Manuskript Der Bayernkommentar Die Geister, die man ruft… - Hetzparolen im Internet Von Ernest Lang Redaktion Landespolitik Samstag, 12. Dezember 2015 11.50 Uhr in der Bayernchronik Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0 18 01 / 10 20 33 (Der Anruf kostet 4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz / Mobilfunk max. 42 Cent/Min.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 1 Es gehört zu den Stilmitteln der politischen Auseinandersetzung, dass man Aussagen verkürzt, den politischen Gegner bewusst missversteht und die Blöße des Anderen ausnutzt, um bei der eigenen Anhängerschaft zu punkten. Diese politische Holzhackerei wird in Sonntagsreden selbst von Politikern beklagt, aber sie ist Teil des politischen Geschäfts. Wegen Ihrer Immunität, also ihrem Schutz vor Strafverfolgung, müssen die Abgeordneten sogar bei ihren absichtlichen Fouls in der politischen Auseinandersetzung keinen Feldverweis fürchten. Deswegen hat die Strafanzeige, die die Vorsitzende der Landtagsfraktion der Grünen, Margarete Bause, nun gegen ihren politischen Widerpart, den CSU-Fraktionsvorsitzenden Thomas Kreuzer, eingereicht hat, bestenfalls demonstrativen Charakter. Man muss kein Jurist sein, um zu erkennen, dass diese Anzeige kaum strafrechtliche Folgen haben wird. Doch darum geht es auch nicht. Die Anzeige lenkt den Blick auf ein neues Spielfeld der öffentlichen Auseinandersetzung, dessen Verlockungen Politiker erliegen und dem Juristen zu wenig Aufmerksamkeit widmen: Dem Internet. Was ist im konkreten Fall passiert? Florian Herrmann, innenpolitischer Sprecher der CSU-Fraktion und Jurist, hat sich in einem Facebook-Beitrag darüber empört, dass Claudia Roth, Bundestagsvize-Präsidentin der Grünen, bei einer Demonstration mitmarschiert ist, bei der gerufen wurde: „Deutschland, Du mieses Stück Scheiße!“ Roth trage damit zur Radikalisierung der Gesellschaft bei, urteilte Herrmann. Wie die Veranstaltung tatsächlich abgelaufen ist, wer sie organisiert, wer gerufen, gegen wen sich die Demo gerichtet und welche Rolle die Politikerin der Grünen dabei gespielt hat, das schrieb Herrmann nicht. Es reichte ihm, dass Roth mitmarschiert ist. Die Verkürzung wurde dabei zur Mistgabel in der politischen Rangelei. Geschenkt, auch Roth ist in der politischen Auseinandersetzung kein Kind von Traurigkeit. Aber der Zauberlehrling Herrmann hat mit seinen Ausführungen im Internet eine Lawine von Hetz- und Hassparolen gegen Roth ausgelöst, die bis zu Morddrohungen gingen. Diese Auswürfe waren tagelang auf den Seiten der CSU-Fraktion nachzulesen. Damit sind wir beim Kernproblem, das vom aktuellen Fall wegführt: Unter der scheinbaren Vorgabe einer demokratischen Mitmach-Kultur kann im Internet jeder Wichtigtuer, jede Dumpfbacke, jeder Hetzer seine Meinung verbreiten und sich hinter der Anonymität verstecken. Er muss weder seinen richtigen Namen, noch seine Adresse angeben – und findet seine Meinung dann weit verbreitet und für jedermann nachlesbar. Welcher Anreiz ist das für die gequälte Seele, so richtig die Sau herauszulassen! Es war früher ein eherner Grundsatz, dass anonyme Briefe in den Papierkorb wandern, dass man anonymen Schreibern keine Plattform gibt. Das ist im Internet-Zeitalter vorbei. Als Journalist muss ich wissen, dass ich für beleidigende Äußerungen Anderer verantwortlich gemacht werden kann, wenn ich diese verbreite, so sie nicht notwendiger Bestandteil der Berichterstattung sind. Bei den Kommentaren im Netz wird diese Verantwortung oft sehr nachlässig wahrgenommen. Oder die diffamierenden Kommentare sind Bestandteil der politischen Auseinandersetzung, man lässt andere für sich schreiben. Denn dass die Profis in der CSU-Fraktion tagelang aus Personalmangel keine Zeit hatten, die schlimmsten Hetzparolen zu löschen, das muss man nicht glauben. Ob und wie die CSU die rechtsradikalen Geister, die sie hier ruft, wieder los wird, darauf darf man gespannt sein. Und vom Verlust der politischen Kultur reden wir erst lieber gar nicht. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 0 18 01 / 10 20 33 (Der Anruf kostet 4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz / Mobilfunk max. 42 Cent/Min.) Fax: 089/5900-46258 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Seite 2
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