JENS BÜTTNER DPA/LMV/DPA-BILDFUNK Panama? Fulda! Führende Medien prangern zur Zeit das mittelamerikanische Land an. Dabei rangiert es weit hinter anderen »Steueroasen« wie zum Beispiel in den USA Wilmington, Partnerstadt von Fulda, größter »Finanzplatz« dieser Art. Von Werner Rügemer SEITE 3 GEGRÜNDET 1947 · FREITAG, 15. APRIL 2016 · NR. 88 · 1,50 EURO · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Mörderisch Kämpferisch Chronisch Philosophisch 4 7 9 12 Seit zwei Wochen hält ein Generalstreik die französische Insel Mayotte im Griff In Brüssel kämpfen Lobbyisten hart um Vor 175 Jahren wurde Karl Marx von der die Genehmigung für die zweite Universität Jena der Doktortitel Gasleitung durch die Ostsee verliehen. Von Martin Hundt Deals unter Despoten Geheimes EU-Protokoll zur geplanten Kooperation mit ostafrikanischen Ländern zeigt europäische Werte. Für Flüchtlingsabwehr winken Wirtschaftshilfen. Von Christian Selz JUAN MEDINA/REUTERS D er Inhalt dieses Artikels sollte »unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit gelangen«. So steht es zumindest in einem vertraulichen Protokoll einer Sitzung der Botschafter der EU-Staaten vom 23. März, aus dem das ARD-Politmagazin »Monitor« am Donnerstag auf seiner Internetseite zitierte. Der Inhalt könnte den Stoff für einen schmierigen Korruptionsthriller liefern: Die vorgeblich den Menschenrechten verpflichteten Herrscher der EU-Staaten wollen mit den Despoten ostafrikanischer Staaten, von denen derlei Vorgaben seltener kolportiert werden, eine »Kooperation« eingehen. Die Europäische Kommission und der Auswärtige Dienst Brüssels haben demnach bereits Konkretes vorgeschlagen. Die Regierungen von Eritrea, Sudan und Äthiopien, sowie der im Failed State Somalia als Regierung firmierende Personenkreis sollen in der Flüchtlingspolitik nach Brüssels Pfeife tanzen. Dafür winken dem Protokoll zufolge Wirtschaftshilfen und Visaerleichterungen für Diplomaten. Nun sind von Entscheidungsträgern, die einem Schlächter wie dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Milliarden Euro für dessen Part bei der Flüchtlingsabwehr bezahlen, allerlei Fiesheiten zu erwarten. Normalerweise werden die aber hübscher verpackt. Ein Thomas de Maizière, seines Zeichens Bundesinnenminister, sprach beispielsweise vor zwei Wochen von »Aufnahmezentren in Nordafrika«. Die von den dortigen Partnerregimen, im Gegenzug für noch auszuhandelnde Zuwendungen, zu schaffenden Einrichtungen würde er öffentlich kaum »Deportationslager« nennen. Das jetzt veröffentlichte Protokoll gibt die Absichten unverblümt preis. Im Kampf gegen ihn sucht die EU Partner: Flüchtling am Grenzzaun der spanischen Exklave Melilla (19.3.2014) Die »Lage im Rückführungsbereich« sei »unbefriedigend«, weshalb nun Allianzen mit den Verpönten geschmiedet werden. Zwar wurde zu jedem anvisierten Partnerstaat eine Einschätzung der Menschenrechtssituation erstellt, diese dann im nächsten Schritt aber ignoriert. Denn die Ergebnisse können kaum überraschen. Omar Al-Baschir, Präsident des Sudans, wird beispielsweise von der Afrikanerverfolgungsstelle des Westens (offizielle Bezeichnung: Internationaler Strafgerichtshof) wegen Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit per Haftbefehl »gesucht«, was seiner Qualifizierung als Kooperationspartner in Bereichen wie »Migration, Mobilität und Rücknahme« aber keinesfalls im Wege steht. Sollte es dem Sudan gelingen, seine Bürger künftig erfolgreicher einzusperren, winkt dem EU-Protokoll zufolge sogar die »Streichung von der Liste terrorunterstützender Staaten«. Der Auswärtige Dienst sorgt sich in diesem Zusammenhang zwar um den »Ruf der EU«, schlägt aber auch zur Zusammenarbeit mit anderen Regimen gänzlich Ungeniertes vor. In Äthiopien wird beispielsweise eine »katastrophale« humanitäre Situation ausgemacht, aber gleichzeitig ein »verbesserter Informationsaustausch« mit der dortigen Polizei angeregt. Auch Eritrea, wo der Website des deutschen Auswärtigen Amtes zufolge »regierungskritische Meinungsäußerungen zur Verhaftung führen« können, und Somalia, in dessen Hauptstadt Mogadischu die Islamistenmiliz Al-Schabab erst am Montag wieder fünf Menschen mit einer Autobombe tötete, gelten als der Öffentlichkeit eher schwer vermittelbare Partnerländer. Die Empörung kam prompt: Als »unglaublich zynisch« bezeichnete es die EU-Direktorin von Human Rights Watch, Lotte Leicht, »wenn die Europäische Union«, die ihr zufolge »auf Werten« basiere, »mit menschenverachtenden Regierungen« zusammenarbeite. »Desintegrationsgesetz« auf dem Weg Bleiberechtsentzug und Wohnsitzauflagen: Bundesregierung zeigt Flüchtlingen die Leitkultur D ie Spitzen von CDU, CSU und SPD haben sich auf ein Konzept zur »Integration von Flüchtlingen« geeinigt. Die Koalition habe »wesentliche, qualitative Entscheidungen« getroffen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag zu den Ergebnissen der siebenstündigen Sitzung vom Vorabend. Auch CSU-Chef Horst Seehofer und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel äußerten sich positiv. »Wir haben für die Migranten viel erreicht und für unsere Gesellschaft viel gewonnen«, sagte Gabriel. Merkel verwies am Donnerstag auf das aus der »Agenda 2010« bekannte Prinzip »Fördern und fordern«, mit dem Leistungskürzungen bei HartzIV-Beziehern begründet werden. Ziel sei, möglichst viele Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Für die Dauer einer Ausbildung soll das Bleiberecht aufrechterhalten bleiben, anschließend eine zweijährige Weiterbeschäftigung möglich sein. Wer eine Ausbildung abbricht, verliert das Bleiberecht. Die Eckpunkte sehen auch vor, dass Geflüchteten ein Wohnsitz zugewiesen werden kann. Bei Verstoß drohen »spürbare Konsequenzen«. Das Integrationsgesetz will die Bundesregierung am 24. Mai auf den Weg bringen. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl hat die Pläne kritisiert. »Die Bundesregierung plant ein Desintegrationsgesetz«, erklärte Geschäftsführer Günter Burkhardt am Donnerstag in Berlin. »Die Integrationshürde ist die verfehlte Politik des Innenministeriums«, sagte er. Wirtschaftsfunktionäre haben die Einigung der Koalitionsspitzen hingegen begrüßt. »Die Verabredungen zum Integrationsgesetz enthalten viele für die Unternehmen wichtige Punkte«, erklärte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Eric Schweitzer, am Donnerstag in Berlin. Gut sei, dass Flüchtlinge künftig einfacher und unbürokratischer eingestellt werden könnten, auch in der Zeitarbeit. Auch der Verband der Familienunternehmer äußerte sich positiv. Die Eckpunkte gingen in die richtige Richtung, erklärte Präsident Lutz Goebel. »Das ist ein Anfang.« (dpa/Reuters/jW) Passagiere bespitzeln, Geschäfte schützen DANIEL REINHARDT/DPA-BILDFUNK Türkische Regierung nutzt im Krieg gegen eigene Bevölkerung deutsche Waffen. Von Annette Groth Strasbourg. Das EU-Parlament hat am Donnerstag die Speicherung von Fluggastdaten beschlossen. Die sogenannte Passenger-Name-RecordRichtlinie verpflichtet die Airlines, den EU-Ländern ihre Fluggastdatensätze zu überlassen. Dazu dürfen Informationen über Passagiere wie Name, Adresse und Kreditkartennummer, aber auch Essenswünsche sechs Monate lang gespeichert werden. »Menschen werden anhaltslos zu Verdachtsobjekten gemacht«, kritisierte die Linkspartei-Abgeordnete Cornelia Ernst. Geschäftsgeheimnisse sollen in der EU dagegen besser geschützt werden. Die Abgeordneten verabschiedeten auch dazu am Donnerstag eine Richtlinie. Sie verpflichtet alle Regierungen, dafür zu sorgen, dass die Justiz gegen die rechtswidrige Nutzung von Geschäftsgeheimnissen vorgehen kann. Julia Reda von der Piratenpartei kritisierte, der Beschluss gefährde Whistleblower und investigative Journalisten. Es sei schwer zu verstehen, dass das die Antwort der EU auf die »Panama Papers« sei. (AFP/dpa/jW) Opposition will Abgasaffäre untersuchen Berlin. Ein von der Opposition im Bundestag angestrebter Untersuchungsausschuss zur Abgasaffäre soll die Verkehrspolitik bis ins Jahr 2007 aufarbeiten. Damit könnte er neben dem Vorgehen von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), das im Zentrum stehen soll, auch das seiner Vorgänger Peter Ramsauer (CSU) und Wolfgang Tiefensee (SPD) unter die Lupe nehmen. Man sei sich einig, dass man sich konzentrieren wolle, damit es noch in der laufenden Legislaturperiode ein Ergebnis gebe, sagte Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch am Donnerstag. Auslöser der Affäre ist VW. Der Wolfsburger Konzern hat eingeräumt, bei weltweit rund elf Millionen DieselPkw eine Software zur Manipulation der Abgaswerte eingebaut zu haben. (dpa/Reuters/jW) wird herausgegeben von 1.817 Genossinnen und Genossen (Stand 11.3.2016) n www.jungewelt.de/lpg
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