Manuskript downloaden

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Rüdiger Görner: Levins Abschied
Erzählungen und Impressionen
Sonderzahl Verlag, Wien 2016
233 Seiten
18 Euro
Rezension von Martin Grzimek
Donnerstag, 26.01.2017 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
SWR2 MANUSKRIPT
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten
Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung
bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR
Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?
Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen
Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen.
Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen
Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.
Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
Sind Worte tauglich, um die Komplexität der Welt darzustellen? Dies ist die Frage, die
Rüdiger Görner in seinem Erzählband „Levins Abschied“ umtreibt. Dass darin das Problem
von Hofmannsthals Lord Chandos anklingt, dem die Sprache zerfiel und der keine
Verbindung mehr zwischen Sprache und Wirklichkeit sehen konnte, ist kein Zufall. Der
knapp 60jährige Görner ist Germanist und hat sich intensiv mit den Schriften Hugo von
Hofmannsthal beschäftigt. Schon in seinem ersten Text „Im Lektorat“ schreibt Görner:
„Schongauer sagte von sich, er lebe vereinzelt“, ein Satz, der innerhalb der Geschichte
sogleich in Frage gestellt wird. „Das sei jetzt auch wieder so ein Satz, meinte Sharon,
meine Lektorin, (...) das gehe nun ganz und gar nicht, keinesfalls als erster Satz einer
Erzählung (...). Was das überhaupt heiße, vereinzelt leben. Das erklärten die folgenden
Sätze, sagte ich. Eben nicht, konterte sie.“ (Zitatende) Und so sind wir inmitten eines
Streitgesprächs, in dem es neben der Glaubhaftigkeit der Worte vor allem auch um die
„Weltfähigkeit“ heutiger Literatur geht und eben nicht um das Thema der „Vereinzelung“.
Daher lehnt Sharon, die junge hübsche Lektorin, brüsk das Manuskript ab und rät dem
Autor, sich entweder einen anderen Beruf oder einen anderen Verlag zu suchen. „Wie
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
SWR2 MANUSKRIPT
sollte es weitergehen, nachdem mich Sharon so hatte fallen lassen?“, fragt sich der fiktive
Autor, und wie es „weiterging“ führt uns dann Rüdiger Görner auf den folgenden 220
Seiten in einunddreißig Geschichten und Kurzprosatexten vor. Vor allem sieben längere
Erzählungen zeigen, dass der Autor selbst viel auf Reisen ist und uns eine
beeindruckende „Weltfähigkeit“ bezeugt, hinter der seine Zweifel an der Sprache völlig
zurücktreten und plötzlich fadenscheinig wirken. Ganz selbstverständlich sind wir mit ihm
in Ägypten oder Italien, Japan oder Österreich, England oder auch in der Hauptstadt
Frankreichs unterwegs. „Pariser Legende“ heißt eine der überzeugendsten Geschichten.
Mit dem Autor schlendern wir durch Pariser Straßen und folgen seinen bruchstückhaften
Beobachtungen von Plätzen, von Cafés und den sie bevölkernden Menschen. Insofern er
die beobachteten Personen nicht nur begleitet, sondern gleichsam in sie hineinschlüpft,
erlaubt es der Rollentausch auch die Gefühle und Stimmungen der Protagonisten
nachzuvollziehen. Einen ganz anderen Ton schlägt die Titelerzählung „Levins Abschied“
an. Dort dreht sich alles um nichts als die Seelenlage des Erzählers. „Ich, ein Winkender
namens Levin“, heißt es, „(...) ich sammle Abschiedsszenen, Fotos von traurigen
Menschen. Auf den Bahnhöfen. Mütter mit Kopftuch, straffe Knoten, das Gesicht aufgelöst
in Tränen. Winkende Söhne.“ Wir treffen auf eine verwirrende Additionsprosa
verschiedener Schmerz- und Abschiedsszenen. So entsteht zwar eine Vielfalt von
angedeuteten Charakteren und Episoden, die jedoch hauptsächlich davon zeugen, dass
nicht seine Figuren, sondern der Autor „weltfähig“ ist. Die Gespreiztheit oberflächlicher
Darstellungen zeigt sich auch in manchen kurzen Impressionen des Bandes. So etwa in
einer „surrealen Weihnachtsmeditation“ über einen „Engel von Salvatore Dali“. „Aus
Gräbern gluckst ein Hosiannah“, schreibt Görner, „und in der Höhe kreuzen sich
Kondensstreifen: Engelspuren, sagte man früher. Das Engel“ – Görner stilisiert hier den
Engel zu einem Neutrum – „sieht jetzt schwarz aus wie nach dem erneuten Eintritt in die
Erdatmosphäre, denn Schutzanzüge trägt er nicht (...) Engel der Friedensrache am Krieg.“
(Zitatende) Das verstehe, wer will. „Ich denke mit Augen und Ohren“, heißt es in einem
dieser Kurztexte. Gegen die Hervorhebung von Sinnlichkeit ist nichts einzuwenden.
Allerdings muss sie sich, um in Geschichten zum Tragen zu kommen, in Sprache
umwandeln. Leider können nur wenige von Rüdiger Görners Prosatexten davon ein
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
SWR2 MANUSKRIPT
gelungenes Beispiel geben. Als quasi fast lesefeindlicher Umstand kommt hinzu, dass sich
das bei Sonderzahl erschienene Buch wegen seiner ultrafesten Leimbindung kaum
aufschlagen lässt.
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.