SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 12.04.1948: In Palästina werden die Qumran-Rollen entdeckt Von Johannes Weiß Sendung: 11.04.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: Was nur hat damals, im Spätjahr 1946, den Beduinenjungen Mohammed ed-Dhib dazu veranlasst, hier herumzuklettern – an diesem Steilhang unweit des Toten Meeres? Mohammed selbst hat später immer wieder erzählt, er sei auf der Suche nach einer entlaufenen Ziege gewesen. Aber war das vielleicht nur eine Ausrede? Hat er nicht vielmehr ein Versteck für die Schmuggelware gesucht, die die Beduinen damals von Jordanien nach Palästina brachten? Wie auch immer: Mohammed entdeckt im Fels eine Öffnung und wirft einen Stein hinein. Hört kein Meckern, sondern das Zerbrechen von Ton. Vorsichtig klettert er zu der Öffnung und entdeckt eine schmale Höhle mit einer hohen Decke - etwa zwei Meter breit und gut sieben Meter lang. Dort lagern zahlreiche Tongefäße, die rund sechzig Zentimeter hoch sind und einen Durchmesser von etwa 25 Zentimetern haben. In den Gefäßen stecken Lederrollen, auf denen irgendwelche Schriftzeichen stehen – was soll man damit schon anfangen? Enttäuscht zeigt Mohammed den Fund seiner Familie – die steckt einige der Lederfetzen ins Feuer, dann sind sie wenigstens zum Wärmen gut. Doch der Rauch ist zu beißend, die Männer husten sich die Lunge aus dem Hals. Sie bringen die Rollen zu einem Schuster in Bethlehem – vielleicht kann der Sandalen daraus machen. Dieser Schuster muss ein ziemlich pfiffiger Bursche gewesen sein. Er wittert ein Geschäft und zeigt die Schriften dem Metropoliten der syrisch-orthodoxen Gemeinde in Jerusalem. Der Kirchenmann greift zu, zahlt ein paar Dollar und will mehr. Und tatsächlich tauchen immer neue Fragmente auf. Doch es dauert noch lange, bis die archäologische Sensation schließlich in die Hände kompetenter Wissenschaftler gelangt. Noch spannender als ihre Entdeckung durch den Beduinen-Jungen ist denn auch die Geschichte ihrer Veröffentlichung. Es gibt damals konspirative Treffen, Beduinen und seriöse Wissenschaftler suchen in der Gegend von Qumarn um die Wette, Gelder fließen, die Schriften werden anonym zum Verkauf angeboten – und zu alledem kommen auch noch die politischen Wirren im Heiligen Land. Die Qumran-Funde haben immer wieder zu wilden Spekulationen Anlass gegeben. Der Vatikan, so hieß es, habe ihre Veröffentlichung verhindert oder doch verzögert, weil die Schriften die Grundlagen des Christentums erschütterten. Das ist, wie man heute weiß, blanker Unsinn, verkaufte sich aber bestens. Bis zum Jahr 1956 wurden insgesamt elf Höhlen mit Schriften auf Leder, Papyrus oder Kupfer entdeckt, von den meisten waren nur winzige Fragmente geblieben. Seit Jahrzehnten arbeiten Experten-Teams an ihrer Entzifferung und Interpretation, sie mühen sich mit Zig-Tausenden kleinster Schnipsel ab. Im sogenannten „Schrein des Buches“ in Jerusalem können die Rollen heute von der Öffentlichkeit bewundert werden. Die Kuppel dieses Museums hat dieselbe Form wie die Deckel der Tonkrüge, in denen die Schriftrollen damals gefunden wurden. Die ältesten Handschriften der hebräischen Bibel, also des sogenannten Alten Testaments, stammten bis zur Qumran-Entdeckung aus der Zeit um 1.000 nach Christus. Nun gab es Handschriften von fast allen alttestamentlichen Büchern, die zum Teil im 3. Jahrhundert vor Christus entstanden waren. Nach Qumran am Toten Meer hatten sich im 2. Jahrhundert vor Christus fromme Juden zurück gezogen, die vermutlich zu der Gemeinschaft der Essener gehörten, einer nach ganz strikten Regeln lebenden jüdischen Gemeinschaft. 68 nach Christus wurde ihre klosterähnliche Siedlung von den Römern zerstört – aber vorher hatten sie ihre 1 umfangreiche Bibliothek in den Höhlen der näheren Umgebung in Sicherheit gebracht. Neben den biblischen Schriften gehörten zahlreiche andere Texte dazu, darunter die sogenannte Gemeinderegel der Gemeinschaft. Die Qumran-Texte bieten einen faszinierenden Blick auf das Judentum um die Zeitenwende – und damit auch auf das Umfeld, aus dem Jesus von Nazareth stammte. 2
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