Manuskript
Der Bayernkommentar
Arm im reichen Bayern, die Kehrseite der Medaille
Von Rudolf Erhard
Redaktion Landespolitik
Samstag, 23. April 2016
11.50 Uhr in der Bayernchronik
Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden.
Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich!
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Arm im reichen Bayern. Ein Satz, der aufhorchen lässt. Ist das wirklich so im Freistaat mit
seinen Spitzenpositionen bei Wohlstand, Arbeitsmarkt, sozialer Teilhabe und Integration? Ja,
sagen die Zahlen, und belegen zwar nicht direkt Armut, sondern nur eine Armutsgefährdung.
Die ist in den letzten Jahren auf 11,5 Prozent der Bevölkerung angestiegen. Das sind mehr
als 1,7 Millionen Menschen. Betroffene die Bayern bestimmt nicht - wie ihr Ministerpräsident
- als Vorstufe zum Paradies empfinden. Das ist auch den Sozialpolitikern in Bayern bewusst,
was diese Woche eine erfreulich sachliche Diskussion des aktuellen Sozialberichts im
Landtag bewies. Ein Satz wurde da parteiübergreifend mehrfach zitiert: Die Stärke einer
Gesellschaft bemisst sich daran, wie sie mit den Schwächsten umgeht. Große Worte, denen
dann aber auch Taten folgen müssen. Quer durch alle gesellschaftlichen Organisationen, ob
nun staatlich oder nicht, ob kommunal oder regional. Es ist ein Skandal, dass in den
Ballungsräumen die Zahl der Obdachlosen steigt, weil sich immer mehr
Wohnungssuchende, vor allem in den Metropolregionen München und Nürnberg, die Mieten
nicht leisten können. Hier muss gegengesteuert werden. Immerhin wird jetzt versucht die
wohnungslosen Menschen in Bayern wenigstens zahlenmäßig zu erfassen. 0,1 Prozent
sollen es nur sein, heißt es im sozialen Datenreport der Staatsregierung. Was heißt hier nur,
es sind zu viele! Denn ein Mensch ohne Wohnung ist ein gesellschaftliches Nichts. Mutmaße
bitte auch keiner, wie viele dieser 12 000 wohnungslosen Mitbürger in Bayern ihr Schicksal
selbst mitverschuldet haben. Alle brauchen sie Hilfe. Im reichen Bayern muss der Sozialstaat
Mittel und Wege finden Wohnungslose aufzufangen. Die gibt es übrigens in allen
Altersgruppen, schwerpunktmäßig sogar zwischen 30 und 60 Jahren. 35 000 Menschen
warten derzeit in Bayern auf eine Sozialwohnung. Das klingt auf den ersten Blick nicht
überwältigend viel, aber hinter allen Fällen stecken die Ängste in Armut abzugleiten, mit
schwindender Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Es gibt zudem eine hohe Zahl an
Menschen, die zwar eine Wohnung haben, aber von Miete und Nebenkosten an den Rand
ihrer finanziellen Belastbarkeit getrieben werden. Die müssen dann für ihren sonstigen
Lebensunterhalt jeden Euro umdrehen. Darunter sind vor allem viele ältere Rentnerinnen,
die sich größtenteils schämen, Grundsicherung zu beantragen, weil sie nicht dem Staat zur
Last zu fallen wollen. Die CSU-Regierungsfraktion im Landtag wählte trotzdem als
Kommentar zum aktuellen Sozialbericht den Satz, „in Bayern kann man sehr gut alt werden“.
Darüber können wohl die mehr als zehn Prozent der vom Armutsrisiko bedrohten Bürger nur
lachen. Darunter sind kinderreiche Familien, Menschen mit Behinderung oder Eltern, die
wegen der Fürsorge für ein behindertes Kind nur noch Teilzeit arbeiten können.
Der Arbeitsmarkt in Bayern, in vielen Regionen nahe an der Vollbeschäftigung, wird bei jeder
monatlichen Statistik gelobt. Die Perspektivlosigkeit vieler Langzeitarbeitsloser, vor allem
jenseits der 50, wird dabei aber allzu gerne vergessen. Was fehlt im reichen Bayern ist ein
Ruck für eine gesellschaftliche Offensive gegen das steigende Armutsrisiko. Ein Feuerwerk
an Ideen wurde dafür diese Woche im Landtag gefordert, ein paar erhellende Leuchtraketen
wären aber auch schon ein Anfang. Staat und Kommunen müssen verstärkt in öffentliche
Beschäftigungsgesellschaften investieren und in bezahlbaren Wohnraum. Das dafür
notwendige Geld spült die anhaltende Konjunktur gerade jetzt in die öffentlichen Kassen.
Jeder Euro, der in die soziale Fürsorge investiert wird, bringt hier doppelte bis dreifache
Wirkung.
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