SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 14.05.1964: Der erste Bauabschnitt des Assuan-Staudamms ist fertig Von Martin Durm Sendung: 14.05.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: Eigentlich ist es kein Damm, sondern ein von Menschen geschaffener Berg, der wie ein Riegel quer über das Niltal gelegt worden ist: Dreieinhalb Kilometer lang, 111 Meter hoch. Ägyptens legendärer Präsident Gamal Abdel Nasser errichtete ein Monument für die Ewigkeit. „Nasser-Pyramide“ nennen die Einwohner Assuans den Damm, in dessen Schatten sie leben. Schon am 14. Mai 1964, als der erste Bauabschnitt offiziell abgeschlossen wurde, war eines unübersehbar: Dieser Bau würde das Land verändern; das Land und den Fluss, von dem es lebt. Jahrtausendelang überschwemmte der Nil die schwarzen, fruchtbaren Felder der ägyptischen Bauern. Oft war es ein Segen, aber immer wieder wurde die Flut auch zur biblischen Plage. Diesem Naturphänomen stemmte sich Nasser entgegen, koste es was es wolle. 11 Jahre baute Ägypten mit sowjetischer Hilfe den Assuandamm, 450 Arbeiter haben dabei ihr Leben verloren, aber am Ende war es vollbracht. Seit seiner Einweihung im Januar 1971 garantiert der Damm mit seinen Schleusen, dass der Nil nur noch gedrosselt und geregelt in sein ägyptisches Bett hinein strömt. Und mit seinen gigantischen Turbinen liefert er zusätzlich Energie für ganz Ägypten. Innerhalb weniger Jahre hat sich die Ackerfläche am Nil um ein Drittel vergrößert. Der geregelt Wasserzufluss erlaubt den Bauern mehrere Ernten pro Jahr und hilft so, eine Bevölkerung zumindest notdürftig zu ernähren, die jedes Jahr um eine weitere Million wächst. Doch der Hochdamm forderte auch einen hohen Tribut. Zu aller erst vom Volk der Nubier, deren 7000 Jahre alte Kulturlandschaft vom Stausee hinter den Mauern überschwemmt worden ist. Dort, wo sich heute eine 500 Kilometer lange Wasserfläche zwischen Dünen und ockerfarbenen Felslandschaften erstreckt, dort lebten einmal 140 000 Menschen in Dörfern und Städten, standen einmal Tempel und Festungen aus pharaonischen Zeiten. Zumindest einige wenige antike Bauwerke wurden mit internationaler Unterstützung gerettet – wie der Tempel von Abu Simbel. Die Nubier aber wurden aus ihrer dem Untergang geweihten Heimat vertrieben; entweder in die glutheißen, unwirtlichen Regionen des Ostsudan, oder nach Oberägypten, wo sie immer noch leben wie im Exil. Zur menschlichen Tragödie, die der Bau des Assuandamms provozierte, kommt die schleichende ökologische Katastrophe hinzu. Jahrtausendelang hat die ungezügelte Nilflut fruchtbaren Schlamm als Naturdünger auf die Felder getragen. Nun bleibt er aus, bleibt im Stausee zurück, der langsam verschlammt und verkrautet. Die Bauern im Niltal müssen derweil teuere Kunstdünger kaufen, deren Rückstände die Böden versalzen und das Wasser verschmutzen. Der Nil mutiert spätestens in der Höhe von Kairo zur Kloake: 6,5 Millionen Kubikmeter ungeklärtes Abwasser laufen täglich ins Mittelmeer rein, der Assuandamm ist mit den Jahren zum ökologischen Risikofaktor geworden. Dennoch würde es kein ägyptischer Regierungspolitiker wagen, den Sinn des nasseristischen Monumentes in Frage zu stellen. Es wäre wohl gleichbedeutend mit Blasphemie. Was in der Antike mit Ramses-Statuen und Cheopspyramiden begann, hat in der Neuzeit im Nasserdamm seine Fortsetzung gefunden und ein Ende des versteinerten Größenwahns ist noch längst nicht in Sicht. Präsident Mubarak hat das sogenannte Toschka-Projekt aus dem Wüstenboden gestampft: Durch zwei offene Kanäle sollen vom Stausee bei Assuan 230 Milliarden Kubikmeter Wasser in die südliche Wüste einströmen: Neues Ackerland für drei Millionen Ägypter – tönt die Regierungsparole. Ob sie sich jemals in die Wirklichkeit umsetzen lässt, wird bezweifelt. 1
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