SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 16.02.1897: In Bretten wird das Melanchthonhaus gebaut Von Ursula Wegener Sendung: 16.02.2017 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autorin: Das Brettener Melanchthonhaus ist heute Museum, es dient Forschung und Dokumentation, besitzt eine riesige Spezialbibliothek und ist international bekannt. Aber war das ein Gedöns, bis es stand! Alles fing an mit dem preußischen Hochschulprofessor Nikolaus Müller. Der hatte in Rom in einer vatikanischen Bibliothek Melanchthons Briefe an seinen Freund Camerarius entdeckt, war fasziniert und widmete sich fortan neben der christlichen Archäologie auch der Reformationszeitforschung – welch ein Spagat! Und Müller entwickelte einen Herzenswusch: Zitator 1: Es möchte bald die protestantische Welt einem ihrer größten Wohltäter an dem Ort, an dem er geboren, ein würdiges Denkmal errichten. Autorin: Denn: Was wäre der polternde Martin Luther gewesen ohne den klugen, wohlorganisierten Philipp Melanchthon? Luther besaß seine Denkmäler schon – in Wittenberg, in Worms, am Geburtsort Eisleben. Melanchthons Heimatstadt hatte ihren großen Sohn ganz vergessen. Am 16. Februar 1497 war er in Bretten als Philipp Schwartzerdt zur Welt gekommen, klein und dünn, aber ein Wunderkind. Schon mit 11 Jahren hatte er - lässig an einen Brunnen gelehnt - einen grandiosen Disput auf Lateinisch mit durchreisenden Studiosi geführt. Darauf hatte man ihn nach Pforzheim zum Onkel Reuchlin und auf die Lateinschule gegeben. Das Geburtshaus war Ende des 17. Jahrhunderts abgebrannt. 1895, 2 Jahre vor dem 400-jährigen Melanchthon-Jubiläum, gründete Professor Müller einen „Verein zur Errichtung eines Melanchthon-Hauses mit Gedächtnishalle und Museum in Bretten“. Er gewann die Unterstützung des Großherzogs Friedrich I. von Baden und beauftragte den Charlottenburger Architekturprofessor Johannes Vollmer mit einem Entwurf – spätgotisch, im Prinzip… Zitator 2: …im Hinblick auf die Tatsache, dass um 1497 auf dem Felde des Bauwesens in Deutschland die Gothik noch eine Großmacht war. Autorin: Auch das Innere des Hauses hatte Nikolaus Müller bereits im Kopf: Vor- und Gedächtnishalle im Erdgeschoss, Städte-, Theologen-, Humanisten- und Fürstenzimmer im oberen Stock, die schönen hölzernen Bücherschränke an den Wänden und die Vitrinen, in denen die gesamte Gelehrsamkeit des Praeceptor Germaniae gelagert werden sollte. Doch mit dem „nachgemacht-gotischem Zuckerwerk“ von Vollmers Entwurf konnte der Großherzog sich nun doch gar nicht anfreunden. Nachbessern half nichts – wenige Tage vor der Grundsteinlegung am 16. Februar 1897 löste der Melanchthonverein den Architektenvertrag auf. Melanchthon-Verehrer Müller machte den Entwurf jetzt ganz allein. Zur Ausführung brauchte er trotzdem einen Fachmann und beauftragte den 30 Jahre jungen Hermann Billing aus Karlsruhe. Der hatte nicht mal sein Studium abgeschlossen – mit unglaublichem Selbstbewusstsein aber gerade als „Privatarchitekt“ ein Büro eröffnet. Heute bekannt als Schöpfer 2 auffallender Jugendstilbauten mit buntem Materialmix, Scheinfachwerk und ungleichen Fenstern. Damals ein kompromissloser Avantgardist. Billing war natürlich nicht dazu zu kriegen, spätgotischen Schnörkelstil nachzubauen. Professor Nikolaus Müller, entnervt, dazu: Zitator 3: Ein Architekt des erzbischöflichen Bauamts in Karlsruhe hat gesagt, die Profile an dem Hause seien nicht spätgothisch. (…) Warum aber hört man nicht auf solche Stimmen von Fachkennern und immer nur auf die Billings? Dabei frage ich zum so und so vielten Male: Bauen wir ächt spätgothisch oder billingisch? Autorin: Jetzt wurde auch Hermann Billing gekündigt und für den letzten Bauabschnitt durch den farblosen Wilhelm Jung ersetzt. Billings Einfluss aber blieb maßgebend. 1903 endlich fand die Einweihung des Melanchthonhauses statt – mit einem Melanchthonspiel in historischen Kostümen. Schließlich hatte Bretten doch ein Kleinod erhalten. 3
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