Millionen Menschen im Protest vereint

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161st Year – No. 23589911• Sunday, January 11 – Saturday, January 17, 2015
Gegen das Vergessen:
Schnupfen, Kiffen,
Schlucken Drogenmetropole
Berlin
Warum
Demenzkranke
Geschichten
brauchen
Seite 3
NACHRICHTEN - Kompakt
Staatsschutz ermittelt nach Brandanschlag
auf „Hamburger Morgenpost“
Hamburg (dpa). Nach dem Brandanschlag auf das
Gebäude der «Hamburger Morgenpost» ermittelt der
Staatsschutz. Unbekannte hatten mehrere Steine und
mindestens einen Brandsatz in das Archiv der Boulevardzeitung geworfen. Da sich keine Menschen in dem Haus
aufhielten, wurde niemand verletzt, aber es verbrannten
Akten. Kurz nach dem Anschlag nahm die Polizei zwei
35 und 39 Jahre alte Männer fest. Die «Morgenpost»
hatte nach dem Terroranschlag in Paris Karikaturen des
Satiremagazins «Charlie Hebdo» auf ihrer Titelseite mit der
Schlagzeile nachgedruckt: «So viel Freiheit muss sein!»
Seite 11
Tennisstar
Federer
feiert seinen
1000. Sieg
Seite 7
Schulterschluss gegen Terror in Paris
Millionen Menschen im
Protest vereint
Bundesregierung mahnt Bürger nach
Terroranschlägen zur Wachsamkeit
Berlin (dpa). Noch sind die Deutschen in Bezug auf
Terroranschläge im eigenen Land recht gelassen - wohl
weil das Land bisher nicht auf die Probe gestellt wurde,
meint Innenminister de Maizière. Nun mahnt er die
Bürger zur Wachsamkeit: Man habe Radikalisierungsprozesse in Deutschland, bei denen sich Personen
äußerlich und innerlich bis hin zu ihren Essgewohnheiten veränderten, sagte de Maizière der «Bild am
Sonntag». Der Minister gestand «große Sorge vor gut
vorbereiteten Tätern wie in Paris, Brüssel, Australien
oder Kanada» ein, betonte aber auch, man solle ein
Klima des Misstrauens vermeiden.
Trauer und Bestürzung nach Tod von
Bundesliga-Profi Malanda
Wolfsburg (dpa). Der internationale Fußball und der VfL
Wolfsburg sind geschockt: Der 20-jährige Profi Junior Malanda ist bei einem Autounfall gestorben. Immer wieder wird
Trainer Dieter Hecking von Weinkrämpfen geschüttelt, als
er über den Tod spricht, die Lücke sei so groß. Wolfsburg
ist im Schockzustand. «Alle Spieler sind total am Boden
zerstört, wir können unsere Fassungslosigkeit kaum in
Worte fassen. Wir haben einen lebensfrohen, lernbegierigen Menschen und einen außergewöhnlichen Fußballer
verloren», erklärte VfL-Manager Klaus Allofs.
Mutmaßlicher IS-Terrorist in Dinslaken
festgenommen
Dinslaken (dpa). Ein mutmaßlicher IS-Terrorist ist in Dinslaken festgenommen worden. Der 24-jährige Deutsche
soll im Oktober 2013 nach Syrien gereist sein und sich
dort der Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen haben, teilte der Generalbundesanwalt mit. Im vergangenen
November sei er nach Deutschland zurückgekehrt.
Hinweise auf konkrete Anschlagspläne gebe es nicht.
Die Festnahme stehe auch nicht im Zusammenhang mit
den Terroranschlägen in Frankreich. Nach unbestätigten
Angaben der «Bild am Sonntag» erfolgte die Festnahme
nach einem Hinweis von US-Geheimdiensten.
Vermummte randalieren am Rathaus
Neukölln
Berlin (dpa/bb). Unbekannte haben vor dem Rathaus
Neukölln in Berlin randaliert und mit Steinen sowie Farbbeuteln geworfen. Einem Polizeisprecher zufolge handelte
es sich um 30 bis 50 Vermummte. Sie warfen am späten
Samstagabend Farbbeutel auf das Rathaus und Steine auf
Geschäfte sowie zwei Banken in der Umgebung. Zudem
schlugen sie die Heckscheibe eines an einer Kreuzung
stehenden Autos ein und warfen Farbbeutel hinein. Der
Fahrer wurde ersten Ermittlungen zufolge nicht verletzt.
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Menschen versammeln sich an der Place de la Nation Endpunkt zu einem Marsch, um den Opfern der Terroranschläge zu ehren und Einheit zu zeigen. Kleines Bild: Präsident François Hollande (C) ist umgeben von
Staatshäuptern einschließlich (LR) Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Malis Präsident Ibrahim
Boubacar Keita, Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel, Präsident des Europäischen Rates Donald
Tusk, palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas und König Abdullah von Jordanien, umgeben und
Königin Rania Al Abdullah während des Solidaritätmarsches. Fotos: EPA/dpa
Paris/Berlin (dpa) - Mit
einer beispiellosen Welle
der Solidarität haben am
Sonntag in Frankreich fast
vier Millionen Menschen
ein starkes Zeichen gegen
den Terrorismus gesetzt. Bei
einer der größten Kundgebungen der Nachkriegszeit
kamen allein in der Hauptstadt Paris nach Schätzung
der Organisatoren bis zu
1,5 Millionen Menschen
zusammen, um gemeinsam
der jüngsten Opfer des
islamistischen Terrors der
vorigen Woche zu gedenken.
Dutzende Staats- und Regierungschefs aus aller Welt
marschierten vorneweg.
Frankreichs Präsident
François Hollande und Kanzlerin Angela Merkel starteten am Nachmittag untergehakt zum großen Marsch
im Zentrum der Hauptstadt.
Unweit der von Menschen
übersäten Place de la République versammelten sich
Spitzenpolitiker aus aller
Welt. Landesweit demonstrierten nach Schätzzahlen
des französischen Innenministeriums mehr als 3,7
Millionen Menschen.
Auch in anderen europäischen Hauptstädten
bekundeten Zehntausende
ihre Solidarität. In der belgischen Hauptstadt Brüssel
demonstrierten rund 20 000
Menschen für Redefreiheit
und gegen Hass, in Berlin
waren es etwa 18 000. In der
britischen Hauptstadt London wurden Wahrzeichen in
blau-weiß-rot - den Farben
der Tricolore, der Fahne
Frankreichs - angestrahlt.
Mehrere islamistische
Terroranschläge, Morde
und Geiselnahmen in Frankreich hatten seit Mitt-
woch das Leben von 17
unschuldigen Menschen
ausgelöscht. Allein der
Überfall auf die Redaktion
der Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» forderte zwölf
Todesopfer. Gegen die Welle
der Gewalt waren schon am
Samstag in ganz Frankreich
etwa 700 000 Menschen
auf die Straße gegangen,
wie Innenminister Bernard
Cazeneuve sagte.
An der Spitze des Pariser
Solidaritätsmarsches am
Sonntag liefen Angehörige
von Terroropfern, wie französische Medien berichteten.
Auf Transparenten stand:
«Je suis Charlie». An Hollandes rechter Seite ging
Malis Präsident Ibrahim
Boubacar Keïta - am zweiten Jahrestag des Einsatzes
französischer Truppen gegen
den Terror in Mali. An der
Kundgebung nahmen auch
Israels Ministerpräsident
Benjamin Netanjahu, Palästinenserchef Mahmud
Abbas, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko,
Italiens Ministerpräsident
Matteo Renzi und EU-Ratspräsident Donald Tusk teil.
Tausende Polizisten und
Soldaten waren für die
Sicherung des Solidaritätsmarsches mobilisiert.
Merkel würdigte den
Solidaritätszug von Paris
als Kundgebung gegen die
«barbarischen Ereignisse».
Die Kanzlerin attestierte
Frankreich «Unterstützung
nicht nur aus der europäischen Union, sondern aus
allen Teilen der Welt». Nach
ihren Worten zeigen die Menschen damit, dass sie sich
«für die Ideale von Freiheit,
Gleichheit und Brüderlichkeit stark machen».
Vor dem Marsch beriet
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mit
EU-Kollegen sowie US-Justizminister Eric Holder über
Konsequenzen im Kampf gegen den Terrorismus. Nach
dem dramatischen Ende
der Anti-Terror-Einsätze
in Frankreich suchten die
Ermittler auch am Sonntag
noch mögliche Unterstützer
der Gewalttäter. Nach dem
Tod der Attentäter am Freitag galt dennoch weiterhin
die höchste Alarmstufe.
Intensiv gefahndet wurde
nach der flüchtigen Lebensgefährtin eines der getöteten
Terroristen. Die 26-Jährige
soll Frankreich aber bereits
einige Tage vor dem Anschlag auf «Charlie Hebdo»
verlassen haben.
Hollande empfing am
Sonntag im Élysée-Palast
die Spitzenvertreter der
jüdischen Gemeinde des
Landes. Der Präsident der
Dachorganisation Crif, Roger Cukierman, sagte: «Wir
sind in einer Kriegssituation.» Einer der Attentäter
hatte am Freitag in einem
koscheren Geschäft Geiseln genommen und vier
Menschen erschossen. Die
jüdischen Opfer sollen in
Israel beigesetzt werden.
Die Brüder Chérif Kouachi
(32) und Said Kouachi (34),
die in der «Charlie-Hebdo»Redaktion ein Blutbad mit
zwölf Toten angerichtet
hatten, riefen dabei «Allah
ist groß» und «Wir haben
den Propheten gerächt». Sie
behaupteten, zur TerrorOrganisation Al-Kaida zu
gehören. Der jüngere der
beiden hatte sich nach Erkenntnissen der Ermittler
2011 im Jemen aufgehalten.
Auch die Miliz Islamischer
Staat (IS) drohte mit einer
größeren Terrorkampagne
und weiteren Angriffen
in Europa und den USA.
«Morgen werden es Großbritannien, die USA und andere
sein», sagte der IS-Prediger
Abu Saad al-Ansari in der
nordirakischen Stadt Mossul. Einen Zusammenhang
mit IS behauptete Amedy
Coulibaly (32), der dritte
der am Freitag getöteten
Männer.
Die drei Attentäter hatten
sich nach einem Bericht des
französischen Fernsehsenders BFMTV bei ihren Taten
eng abgestimmt. Von einem
der getöteten Terroristen
tauchte ein postum zusammengestelltes Video im Internet auf. Die Aufnahmen
zeigten Coulibaly und seien
über einen Twitter-Account
mit Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat
(IS) verbreitet worden, teilte
die Beobachtungsplattform
Site am Sonntag mit. Sein
Handeln begründet der spätere Attentäter in einer der
Aufnahmen in französischer
Sprache mit den Angriffen
der westlichen Koalition auf
die Gebiete des IS.
De Maizière rief die Bürger zu besonderer Wachsamkeit auf. «Wir haben
Radikalisierungsprozesse
in Deutschland, bei denen
sich Personen äußerlich und
innerlich bis hin zu ihren
Essgewohnheiten verändern», sagte der Minister
der «Bild am Sonntag». Er
gestand «große Sorge vor gut
vorbereiteten Tätern» wie
jetzt in Paris ein. De Maizière
betonte aber auch, man solle
ein Klima des Misstrauens
vermeiden.