Die Geister, die man ruft…

Manuskript
Der Bayernkommentar
Die Geister, die man ruft… - Hetzparolen im Internet
Von Ernest Lang
Redaktion Landespolitik
Samstag, 12. Dezember 2015
11.50 Uhr in der Bayernchronik
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© Bayerischer Rundfunk 2015
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Es gehört zu den Stilmitteln der politischen Auseinandersetzung, dass man Aussagen verkürzt,
den politischen Gegner bewusst missversteht und die Blöße des Anderen ausnutzt, um bei der
eigenen Anhängerschaft zu punkten. Diese politische Holzhackerei wird in Sonntagsreden selbst
von Politikern beklagt, aber sie ist Teil des politischen Geschäfts. Wegen Ihrer Immunität, also
ihrem Schutz vor Strafverfolgung, müssen die Abgeordneten sogar bei ihren absichtlichen Fouls
in der politischen Auseinandersetzung keinen Feldverweis fürchten.
Deswegen hat die Strafanzeige, die die Vorsitzende der Landtagsfraktion der Grünen, Margarete
Bause, nun gegen ihren politischen Widerpart, den CSU-Fraktionsvorsitzenden Thomas Kreuzer,
eingereicht hat, bestenfalls demonstrativen Charakter. Man muss kein Jurist sein, um zu erkennen, dass diese Anzeige kaum strafrechtliche Folgen haben wird. Doch darum geht es auch nicht.
Die Anzeige lenkt den Blick auf ein neues Spielfeld der öffentlichen Auseinandersetzung, dessen
Verlockungen Politiker erliegen und dem Juristen zu wenig Aufmerksamkeit widmen: Dem
Internet. Was ist im konkreten Fall passiert?
Florian Herrmann, innenpolitischer Sprecher der CSU-Fraktion und Jurist, hat sich in einem
Facebook-Beitrag darüber empört, dass Claudia Roth, Bundestagsvize-Präsidentin der Grünen,
bei einer Demonstration mitmarschiert ist, bei der gerufen wurde: „Deutschland, Du mieses Stück
Scheiße!“ Roth trage damit zur Radikalisierung der Gesellschaft bei, urteilte Herrmann. Wie die
Veranstaltung tatsächlich abgelaufen ist, wer sie organisiert, wer gerufen, gegen wen sich die
Demo gerichtet und welche Rolle die Politikerin der Grünen dabei gespielt hat, das schrieb
Herrmann nicht. Es reichte ihm, dass Roth mitmarschiert ist. Die Verkürzung wurde dabei zur
Mistgabel in der politischen Rangelei. Geschenkt, auch Roth ist in der politischen Auseinandersetzung kein Kind von Traurigkeit. Aber der Zauberlehrling Herrmann hat mit seinen Ausführungen im Internet eine Lawine von Hetz- und Hassparolen gegen Roth ausgelöst, die bis zu
Morddrohungen gingen. Diese Auswürfe waren tagelang auf den Seiten der CSU-Fraktion nachzulesen. Damit sind wir beim Kernproblem, das vom aktuellen Fall wegführt:
Unter der scheinbaren Vorgabe einer demokratischen Mitmach-Kultur kann im Internet jeder
Wichtigtuer, jede Dumpfbacke, jeder Hetzer seine Meinung verbreiten und sich hinter der Anonymität verstecken. Er muss weder seinen richtigen Namen, noch seine Adresse angeben – und
findet seine Meinung dann weit verbreitet und für jedermann nachlesbar. Welcher Anreiz ist das
für die gequälte Seele, so richtig die Sau herauszulassen!
Es war früher ein eherner Grundsatz, dass anonyme Briefe in den Papierkorb wandern, dass man
anonymen Schreibern keine Plattform gibt. Das ist im Internet-Zeitalter vorbei. Als Journalist muss
ich wissen, dass ich für beleidigende Äußerungen Anderer verantwortlich gemacht werden kann,
wenn ich diese verbreite, so sie nicht notwendiger Bestandteil der Berichterstattung sind. Bei den
Kommentaren im Netz wird diese Verantwortung oft sehr nachlässig wahrgenommen. Oder die
diffamierenden Kommentare sind Bestandteil der politischen Auseinandersetzung, man lässt
andere für sich schreiben. Denn dass die Profis in der CSU-Fraktion tagelang aus Personalmangel keine Zeit hatten, die schlimmsten Hetzparolen zu löschen, das muss man nicht glauben. Ob
und wie die CSU die rechtsradikalen Geister, die sie hier ruft, wieder los wird, darauf darf man
gespannt sein. Und vom Verlust der politischen Kultur reden wir erst lieber gar nicht.
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