SWR2 Die Buchkritik

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Wolfgang Schorlau: Die schützende Hand
Verlag Kiepenheuer & Witsch
382 Seiten
14,99 Euro
Rezension von Frank Rumpel
Dienstag, 08.03.2016 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Von Frank Rumpel
Seit fast drei Jahren läuft der Prozess gegen Beate Zschäpe, die als einziges Mitglied
einer rechten Zwickauer Terrorzelle in München vor Gericht steht. Zusammen mit ihren
beiden Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt soll sie zwischen 2000 und 2006 an
der Ermordung von neun Migranten beteiligt gewesen sein, zudem an zwei
Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen. Auch der Mord an der Polizistin Michèle
Kiesewetter in Heilbronn wird dem Trio zugeschrieben. 2011 wurden Mundlos und
Böhnhardt tot in einem brennenden Wohnmobil in Eisenach-Stregda gefunden. Laut
offizieller Version hatten sie sich selbst umgebracht.
Seither haben sich zahlreiche Journalisten und parlamentarische
Untersuchungsausschüsse mit den Ermittlungsergebnissen im Umfeld des
Nationalsozialistischen Untergrunds befasst. Doch die Verbrechen des NSU sind längst
auch in der Literatur angekommen. Oliver Bottini etwa erzählt in seinem gelungenen
Kriminalroman "Der weiße Kreis" davon. Sein Kollege Wolfgang Schorlau hat sich nun in
den Nahkampf gestürzt. "Finden und erfinden" ist das Prinzip des 1951 geborenen
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Stuttgarters. Schorlau recherchiert seine Themen tief und gründlich. "Die Fakten", sagt er,
"müssen stimmen. Ich bin kein Verschwörungstheoretiker."
Georg Dengler heißt Schorlaus Serien-Protagonist, ein ehemaliger BKA-Zielfahnder, der
nach einem traumatischen Erlebnis ausstieg und sein Glück seither in Stuttgart als
Privatermittler sucht. Schorlau ließ ihn in bisher sieben politischen Kriminalromanen unter
anderem Missstände in der Fleisch- und Pharmaindustrie aufdecken.
Diesmal erhält Dengler anonym einen Umschlag mit reichlich Bargeld und dem Auftrag,
den Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nochmals zu untersuchen. Also besorgt er
sich über seine Kontakte beim BKA ein paar Akten und schreibt die Ergebnisse
zusammen. Doch seine Freundin Olga weist ihn auf eine eklatante Unstimmigkeit hin, von
der ausgehend plötzlich auch manch andere Argumentation in den Akten fragwürdig wird.
Dengler beginnt nachzuforschen, besorgt sich interne Protokolle und Gutachten und
kommt allmählich zu dem Schluss, dass Mundlos und Böhnhardt sich wohl keineswegs
selbst erschossen haben. Eine dritte Person muss im Spiel gewesen sein. Anschließend
vertuschte der Polizeichef vor Ort das Geschehen, indem er das Fahrzeug ohne weitere
Untersuchung abschleppen und in einer Halle unterstellen ließ. Und Dengler ahnt
allmählich, wie tief der Thüringer Verfassungsschutz in die rechte Szene verstrickt ist, ja
sie nach der Wende wohl mit aufbaute.
Für sein neues Buch hat Schorlau mit dem Investigativjournalisten Ekkehard Sieker
zusammengearbeitet. Der beschaffte Ermittlungsprotokolle, durch die sich Schorlau dann
wühlte. Er sprach aber auch mit Polizisten, sah sich einige Tatorte selbst an und hatte
schließlich erhebliche Zweifel an der offiziellen Geschichte. "Egal, wo man beim NSUKomplex hin greift, eröffnet sich eine zweite Sicht. Es ist gespenstisch", sagt Schorlau. Im
Anhang listet der Autor die Akten-Fundstellen auf, zeigt Tatortfotos und Ergebnisse
eigener Recherchen. Mit den Fragen, die er stellt, kommt er zu Antworten, die wohl
durchaus realitätstauglich sind: Anfang 2015 wurde er als Sachverständiger vor den NSUUntersuchungsausschuss in Stuttgart geladen.
Wolfgang Schorlau baut seine Geschichten stets um den recherchierten Stoff herum,
wobei in diesem Fall alles von den Ermittlungen kanalisiert wird. Am stärksten ist dieser
Roman, wenn sich Dengler tief in die Materie gräbt. Dabei mutet Schorlau seinen Lesern
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einiges zu, zitiert auch mal seitenweise aus Akten in drögestem Beamtendeutsch. In
diesem Kontext allerdings hat das seinen ganz eigenen Reiz und trägt eher zur Spannung
bei. Allerdings ist Schorlau ein etwas spröder Erzähler, dem man nicht jede Wendung,
jede Figur so ohne Weiteres abnimmt. Manches funktioniert da ganz gut, anderes gerät
dem Autor etwas hölzern. Dennoch ist Schorlau hier eine spannende, fiktionale Ermittlung
gelungen, die es in sich hat, die ins Herz des Rechtsstaats zielt und einen doch ziemlich
nachdenklich zurücklässt.
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