Investors Waffengeschäfte Böhmermanns Provokation Perus Altlasten Eine neue Studie zeigt, welche Banken Rüstungsfirmen finanzieren. Seite 9 Das Heer der Satireexperten wächst stündlich. Muss das sein? Seite 17 Diktatorentochter Keiko Fujimori will Präsidentin werden. Seite 5 Foto: dpa/Ben Knabe Foto: imago/Pacific Press Agency Freitag, 8. April 2016 71. Jahrgang/Nr. 82 Berlinausgabe 1,70 € www.neues-deutschland.de * STANDPUNKT Jenseits des Terrortrios Die Döbeln Papers Brüssel bedrückt, Juncker traurig Schlechte Briefkästen, gute Briefkästen: Besuch bei Deutschlands ältestem Hersteller Schock nach Votum in Niederlanden – ändern soll sich aber nichts Velten Schäfer über die wahre deutsche Verfassungsschutzaffäre Natürlich ist es möglich, dass abgetauchte militante Jungnazis bei einem V-Mann arbeiteten und dessen Führer nichts ahnten. Auch vor der jetzt Furore machenden Dokumentation wies alles in diese Richtung: Die Szene nahm das Geld und lachte über das Amt. Dass die Dienste in Bund und Land die Aufklärung behindern wie in einem Groschenheft, ist ebenso klar. Was aber wird verschleiert? Geht es nur um die Peinlichkeit, dass sich Hochhäuser voll »Experten« von ein paar Rotzlöffeln benutzen ließen? Oder lief das Spiel nicht doch auch andersherum? 2015 sagte der frühere Erfurter NPD-Spitzel Kai-Uwe Trinkaus in der weniger beachteten Dokumentation »V-Mann-Land«, die Rechten hätten vom Verfassungsschutz durchaus mal Adressen von Linken bekommen – mit dem Hinweis, ein paar hinter die Löffel schadeten nicht. War dies ein Einzelfall? In Erfurt gab es einst einen exponierten, weit links stehenden Gewerkschaftsführer, der unter jahrelangen Attacken psychisch zusammenbrach und seinen Job verlor. Wurde vielleicht mal angedeutet, dieser Verrückte könne eine Abreibung vertragen? Steht der Komplex »NSU« jenseits des Terrortrios also nicht nur für den aus dem Ruder gelaufenen Versuch, die Szene »von oben« zu kontrollieren – sondern sie auch gelegentlich als inoffizielle Einheit gegen links einzusetzen? Gewiss, gewiss: nichts als Geraune! Aber das erhebt sich nun mal unter Umständen wie diesen. UNTEN LINKS Mit dem Kapitalismus ist es wie mit der deutschen Filmindustrie: Er muss sich fortwährend Neues einfallen lassen, um den Müll loszuschlagen, den er permanent erzeugt. Neulich z. B. fand in der aus »300 Shops« bestehenden »Mall of Berlin«, einer mitten in der Hauptstadt legal errichteten riesenhaften Designermülldeponie, ein »Event Silent Music Shopping« statt: »Täglich zwischen 12 und 21 Uhr«, so hieß es, könne man dort seiner Bestimmung nachgehen und einkaufen, bis der Dispo quietscht und die Hände blutig sind. Das Beste ist: »Die Besucher erhalten einen Funk-Kopfhörer und können Musik (…) über die Kopfhörer empfangen – und sich dabei in der Mall of Berlin frei bewegen und auch shoppen.« Aus dem Marketing-Deutschen übersetzt: Wem die Zurichtung zum Konsumtrottel nicht reicht, kann die Armseligkeit seines Tuns intensivieren, indem er sich akustischer Isolationsfolter unterzieht. Zweifelsohne ist die Formulierung »frei bewegen« hier sehr gut gewählt. tbl ISSN 0323-4940 Brüssel. Die EU-Kommission will nicht über mögliche Auswirkungen des niederländischen Referendums zum Abkommen mit der Ukraine spekulieren. »Es ist jetzt an der niederländischen Regierung, das Ergebnis zu analysieren und zu entscheiden, wie es weitergeht«, sagte ein Sprecher am Donnerstag. »Es ist zu früh, (...) jetzt schon darüber zu spekulieren, was passieren könnte.« Die Niederländer hatten in dem Referendum das Assoziierungsabkommen abgelehnt. Gleichzeitig betonte der Sprecher, dass sich an bereits gültigen Vereinbarungen mit der Ukraine vorerst nichts ändern werde. Alle Mitgliedsstaaten seien damit einverstanden gewesen, das Abkommen bereits vor der Ratifizierung vorläufig in Kraft treten zu lassen. Zum Gemütszustand des Kommissionschefs Jean-Claude Juncker nach dem Referendum sagte der Sprecher: »Der Präsident ist traurig.« Der Regierung in Kiew sicherte er zu, dass sich die EU-Kommission weiter engagiert um die Beziehungen zur Ukraine bemühen werde. dpa/nd Seiten 4 und 7 Staatsdiener-Druck in Griechenland Streiks gegen Regierungspläne zur Kürzung der Renten Foto: Max Knobloch Berlin. Dass der Bundestag sich mit den Praktiken von Briefkastenfirmen befassen wird – Thomas Kolbe kann es egal sein. Dabei führt er Deutschlands älteste Briefkastenfirma im sächsischen Döbeln, die Postbehälter für alle Gelegenheiten herstellt. Und das ziemlich erfolgreich; für dieses Jahr rechnet Kolbe mit zweistelligem Wachstum. Die Enthüllungen über weltweiten Steuerbetrug mit Hilfe von Scheinfirmen in Panama und anderswo kann Kolbe auch aus einem anderen Grund gelassen verfolgen: Er deponiert das Geld seiner Firma bei der Genossenschaftsbank, wie nd-Reporter Hendrik Lasch beim Besuch in Döbeln erfuhr. Ziemlich unentspannt geht dagegen die Politik mit den sogenannten Panama Papers um. Deren Brisanz ist noch gar nicht vollständig bekannt, doch der politische Handlungsdruck ist schon enorm. In Island amtiert nun ein neuer Premier, weil der bisherige Amtsinhaber mit einer Firma in den »Panama Papers« auftauchte. Der argentinische Präsident wurde wegen Steuerflucht verklagt – er ist an zwei Offshore-Firmen beteiligt. Die Meldungen über dubiose Vermögensverschiebungen einflussreicher chinesischer Familien häufen sich. In Deutschland steht die Regierung in der Kritik. Linksfraktionschefin Sahra Wagen- knecht wirft ihr vor, die »Geschäftspraktiken der Finanzmafia nicht wirkungsvoll unterbunden« zu haben. Und die Grünen-Politikerin Lisa Paus erklärte, Deutschland agiere »gegenüber ausländischen Anlegern in Teilen selbst wie eine Steueroase«. Die Länderfinanzminister forderten am Donnerstag übrigens mehr Transparenz bei Briefkastenfirmen. Davon allerdings dürfte Briefkastenbauer Kolbe aus Döbeln bei seinen Produkten nichts halten. Denn was in den von ihm ausgelieferten Kästen landet, geht tatsächlich nur die Besitzer etwas an. wh Seiten 2, 3, 4 und 15 Beschäftigte V-Mann Mundlos und Zschäpe? Neue Enthüllungen um den NSU werfen die Frage auf, wie nahe der Geheimdienst dem Terrortrio kam NSU-Terrorist Mundlos hat offenbar in einer Firma eines VManns des Bundesverfassungsschutzes gearbeitet – und womöglich auch Zschäpe. Opfer wollen Antworten von Merkel. Von Velten Schäfer »Ein paar Neuigkeiten« versprach der Journalist Stefan Aust per Twitter, als er am Mittwoch die ARD-Dokumentation »Der NSUKomplex« ankündigte. Und tatsächlich sahen sich die Agenturen am Donnerstag veranlasst, Hintergründe zum Thema »Wie tief ist der Verfassungsschutz in den NSU-Skandal verwickelt?« zu bringen. Nach dem Bericht war der NSUTerrorist Uwe Mundlos zwischen 2000 und 2002 in einer Zwickauer Baufirma als Vorarbeiter beschäftigt, die der Neonazi Ralf Marschner gegründet hatte. Dieser war bis 2002 der V-Mann »Primus« des Bundesamts für Verfas- sungsschutz. In diese Zeit fallen die NSU-Morde in Nürnberg und München – während die Firma dort tätig war und auch Kfz gemietet hatte. Den Reportern gegenüber, die Marschner in Liechtenstein aufspürten, bestritt dieser die Vorhaltung. Bisher bekannt war, dass der »Bauservice Marschner« in der fraglichen Zeit einen Max-Florian Burkhardt beschäftigte, der das Trio zeitweise versteckt haben soll. Das Team der »Welt« um Aust machte nun einen Bauprojektmanager ausfindig, der mit der Firma zu tun hatte und den dort beschäftigten Burkhardt als Mundlos identifizierte. Laut dpa hat Beate Zschäpe zudem einige Jahre später in dem Geschäft »Heaven and Hell« gearbeitet, das gleichfalls Marschner gegründet hatte. Bereits im November 2014 berichtete das Antifablatt »Der Rechte Rand« von der Aussage eines »langjährigen Geschäftspart- ners« Marschners: Er habe Zschäpe öfter in dem 2005 gegründeten Laden gesehen; dort gearbeitet habe sie aber nicht. Nun zitiert dpa offenbar denselben Mann – einen »früheren Partner« – gegenteilig: »Ich habe nicht Nein gesagt«, antwortete er auf die Frage nach einer Tätigkeit Zschäpes in dem Laden. Nach seiner jetzigen Aussage soll »Heaven and Hell« allerdings erst seit 2008 existiert haben. Marschner verschwand 2007 aus Zwickau. Die Enthüllungen lösen abermals scharfe Kritik aus. Das Bundesamt kennt weiterhin »keine Anhaltspunkte« dafür, dass es im Umfeld der Dienste Informationen über das Trio und seine Taten gab. Mehmet Daimagüler, Nebenklageanwalt im NSU-Prozess, fordert dagegen »Antworten auch von Merkel«. Für die sächsische Politikerin Kerstin Köditz (LINKE) zeigt sich erneut, wie »nutzlos ein System von V-Leuten ist«. Für Linksparteichefin Katja Kip- ping muss, »wer Verfassung schützen will, (...) diese Dienste abschaffen«. Irene Mihalic, für die Grünen im NSU-Ausschuss des Bundestags, fragt via Twitter: »Wer glaubt da noch an Zufälle?« Unterdessen kam es in der Nacht zu Donnerstag im rheinland-pfälzischen Bingen zu einem Brand in einem auch von Flüchtlingen bewohnten Haus. Dessen Fassade wurde mit Hakenkreuzen beschmiert. Seite 8 } Lesen Sie morgen im wochen-nd Kulturrettung: Wo sind Palmyras Bewohner? Weltraumbaustelle: ISS kommt in die Jahre Höllengarantie: Dumme, Böse und Gemeine Athen. Aus Protest gegen geplante Rentenkürzungen sind griechische Staatsbedienstete am Donnerstag in einen 24-stündigen Streik getreten. Dem Ausstand, zu dem die Gewerkschaft der Staatsbediensteten Griechenlands (ADEDY) aufgerufen hatte, schlossen sich auch die Fluglotsen und die Journalisten an. Wichtigste Auswirkung: Seit Mitternacht ruhte der gesamte Flugverkehr von und nach Griechenland, während im Land selbst Ministerien, Steuerämter und andere Behörden bestreikt werden. Alle anderen Verkehrsmittel fahren normal. Die Ärzte in staatlichen Krankenhäusern behandeln nur Notfälle. Auch die Lehrer wollten die Arbeit niederlegen. Im Radio und Fernsehen werde es keine Nachrichten geben, teilte die Gewerkschaft der Journalisten des Landes mit. Zurzeit verhandelt Athen mit seinen Gläubigern über weitere Sparmaßnahmen in Höhe von 5,4 Milliarden Euro. Allein die Kürzungen der Renten sollen 1,8 Milliarden betragen. dpa/nd CSU ist für SPD ein Störenfried Streit in der Bundesregierung nach Koalitionsgipfel wieder aufgeflammt Berlin. Nach dem Spitzentreffen der drei Parteichefs am Mittwochabend hängt der Haussegen in der Großen Koalition schief. Die SPD wirft der CSU vor, das schwarz-rote Bündnis lahmzulegen. »Es reicht jetzt wirklich. Weil die CSU in der Flüchtlingspolitik nicht ihren Willen bekommt, blockiert sie alles, was geht«, erklärte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley am Donnerstag. Parteivize Ralf Stegner nannte die CSU in der ARD einen »Störenfried«, weil die Bayern bei Themen wie Erbschaftsteuerreform, Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit sowie bei Energiewende und Behindertenrecht auf die Bremse träten. Bundeskanzlerin Angela Merkel, CSUVorsitzender Horst Seehofer und SPD-Chef Sigmar Gabriel hatten mehr als zwei Stunden über einen Fahrplan für die Lösung mehrerer umstrittener Sachfragen beraten. Ergebnisse wurden nicht mitgeteilt. Am Sonntag wird sich die Unionsspitze in größerer Runde ein weiteres Mal im Kanzleramt treffen, um den Koalitionsausschuss von Union und SPD am Mittwoch vorzubereiten. dpa/nd
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