SWR2 Zeitwort

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SWR2 Zeitwort
20.04.1945:
Die Kinder vom Bullenhuser Damm werden ermordet
Von Daniela Remus
Sendung: 20.04.2016
Redaktion: Ursula Wegener
Produktion: SWR 2016
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Musik: Hawa Nashira
Autorin:
Es war bereits Nacht an diesem 20. April 1945, heute vor 71 Jahren, als die Kinder,
die in der Baracke 4a des Konzentrationslagers Neuengamme schliefen, geweckt
wurden. Sie würden zu ihren Eltern zurückgebracht, erzählten die Pfleger. Deshalb
müssten sie sich anziehen und mitkommen. Der SS-Arzt Alfred Trzebinski erinnert
sich an diesen Aufbruch und gibt vor dem britischen Militärgericht nach Kriegsende
Folgendes zu Protokoll:
Kommentar des SS-Arztes Alfred Trzebinski:
„Es kam abends ein Anruf vom SS-Revier. Ich solle zum Lager kommen, der Wagen
stehe bereit. Ich begab mich also zum Lager, und da stand der Wagen am
Lagereingang. Der Motor war schon angelassen. Ich sah in den Wagen hinein, und
da saßen die 20 Kinder und vier Pfleger und noch sechs andere Männer. ”
Autorin:
In einem dunkelgrauen vergitterten Lastwagen geht die Fahrt von Neuengamme vor
den Toren Hamburgs in die Stadt, in den Stadtteil Rothenburgsort. In eine ehemalige
Schule an der Strasse Bullenhuser Damm, erzählt Iris Grotzek, die Kuratorin der
Gedenkausstellung:
O-Ton von Iris Grotzek:
Dieses Gebäude war zu diesem Zeitpunkt kein Schulgebäude mehr, sondern es war
ein Außenlager des KZ Neuengamme, es heißt, es war schon Teil der KZ Landschaft
und es war geräumt. Und die ganze Gegend hier, Rothenburgsort, war zerbombt,
das heißt, es würde keine Zeugen geben, was hier passiert ist, und deswegen hat
man diesen Keller in diesem zerstörten Stadtteil gewählt.
Autorin:
Im Keller der ehemaligen Schule sollten die Kinder mit ihren Pflegern ermordet
werden, so lautete der Befehl. Denn sie waren Zeugen der grausamen Verbrechen,
die die SS-Ärzte an ihnen durchgeführt hatten.
O-Ton von Iris Grotzek:
Diese 20 Kinder, 10 Jungs und 10 Mädchen, wurden also in Auschwitz von ihren
Eltern getrennt und hier ins KZ Neuengamme gebracht, wo an ihnen Experimente
durchgeführt worden sind.
Autorin:
Die zwanzig jüdischen Kinder, alle zwischen 5 und 12 Jahre alt, waren im KZ
Neuengamme über Monate schmerzvollst traktiert worden: Die Ärzte hatten den
Kindern Lymphdrüsen herausoperiert und ihre Lungen mit Tuberkulosebakterien
befüllt. Das alles sollte jetzt durch die Ermordung unsichtbar gemacht werden. Der
SS-Arzt berichtete dazu weiter:
Kommentar des SS-Arztes Alfred Trzebinski:
„Ich blieb also bei den Kindern, die sich ängstigten. Die Kinder hatten ihr ganzes
Gepäck mit, darunter Lebensmittel, selbstgebasteltes Spielzeug und so weiter. Sie
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ließen sich auf den Bänken ringsum nieder und waren guter Dinge und freuten sich,
dass sie einmal herausgekommen waren. Die Kinder waren vollkommen
ahnungslos.”
Autorin:
Der Arzt spritzte den Kindern Morphium, um sie zu beruhigen, danach wurden sie
von einem SS-Wachmann einzeln erhängt.
Kommentar des SS-Arztes Alfred Trzebinski:
„Frahm nahm den zwölfjährigen Jungen auf den Arm und sagte zu den anderen: Er
wird jetzt ins Bett gebracht. Er ging mit ihm in einen Raum, der vielleicht sechs bis
acht Meter von dem Aufenthaltsraum entfernt war und dort sah ich schon eine
Schlinge an einem Haken.”
Autorin:
Im Heizungskeller der Schule ermordeten die SS-Männer in dieser Nacht die zwanzig
Kinder und ihre Pfleger. Nur wenige Tage später befreiten die Engländer die Stadt,
ihnen gelang es, einen Großteil der Verbrechen der SS in und um Hamburg
aufzudecken, so auch den Mord an den zwanzig Kindern.
Musik: Hawa Nashira
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