SWR2 Zeitwort

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SWR2 Zeitwort
03.05.1979:
Margaret Thatcher gewinnt die britischen Parlamentswahlen
Von Bertram Quadt
Sendung: 03.05.2016
Redaktion: Ursula Wegener
Produktion: SWR 2016
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Autor:
Gut waren die Nachrichten nicht: 6605 Stimmen für die Konservativen, 8542
Stimmen für Labour. Glasgow Mitte geht nicht an die Tories. Aber – repräsentativ sei
das nicht, so die Wortwahl des BBC-Kommentators nach der Auszählung des ersten
Wahlkreises an diesem 3. Mai 1979. Es war eine klare Angelegenheit, wer in 10
Downing Street Einzug halten würde: Margret Thatcher, the Iron lady, wie die Russen
fanden, die schönste Frau der Welt, wie Kronprinz Fahd von Saudi-Arabien
schwärmte, die Dame mit dem Äußeren eines Meissener Porzellanpüppchens und
dem Innenleben aus Nirosta, wie ein lieber Unerwähnt bleiben wollender
Parteigänger sie skizzierte.
Die Dame mit der Betonfrisur war vor allem durch massive Widersprüchlichkeit
auffällig geworden: schon in den frühen Jahren ihrer Politkarriere. So hielt sie
flammende Reden im Unterhaus für die Wiedereinführung der Prügelstrafe an den
Schulen und der Todesstrafe überhaupt und setzte sich gleichzeitig dafür ein,
Homosexualität zu entkriminalisieren und Abtreibung zu legalisieren. Thatchers
politisches persönliches Credo kristallisierte sich deutlichst in einem einzigen Satz:
„There is no such thing as society“ – Gesellschaft – so etwas gibt es nicht. Vor allem
dann nicht, wenn - wie in Großbritannien damals üblich - die Gesellschaft der
Sündenbock war, dem man alle Fehler straflos aufbuckeln konnte, an dem sich alle
rächen und schadlos halten zu können meinten: Im England der 70er Jahre bewegte
sich nichts mehr: Streiks legten das Land lahm, mal die der Stahlwerker, dann die
der Fernfahrer, morgen die Zugschaffner, übermorgen die Müllmänner. Es war kalt,
es gab nichts zu essen, es stank. Die Steuern waren schlicht astronomisch: mehr als
30% Eingangssteuersatz, 83% Spitzensteuersatz, Inflation im doppelstelligen
Bereich – kein schönes Land zu dieser Zeit:
O-Ton:
Auf dass wir Eintracht bringen, wo Zwietracht herrscht, wo Irrtum, da Wahrheit,
Glaube, wo Zweifel, wo Verzweiflung, da Hoffnung.
Autor:
Eigentlich die Worte des Hl. Franz von Assisi, in diesem Falle geschickt
zweckentfremdet von der recht ehrenwerten Margret Thatcher, Premierministerin der
Regierung ihrer Majestät von Groß Britannien und Nordirland und First Lord of the
treasury – oder First Lady? Es gab mehrere Etikette-Fragen zu klären: denn Margret
Thatchers Wahlsieg war in jeglicher Hinsicht Premiere: sie war die erste Frau, die in
freier und geheimer demokratischer Wahl aus eigener Kraft an die Spitze eines
Staatswesens gelangte – an diesem 3. Mai 1979, matte 70 Jahre nachdem sich
englische Sufragetten im Kampf ums Wahlrecht ans Gitter von Buckingham Palace
ketteten, 60 Jahre, nachdem die erste Frau Sitz und Stimme im Unterhaus nahm
hatten es ausgerechnet die Tories geschafft, eine Frau zur Premierministerin zu
wählen, ausgerechnet die Partei, deren Machtgeflecht in kalten Schlafsälen muffiger
Jungeninternate begründet und in der tabakrauchgeschwängerten Teakholzpracht
der Londoner Herrenclubs zur Reife getrieben wurde – Clubs, deren erstes und
teilweise einziges weibliches Mitglied die Eiserne Lady wurde. Der Rest ist – im
wesentlichen – Geschichte: Die Gewerkschaften wurden radikal entmachtet, die
verstaatlichte Industrie privatisiert, die öffentlichen Etat zusammengestrichen.
Einkommenssteuern runter, direkte Steuern rauf. Die Arbeitslosenzahlen
verdoppelten und verdreifachten sich unter Maggie Thatchers Ägide – erst mal.
Denn: langfristig gesehen war die Thatcher-Strategie genau die richtige: Mehr
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Konkurse, mehr Millionäre. Kein Versorgungsstaat, sondern ein Staat, dessen Bürger
in Eigenverantwortung leben – und da im Großen und Ganzen recht gut.
Margret Thatcher mag Anfangs Ihrer Zeit in 10 Downing Street den Tories wie die
letzte Hoffnung einer verzweifelten Partei erschienen sein – heute noch gilt sie vielen
als der einzige Mann in der Conservative Party.
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