SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 02.06.1967 Bei einer Anti-Schah-Demonstration wird Benno Ohnesorg erschossen Von Widmar Puhl Sendung: 02.06.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml 1 Autor: Damals herrscht Kalter Krieg zwischen Ost und West. Die USA kämpfen in Vietnam Krieg gegen Kommunisten, im April ist Konrad Adenauer gestorben, seit Kriegsende ein Fels in der politischen Brandung. Die Macht der Konservativen bröckelt, in Bonn regiert jetzt eine große Koalition und will die Notstandsgesetze einführen. Die Atmosphäre ist gespannt. Die Angst vor linken Revoluzzern erstickt sogar internationale Proteste gegen einen Militärputsch in Athen. Die Jugend verehrt Che Guevara, Martin Luther King oder gar Mao Tse Tung. Kaum weniger bedroht aber fühlt sich das politische Establishment durch die Beatles, die Antibabypille, die Aufklärungsfilme von Oswald Kolle, lange Haare, kurze Röcke oder Haschisch. Musik: The Beatles: „She loves you“ Autor: In dieser Atmosphäre erhitzen schon die ungewöhnlichen Sicherheitsmaßnahmen für den Schah-Besuch die Gemüter. Ganze Autobahnen werden gesperrt, auch der gesamte Schiffsverkehr auf dem Rhein zwischen Köln und Andernach. Das Innenministerium lässt alle Perser in Deutschland polizeilich überwachen. Auf jeder Station des Staatsbesuchs kommt es zu Zwischenfällen. In Berlin ruft der Sozialistische Deutsche Studentenbund SDS dazu auf, Schah Reza Pahlewi vor seinem Besuch der deutschen Oper mit Protest zu empfangen. Dort versammeln sich hinter Absperrungen drei- bis viertausend Demonstranten. Als der Schah vorfährt, brechen einige in Hochrufe aus, die so genannten „Jubelperser“. Dann sind Buh-Rufe und Sprechchöre gegen den Schah zu hören. Plötzlich steigen kräftige Männer aus mehreren Wagen des Konvois. Mit Zaunlatten und Stahlruten schlagen sie auf die eingekeilten Demonstranten hinter den Absperrungen ein. Die Schläger gehören zum Sicherheitsdienst des Schahs. Nicht einmal ihre Personalien werden festgestellt. Mehrere Hundertschaften der Polizei sehen tatenlos zu. Farbbeutel fliegen auf die Straße, vereinzelt auch Steine. Dann ist der Schah in der Oper. Als sich die Menge schon zerstreut, greift die Polizei mit Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern an. Uniformierte und zivile Greiftrupps verfolgen Flüchtende. Es gibt 60 Verletzte. O-Ton: Demo Deutsche Oper Berlin, 02.06.1967 Autor: In einem Hinterhof, etwa 300 Meter von der Oper entfernt, wird der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen. Notwehr, heißt es danach auf der Pressekonferenz. Eine Hinrichtung, sagen Studenten. Benno Ohnesorg war 26 Jahre alt, Theologe, verheiratet, studierte Germanistik und Romanistik in Berlin. Er war Mitglied der evangelischen Studentengemeinde und kein besonders politischer Mensch. Er war neu in der Stadt und nach Augenzeugenberichten nur aus Neugier zur Demo gegangen. Politiker und Presse schoben alle Schuld auf die Demonstranten. Erst nach und nach kam die Wahrheit ans Licht. Der Schuss kam von hinten. Und die Polizei hat systematisch Beweise vertuscht. Der Schütze, Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras, wurde nur der fahrlässigen Tötung angeklagt – und wegen Notwehr freigesprochen. Als 2009 herauskam, dass Kurras 1967 inoffizieller Mitarbeiter der DDRStaatssicherheit gewesen war, wurde neu ermittelt. Doch der Verdacht, er könne im Auftrag der DDR gehandelt haben, um die Bundesrepublik zu destabilisieren, war nicht zu beweisen. Alles lief darauf hinaus, dass er ohne Not und gezielt geschossen 1 2 hatte, aber es gab keine neue Anklage. Wichtige Zeugenaussagen fehlen. Warum Ohnesorg starb, wusste wohl nur Karl-Heinz Kurras, und der nahm sein Geheimnis 2014 mit ins Grab. Sicher ist: Der Tod von Benno Ohnesorg radikalisierte die Studentenrevolte. Seine Beerdigung in Hannover wurde zur Großdemonstration. Neben der Roten Armee Fraktion entstand nach 1968 eine zweite linke Terror-Gruppe. Die „Bewegung 2. Juni“ bezog sich bei ihren Mordanschlägen direkt auf Benno Ohnesorg. 2
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