SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Abdel Bari Atwan: Das digitale Kalifat Die geheime Macht des Islamischen Staates Aus dem Englischen von Laura Su Bischoff Beck Verlag 2016 299 Seiten 16,95 Euro Rezension von Constantin Fellner Donnerstag, 18. August 2016 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Die Uferpromenade in Nizza, eine Regionalbahn in Würzburg: längst hat der IS-Terror Europa erreicht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es auch in Deutschland zu größeren Anschlägen mit vielen Toten und Verletzten kommt. Die Zeit drängt, der Westen muss gemeinsam mit der friedlichen Mehrheit der Menschen in den arabischen Ländern handeln und das Krebsgeschwür des Islamischen Staates besiegen. Diese Forderung stellt der palästinensisch-britische Autor Bari Abdel-Atwan in seinem Bestseller „Das digitale Kalifat“, der nun auf Deutsch erscheint. Der islamische Fundamentalismus ist so alt wie die Idee des Westens. Er entsteht im 18. Jahrhundert in der Wüste Saudi-Arabiens im Schatten des Niedergangs des Osmanischen Reiches, zeitgleich zur Atlantischen Revolution, und er versteht sich von Anfang an als dritte Potenz im Great Game zwischen Atlantischer und Eurasischer Welt. Abdel Bari Atwan hat ein Buch vorgelegt, in dem er Geschichte und Gegenwart dieses islamischen Fundamentalismus intensiv ausleuchtet. Nun ist The digital Caliphate bei Beck in deutscher Übersetzung erschienen. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Atwan gilt als Sprachrohr des arabischen politischen Intellektualismus, seit er 1989 die Tageszeitung Al-Quds Al-Arabi in London aus der Taufe hob, die er ein Vierteljahrhundert lang leitete. Für ihn ist der Islamische Staat ist ein Geschöpf der 300 Jahre alten Auseinandersetzung zwischen England bzw. später den USA und Russland – einer Auseinandersetzung, die entgegen dem niedlichen Klischee der „Wende“ 1990 nicht zu Ende ging. Seitdem nämlich streiten die USA und Russland um die Vorherrschaft über die Ölreserven Eurasiens. Bodentruppen wollen sie freilich bislang nicht schicken, und in dem daraus entstandenen Vakuum hat sich der IS eingenistet. Das ist die geopolitische Dimension des neuen Islamismus. Strukturell ist er für Atwan ein Produkt des digitalen Wandels und der Globalisierung. Was im Westen anschwellender Rechtspopulismus anrichte, erledige im Orient der IS, der mittlerweile via YouTube und Facebook Kämpfer und Sympathisanten aus aller Welt rekrutiert, darunter nicht wenige westliche Konvertiten, die sich aus einem diffusen Unbehagen in der Kultur mit Gewalt gegen die Grundfesten aller Zivilisation kehren. Ausführlich erörtert Abdel Bari Atwan die raffinierte Propagandastrategie des IS, der mit Real-Time-Videos eigener Gräueltaten längst Snapchat und Periscope gekapert hat und so den medial hochgerüsteten Westen mit seinen eigenen Mitteln bekämpft. Atwan liefert aufschlussreiche Einblicke in die Organisation des IS unter dessen selbsternanntem Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi: eine Welt voller Drogen, Hass und Menschenverachtung: ein Höllenszenario, das – leider – auf westliche Fernsehgewohnheiten durchaus attraktiv wirke. Doch Atwan betreibt in seinem Buch nicht nur eine Anatomie des digitalen Islamismus, sondern auch politische Wissenschaft. So beleuchtet er in einem der interessantesten Kapitel die zwielichtige Rolle Saudi-Arabiens. Das wahabitische Königreich ist enger geopolitischer Verbündeter der USA und wichtigster Finanzier islamistischer Terrororganisationen zugleich: von den Mudschaheddin in den Achtzigern über Al-Quaida in den Neuzigern bis nun zum Islamischen Staat. Die unselige Spaltungspolitik des Westens – daran besteht für Abdel Bari Atwan kein Zweifel – hat zur tiefen Verunsicherung der dortigen Bevölkerung geführt und sie anfällig gemacht für fundamentalistische Befreiungsideologien. Dabei wäre Freiheit, das zeigt die Geschichte des Westens, auch ohne Fundamentalismus zu haben. Die Frage stellt sich – für Atwan und für seine Leser –, wie ernst es uns mit dieser Freiheit ist, wie ernst wir das Projekt nehmen, den Orient an Europa heranzuführen. „Wirksame ideologische Gegenwehr gegen den radikalen Islam im Allgemeinen und den Islamischen Staat im Besonderen müsste“, so Abdel Bari Atwan, „von einer mächtigen islamischen Persönlichkeit oder Bewegung gebündelt und getragen werden, hinter der sich die Menschen scharen.“ An so einer Person fehlt es freilich im Moment. Im Westen besitzt kein Spitzenpolitiker die nötige Glaubwürdigkeit bei den Arabern. Und im Nahen Osten ohnehin nicht. Fest steht aber eines: wird dem Islamischen Staat nicht wirksam Einhalt geboten, wird sich das Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Lauffeuer weiter ausbreiten. Die jüngsten Anschläge in Europa sprechen eine klare Sprache. Und so viel ist nach dieser Lektüre klar: das digitale Kalifat lässt sich nicht mehr regional einhegen. Es ist ein globales Phänomen: in seiner Kommunikation, seinem Einsatzgebiet und seinem Recruitment. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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