SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 13.05.1979: Michael Endes "Unendliche Geschichte" findet ihr Ende Von Julia Haungs Sendung: 13.05.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: Anfangs sah es so aus, als würde das neue Buch von Michael Ende eine schnelle Angelegenheit. 1977 drängte ihn sein Verleger Hansjörg Weitbrecht, doch mal wieder was zu schreiben. Vier Jahre waren seit Ende des Erfolgs mit Momo vergangen. Der Autor fischte aus seinem Ideen Zettelkasten ein Stück Papier heraus. Darauf stand: „Ein Junge gerät während des Lesens buchstäblich in die Geschichte hinein und findet nur schwer wieder heraus.“ Das wolle er schreiben, beschloss Ende. Im September 1978 könne das Buch erscheinen. Mehr als 100 Seiten solle man aber bitte nicht erwarten. Die Zeit verging, Ende schrieb und schrieb, und der vereinbarte Abgabetermin immer näher rückte, erinnert sich Verleger Hansjörg Weitbrecht: O-Ton Hansjörg Weitbrecht: „Ich hatte schon damals schon Papier bestellt, Drucktermine belegt, Buchbindetermine belegt, wir hatten Prospekte gedruckt. Dann kam im August der Anruf: es wird nicht fertig und zwar, wahrscheinlich nie fertig. Da war etwas passiert, was Ende nicht vorhergesehen hatte: der Junge wollte aus der Geschichte nicht raus. Er wollte einfach nicht mehr raus. Wir haben nächtelang überlegt: wie kommt der Junge, der da nun in Phantasien ist, wieder in die Realität zurück?“ Autorin: Ende hatte sich selbst in die Falle gelockt. Mit dem Land Phantasien hatte er eine magische Gegenwelt erschaffen: mit unzähligen Fabelwesen von Riesen und Gnomen über diverse Ungeheuer bis zu Glücksdrachen. Eine Welt der Geheimnisse und Abenteuer. Warum würde ein 11-jähriger Junge, in der Realität ein Außenseiter und in Phantasien ein strahlender Held, da jemals wieder wegwollen? Wie sollte er überhaupt rauskommen, wo er doch seine alte Identität Stück für Stück vergisst, je länger er in Phantasien ist? Ende kämpfte nach eigenen Worten schier ums Überleben. Er wurde gereizt, krank, drehte fast durch, weil er keine Lösung für das Problem fand. Auch die äußeren Umstände waren widrig. Es war ein eiskalter Winter. Die Wasserleitungen in seinem Haus platzten, Schimmel breitete sich aus. Ende hackte, in eine Decke gehüllt, weiter auf seine Schreibmaschine ein. Endlich kam ihm die rettende Idee: ‚Auryn‘ sollte der Ausgang sein! Bastians Zauber-Amulett mit den beiden Schlangen, das ihm in Phantasien Macht gegeben hatte. Zitat aus „Unendliche Geschichte“ : „In diesem Augenblick begann der riesenhafte schwarze Schlangenkopf sich sehr langsam zu heben, ohne dabei das Ende der weißen Schlange, das er im Rachen hielt, loszulassen. Die gewaltigen Körper bogen sich auf, bis sie ein hohes Tor bildeten, dessen eine Hälfte schwarz und dessen andere weiß war.“ Autorin: Jetzt ging alles schnell. Wie im Fieber schrieb Ende das Buch fertig. Allerdings war das Manuskript mittlerweile auf 800 Seiten angewachsen. Ganze Kapitel flogen also wieder raus. Um die beiden Handlungsstränge in der Realität und in Phantasien zu trennen, ersann Illustratorin Roswitha Quadflieg den Textdruck in rot und grün. So etwas hatte es vorher noch nicht gegeben! Im August 1979 erschien „Die Unendliche Geschichte“ schließlich mit einem Jahr Verzögerung. Die Kritiker waren uneinig, was von dem Wälzer zu halten sei, sagt Ende-Biographin Birgit Dankert. 1 O-Ton Birgit Dankert: „Es war wie ein Paukenschlag! Und Herr Lodemann in der ‚Zeit‘ hat es als DAS Buch für Kinder und alle, die Literatur lieben, für die nächsten Jahrzehnte oder Jahrhunderte bezeichnet. Es gab aber auch andere Stimmen wie z.B. Adolf Muschg, die sofort sagten: das ist ein Surrogat, damit kann man keine Probleme lösen. Er bedient sich schöner Bilder, um etwas zu erzählen, was den jungen Menschen nicht weiterhilft.“ Autorin: Die jungen Menschen und auch viele Erwachsene sahen das anders. Bis heute hat sich die „Unendliche Geschichte“ 9 Millionen Mal verkauft, Wolfgang Petersen verfilmte es für Hollywood. Über die seiner Ansicht nach banale Verfilmung ärgerte sich Ende allerdings so sehr, dass er sich in einen erbitterten Rechtsstreit verstrickte. Aber das ist, wie es in der „Unendlichen Geschichte“ so schön heißt, „eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.“ 2
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