SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 21.04.1915: Jean Sibelius schreibt das Finalthema seiner 5. Sinfonie Von Ursula Wegener Sendung: 21.04.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Zitat: „Ich bin wirklich zufrieden damit, dass ich die Reise nach Göteborg unternommen habe. Und auch mit ihrem Ergebnis! (…) Welch herrliches Orchesterbad!“ Musik: Okeaniden Autorin: Die Konzerte mit dem Sinfonieorchester Göteborg unter Wilhelm Stenhammar im Frühjahr 1915, die er fast schon abgesagt hätte, brachten Jean Sibelius im Endeffekt neuen Auftrieb. Seine jüngste Finanzkrise milderte sich etwas, der Schrecken über eine Krebs-Operation am Hals legte sich - und so beendete der Komponist jetzt eine 7-jährige Abstinenzzeit: Er trank wieder Alkohol, rauchte Havannas, kaufte sich wieder viel zu teure Anzüge – das Leben kehrte zurück. Zitat: „Die Sinfonie liegt mir wieder im Sinn. Wann darf ich mich wieder in diesen großen Linien aufhalten“? Autorin: Notierte er in sein Tagebuch. Musik: Autorin: Themenskizzen hatte er schon vergangenes Jahr aufgeschrieben, aber im Schock nach dem Beginn des 1. Weltkriegs verworfen. Im September 1914 noch hatte er geschwärmt: Zitat: „Gott öffnet die Tür für einen Augenblick, und sein Orchester spielt die fünfte Sinfonie.“ Autorin: Im Oktober: Zitat: „Die Herbstsonne scheint. Mein Herz singt wehmütig ‚Die Schatten werden länger‘. Das Adagio meiner Sinfonie 5?“ Autorin: Im Dezember 1914 hatte er die Fünfte zugunsten der Sechsten beiseite gelegt. Zitat: „Am Neuen geschmiedet. Aber alles noch am Anfang.“ Autorin: Und jetzt, im Frühjahr 1915, nahm er die Arbeit an den beiden Sinfonien gleichzeitig wieder auf. Oder sollte er statt der 6. lieber ein Violinkonzert schreiben, fragte er bei seinem Verlag Breitkopf & Härtel an. Wenn man ihm 5000 Reichsmark dafür geben wollte…? Der Verleger zauderte. Sibelius schrieb also weiter Sinfonien. Aber die 1 Arbeit lief zäh, vor allem die an der Fünften. Es sei, als ob der Herrgott Mosaikstücke aus dem Boden des Himmels heruntergeworfen hätte – und jetzt sollte er, Sibelius, herausfinden aus welchem Muster sie stammten… Welches Themen-Bruchstück gehörte in welche Komposition? Musik Autorin: Der erste Satz der Fünften ging ja noch voran. Das Adagio des zweiten auch. Der dritte… Sibelius befand sich zum Arbeiten nicht wie so oft in einer extra angemieteten Klause auf dem Land, sondern im (natürlich überschuldeten) Eigenheim am See 40 km von Helsinki bei Gattin Aino und den jüngsten seiner 5 Töchter – „seiner Schneeammern“. Das Haus hatte er bewusst unter einer belebten Vogelzug-Linie gebaut. Und in diesem April 1915 belohnten ihn die Vögel: Zitat: „Sah heute, zehn vor elf, 16 Schwäne. Einer der größten Eindrücke meines Lebens! Mein Gott, diese Schönheit! Sie kreisten lange Zeit über mir. Verschwanden im Sonnendunst wie ein Silberband, das hin und wieder aufblitzte. Ihre Laute vom selben Holzbläsertyp wie die der Kraniche, aber ohne Tremolo. Die der Schwäne kommen der Trompete näher. (…) Finalthema für die fünfte Sinfonie:“ Musik Zitat: „Bin heute, also am 21. April 1915, im Heiligtum gewesen.“ Autorin: Sibelius schrieb seine 5. zu Ende – und doch nicht. Er überarbeitete das ganze Werk noch 3 Mal, bis er im April 1919 endlich feststellte: Zitat: „Jetzt ist sie gut“ 2
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