SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 23.04.1957: Atomgegner Albert Schweitzer appelliert an die Menschheit Von Theo Wurm Sendung: 23.04.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: "Kommt es zur Einstellung der Versuche mit Atombomben, so wäre dies die Morgendämmerung des Sonnenaufgangs der Hoffnung nach der unsere arme Menschheit ausschaut". Mit diesen Worten endete am 23.April 1957, ein Aufruf zum Stopp aller Kernwaffenversuche, der in Japan ebenso zu hören ist wie in Australien, in Kanada ebenso wie in Äthiopien. Auf allen Kontinenten strahlen nicht weniger als 130 Sendeanstalten jenen Appell aus, mit dem Albert Schweitzer im Alter von 82 Jahren zum ersten Mal in die politische Diskussion eingreift. Schweitzer, den Albert Einstein für "den größten Menschen dieses Jahrhunderts" hielt, den Winston Churchill zum "Genie der Menschlichkeit" erklärte, der "Heilige im Urwald", ein Mythos der Menschlichkeit, der Gesandte Gottes persönlich. Diesen Nimbus legte ihm zuerst Amerika bei 1948, obwohl die Gründung des Urwald-Hospitals Lambarene schon 35 Jahre zurücklag und obwohl seine grundlegenden Schriften zur Kulturphilosophie und zu einer Ethik der "Ehrfurcht vor dem Leben" bereits über drei Jahrzehnte alt waren. Schweizer ließ sich überschwängliche verehren, dies entsprach seiner hohen Selbsteinschätzung. Und so wirft er sein ganzes internationales Ansehen an diesem 23.April 1957 gegen die Atomversuche ins Gewicht. Vom Herausgeber der wichtigsten amerikanischen Literaturzeitschrift, Norman Cousins, und von Indiens Ministerpräsident Pandit Nehru gedrängt, setzt sich Alber Schweitzer, so beschrieb ihn Robert Jungk -"wie ein gütiger, alter Familiendoktor ans Krankenbett der Menschheit und redet ihr gut zu". Man muss hinzufügen: Umständlich und über eine halbe Stunde lang. Er beschreibt ausführlich, wie radioaktives Material sich im ökologischen Kreislauf konzentrieren und immer größeren Schaden anrichten kann. Und so sagt er wörtlich: "Nur solche, die nie dabei waren, wenn eine Missgeburt ins Dasein trat, nie ihr Wimmern hörten, nie Zeugen des Entsetzens der Mutter waren, können die Behauptung wagen, dass die Fortsetzung der Versuchsexplosionen ein Risiko sei, zu dem man sich unter Umständen entschließen könne". Um solche Sätze weltweit im Massenmedium Radio zu verbreiten, hatte der Friedensnobelpreisträger das Nobelpreiskomitee in Norwegen gebeten sich mit seiner Autorität beim norwegischen Rundfunk einzusetzen. "So ist die Sache gelungen, dass einmal in ganz objektiver Weise zur Menschheit über das ihre Existenz bedrohende Problem geredet wurde", schrieb Schweitzer eine Woche danach an seinen Freund Fritz Dinner in Basel. Allerdings: Albert Schweitzer war keineswegs der erste, der vor Kernwaffen warnte. Im Spannungsfeld des kalten Krieges, in dem jeder Kritiker im Westen rasch verdächtigt wurde sich zum Handlanger des Ostens zu machen, gehörte viel Mut zu einem solchen Schritt. Vor Schweitzer haben ihn die Nobelpreisträger für Physik getan. Vor ihm auch die Göttinger 18 um Carl Friedrich von Weizsäcker mit der Erklärung, das 'keiner der Unterzeichner bereit sei sich an Herstellung, Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgend einer Form zu beteiligen". Allein: Schweitzers Aufruf erregt am meisten Aufsehen, allerdings zu Lasten des großen Menschenfreundes selbst. Denn von diesem Zeitpunkt an wenden sich all jene von ihm ab, die Kernwaffen gegen die kommunistische Weltrevolution für unverzichtbar halten. Jetzt beginnen sich die Geister an Albert Schweitzer zu scheiden. 1962 reiht 1 er sich bei Linus Pauling, Bertrand Russel und Martin Niemöller ein und beteiligt sich an einem "Aufruf an Alle" gegen Atomwaffen und Atomtests. So wird er zu einer Symbolfigur der Anti-Atombewegung. In Regierungen und Parlamenten hat er aber nichts bewegt. 2
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