SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Botho Strauß: Oniritti. Höhlenbilder Hanser Verlag, München 2016 280 Seiten 22 Euro Rezension von Wolfgang Schneider Dienstag, 28. Februar 2017 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Es rumort unter der Bühne der Gegenwart. Archaisch-Mythisches drängt herauf oder zieht herunter. Stollen, Unterwelten, Höhlen, Höhlungen und Hadesbezüge jeder Art – das ist die Bildwelt von „Oniritti“, dem mit fast dreihundert Seiten umfangreichsten Prosawerk von Botho Strauß seit langem. Es sammelt ein halbes Tausend dunkler Kurzgeschichten, Szenen, Glossen, Denkbilder und Parabeln, die nur in losen Zusammenhängen stehen. „Oniritti“ ist eine Wortschöpfung, die „Graffiti“ und „Oneiros“ kreuzt, das altgriechische Wort für „Traumgesicht“. Bildschriften auf der Höhlenwand der Nacht – darum geht es. Nun soll man aber nicht glauben, Botho Strauß hätte tatsächlich eine Art Traumtagebuch verfasst. „Traum“ ist hier die poetologische Maxime eines Schreibens, das die Wirklichkeit ins Surreale treibt und traumartige Bilder zu fixieren sucht, als wären es Geschichten, die auf sinngebende Pointen zulaufen, auch wenn diese im nächsten Moment wieder zerstäuben. Der Erzähler nimmt sie also genau in Augenschein, die „Traumliebeskämpfe“ und die „höhnischen Fresken“, die – Zitat – Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT „aus der Kuppel der Nacht auf dich herabschielen“. Da lesen wir von einer „Riesenschläferin“ im Mauerwerk, da verschwindet ein Mann in mysteriöser Umstülpung durch sein eigenes Ohr, da erfahren wir von dem „Vergrößerten“, der in einem Handschuhgeschäft vom Riesenwuchs ereilt wird, staunen über die Frau, die von schnappenden Türen verfolgt wird, oder über den Mann, der von seinem eigenen Haus ausgekippt wird. Hintersinnige Grotesken jener Art sind dies, wie sie der straußbegeisterte Schriftsteller Heinz Strunk vor zwei Jahren in einem StraußLesebuch mit dem Titel „Der in sein Haus zurückgestopfte Jäger“ versammelt hat. Die spezifische Komik des Traums kommt dabei nicht zu kurz. Denn, so Strauß: „Mancher lacht nur im Schlaf und sonst nie.“ Die Prosastücke schwelgen nicht im Irrationalen, sondern bieten die nächtlichen Stoffe in konziser, geschliffener Erzählkunst dar. Botho Strauß ist ein Augenmensch; die ineinander wirkenden Kräfte des scharfen Beobachtens und reflektierenden Ergründens geben seiner Prosa den Puls. Im Kern ist das ein aphoristisches Verfahren, denn dem guten Aphorismus gelingt in knapper Formulierung genau dies: die pointierte Verbindung von Anschauung und Denken. Zu den großen mythischen Kontexten dieses Buchs gehören Platons Höhle ebenso wie die labyrinthischen Carceri des Architekturvisionärs Piranesi und die Höllenschlünde Dantes. Und, weniger bekannt, hier jedoch zum literarischen Zentralgestirn erhoben: Francesco Colonnas phantasmagorisch illustrierter Renaissanceroman „Hypnerotomachia Poliphili“ aus dem Jahr 1499. Zur Mythomanie kommt bei Strauß allerdings eine hartnäckige Treue zur modernen Ästhetik des Fragments. Dass Strauß keine Romane schreibt, schon gar nicht im herkömmlich durcherzählten Sinn, hat damit zu tun, dass er mit jedem Satz aufs Ganze geht. In prägnanter Kürze versucht er, einer Erscheinung beizukommen, eine Physiognomie zu durchdringen, eine Handlung oder Gebärde durchsichtig zu machen. Ein Romancier dagegen schreibt immer in Hinblick auf einen nächsten Winkelzug des Plots, den nächsten Cliffhanger, das Finale. Botho Strauß mag sie nicht: diese, wie er schreibt, „geschickt geschriebenen Romane voller schlechtgesehener Menschen“. „Jeder in seiner Grube, Nische, Höhle“ – verstärkt denkt man dabei heute an die digitalen Höhlen, von deren Wänden die Echos der eigenen Meinungen netzverstärkt zurückhallen. Auch wenn in diesem Band das Erzählerische überwiegt, die Leitmotive der Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Straußschen Kultur- und Medienkritik sind gut zu vernehmen: „Und der Wahnsinn fuhr in die Netze. Unaufhörlich tröllerten die Telefone“, heißt es einmal. Der Verlust der Intimität und der Niedergang des Eros gehören zu den Grundthemen. Für diejenigen, die Botho Strauß als „Reaktionär“ aussortieren möchten, bietet „Oniritti“ aber wenig Angriffsfläche. Hier ist stattdessen einer der interessantesten, klügsten und herausforderndsten deutschen Schriftsteller zu vernehmen, kein Überzeugungstäter. An Überzeugungen, notiert er, störe die „Enge des Ausgesagten, das Grundfalsche schon im Stil des Feststellens und Argumentierens“. Dieses „Grundfalsche“ – wer daran leidet, etwa beim Anschauen von Talkshows, der besitzt die richtige Sensibilität für dieses Lektüre. „Oniritti“ ist ein reichhaltiges Lesebuch, das man in kleinen Portionen zu sich nehmen sollte. Manche Texte bleiben kryptisch, andere öffnen sich wie merkwürdige Nachtgewächse, und man liest sie gleich zweimal. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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