SWR2 Zeitwort

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SWR2 Zeitwort
29.06.1971
Joy Fleming kreierte den Neckarbrücken-Blues
Von Doris Steinbeißer
Sendung: 29.06.2016
Redaktion: Ursula Wegener
Produktion: SWR 2016
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Autorin:
Am 29. Juni 1971 war das Wetter nicht sehr sommerlich, Joy Fleming und ihre
Musiker nicht in allerbester Stimmung. Im Studio des damaligen SDR sollten sie ihr
ganzes Repertoire einspielen. Dass diese eher öde beginnende Radiosession zu
einem musikhistorischen Ereignis führen, den Dialekt bluesfähig machen würde,
dachte wohl niemand. Joy Fleming erinnert sich:
O-Ton:
„Da war Gema Streik, da wurden keine Platten mehr gespielt, dann haben sie
gesagt, wir müssen Programm haben, wir müssen was spielen. Da waren wir dann
im Studio und wurden engagiert damals von dem Unterhaltungschef Wolfram Röhrig.
Und dann war so schlechtes Wetter und wir waren so ein bisschen gnatschig, und
dann rief er oben von der Regie an: Mensch Joy, sing doch mal irgendwas in deinem
Dialekt bei dem Wetter. Oh ich habe keine Lust. Auf einmal fing der Pianist an, so ein
Blues-Intro zu spielen.“
Musik
O-Ton:
„Und ich fing dann an so trist zu singe: her heremol her, was ich da jetzt sare will.“
Autorin:
Joy Fleming improvisierte und auch wenn so mancher den Text nicht verstand, das
Bluesfeeling stimmte, der Titel kam an.
O-Ton:
„Der Witz war, als des Lied drauf war, haben sie das gesendet. Die haben Anrufe
gekriegt noch und nöcher. Die Leute wollen alle wissen, wer des ist, wer des singt.
Des ging dann, bis ich mit dem Goethe-Institut unten in Afrika gelandet bin.“
Autorin:
Joy Fleming, geboren als Erna Raad im pfälzischen Rockenhausen. Die Mutter war
in den Kriegsjahren aus Mannheim ausquartiert, wuchs im Mannheimer Jungbusch
auf, damals Hafen- und Arbeiterviertel mit fragwürdigem Ruf. Die junge
Mannheimerin mit der unvergleichlichen Stimme, musikalisch sozialisiert in
amerikanischen Clubs, wurde nun also zur Kulturbotschafterin mit einem Blues in
ihrem ureigenen Mannheimer Slang.
Musik
Autorin:
Der improvisiert Text wurde später etwas entschärft. Carl J. Schäuble gab ihm den
letzten Schliff. Dass der lautstark besungene Karl über die Neckarbrücke geht, um in
den verrufensten Straßen Mannheims die käufliche Liebe zu genießen, diese
Interpretation des Songs lehnt Joy Fleming bis heute ab.
O-Ton:
„Des ging so, dass es ein Karl war, der die Nase voll hatte von seiner Familie und
ging dann immer "iwwer die Brick" in die Kneipe und kam aber immer wieder zurück,
wenn er am Boden zerstört war, zurück zu seiner Frau, das war eigentlich der Sinn.“
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Autorin:
Der Neckarbrücken-Blues machte den Dialekt auch rock- und schlagerfähig, bayrisch
und kölsch zum Beispiel zogen nach. Joy Fleming selbst hob mit ihrer Musikalität
Genregrenzen auf, vertrat Deutschland 1975 beim Grand Prix, macht bis heute Jazz,
Rock und Schlager, alles was ihr Spaß macht und sie wirkt immer ganz authentisch,
sich und ihrer Herkunft treu.
O-Ton:
„Ich verteidige auch meinen Dialekt, wenn jemand sagt, was spricht denn die Da?
sage ich: "Bass na uff, was Du schwätzt"... do kommt die Mannemern raus, do wer
isch bös. Aber egal wo ich bin: die Leute lieben den Dialekt, der swingt, den kann
man fast so benutzen wie englischen Text, der läuft, der ist geschmeidig, der
Mannheimer Dialekt, der hat was Besonderes und des haben halt viele andere nicht.“
Musik
Autorin:
Vielleicht ist deshalb der Blues vom Karl, entstanden am 29.Juni vor 45 Jahren,
einfach zeitlos und universell.
O-Ton:
„Egal wo ich auftrete, ich kann nirgends weggehen ohne die "Neggarbrick" und da
bin ich auch stolz drauf.“
Musik
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