitet. Dort sind auch die
neunzehn Texte erschienen, die in dem Band Das Herz der Nation an der Bushaltestelle
versammelt sind.
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Zwischen 1998 und 2013 entstanden, unterscheiden sie sich gravierend von denen
aus der ersten Sammlung: In Die Nacht von Wildenhagen zeigte Nowak anhand einzelner
Schicksale die Schnittstellen der deutschen und der polnischen Geschichte – in Das Herz
der Nation nun erzählt er ausschließlich von den heutigen Problemen der Polen. Er bereist
die polnische Provinz – Kleinstädte, Dörfer, ehemalige Landwirtschaftsgenossenschaften
– und porträtiert Menschen, deren Leben sich nach dem Sturz des Kommunismus radikal
verändert hat. Oder, um mit Gesine Schwan zu sprechen, die das Vorwort zu diesem
Band schrieb, er porträtiert „Menschen in ihrem Alltag, mit ihren Sorgen, ihrem
Realitätssinn,
zugleich
aber
auch
mit
ihren
anrührenden
Träumen
und
ihrer
bewundernswerten Energie, immer wieder neue Anläufe zu nehmen und trotz allem für ihr
Leben ein wenig Sinn zu erhaschen.“
Allzu oft finden sie diese Energie in sich allerdings nicht. Armut, Krankheit,
Hoffnungslosigkeit – das ist vor allem der Stoff, aus dem Nowaks Reportagen gemacht
sind. Eine Frau, die ihren behinderten Sohn pflegt und schließlich aus Verzweiflung mit
ihm zusammen von einem Wohnblock springt. Ein Mann, der im Rollstuhl sitzt und an der
deutsch-polnischen Grenze ein Bordell bauen lässt, weil er dies für die beste Investition
hält. Eine Clique, die Autounfälle verursacht, um von der Versicherung einen
Schadenersatz zu erschwindeln. Bewohner eines LPG-Kaffs, für das die Regierung ein
Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erlassen hat. Ein Junge, der bei seinem
ersten Job in einer Bonbonfabrik ums Leben kommt, weil er in die Mischmaschine mit der
Schokoladenmasse gefallen ist. Ein Traktorfahrer, der ernsthaft daran glaubt, dass die
Arbeiter aus seinem ehemaligen Kombinat dazu bestimmt seien auszusterben, weil es zu
viele Menschen auf der Welt gebe. Junge Emigranten, die in Amerika ihr Glück suchen,
dabei aber meist in Greenpoint, dem Polen-Viertel New Yorks, landen, wo sie schnell ihren
Kampfgeist verlieren. – In seinen Geschichten aus der Realität lässt Nowak deutlich
erkennen, dass die Belange der kleinen Leute sein wichtigstes journalistisches Thema
sind.
Dabei beweist er erneut, wie gut er sein Handwerk beherrscht, und lässt zugleich
seine unverwechselbare Reporterhandschrift wiedererkennen. Dazu gehören sein stets
um Neutralität bemühter, präziser Erzählstil, seine exzellente Beobachtungsgabe, seine,
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wie es scheint, grenzenlose Bereitschaft, den begegneten Menschen aufmerksam
zuzuhören, und nicht zuletzt seine Liebe zum Detail – man spürt förmlich, welcher
Zeitaufwand hinter jeder seiner Recherchen steckt.
Als begabter Schüler der anfangs genannten Altmeister erweist er sich übrigens
auch. Mit Hanna Krall verbindet ihn der Hang zur Lakonie und Sachlichkeit. Mit Ryszard
Kapuściński hat er die Fähigkeit gemein, individuelle Schicksale so zu erzählen, dass
dahinter gesellschaftliche und historische Mechanismen sichtbar werden. Wer seine
Reportagen liest, auch die älteren Datums, bekommt einiges von dem polnischen
Lebensgefühl jenseits der Metropolen mit – und kann dadurch besser die heutige
innenpolitische Lage in Polen verstehen: Die Wähler von Jarosław Kaczyński und dessen
Partei „Recht und Gerechtigkeit“, das sind die Protagonisten in Włodzimierz Nowaks
Reportagen.
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