Letzter Versuch TASS/DPA-BILDFUNK Am 19. August 1991 ergriff ein »Staatskomitee für den Ausnahmezustand« in Moskau die Macht. Statt den Zerfall der Sowjetunion aufzuhalten, wurde er beschleunigt. Ein Gespräch mit Hans Modrow und eine Analyse von Reinhard Lauterbach SEITEN 3 UND 12/13 GEGRÜNDET 1947 · FREITAG, 19. AUGUST 2016 · NR. 193 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Zuschauer Eingeknickt Zusammenschluss Kämpferisch 2 4 6 7 Die Staatengemeinschaft schweigt weiter zu Massakern an Kurden und Kritikern in der Türkei In Köln setzt sich die Erdogan-Lobby erneut durch: Kurdisches Kulturfestival abgesagt In Kiew diskutierten osteuropäische Neonazis über ihre geopolitische Strategie. Von Peter Schaber Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff will im Amtsenthebungsverfahren vor Senat Flagge zeigen Sittentest für Muslime Über 40.000 Festnahmen nach Putsch in der Türkei Istanbul. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen nach dem Putschversuch in der Türkei ist das Vermögen von 187 Geschäftsleuten beschlagnahmt worden. Das habe die Istanbuler Staatsanwaltschaft entschieden, berichtete die Nachrichtenagentur DHA am Donnerstag. Ihnen werde vorgeworfen, Verbindungen zum Prediger Fethullah Gülen zu haben. Nach 187 Verdächtigen werden gefahndet. Bei der ausgerufenen »Säuberungswelle« sind bislang 79.900 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes entlassen worden, sagte Ministerpräsident Binali Yildirim am späten Mittwoch abend in einer im Fernsehen übertragenen Rede. 40.029 Menschen seien festgenommen worden, gegen 20.355 sei Haftbefehl ergangen. Außerdem wurden 4.262 Firmen und Einrichtungen geschlossen, weil sie mit Gülen zusammengearbeitet haben sollen. (dpa/Reuters/jW) DAMIR SAGOLJ / REUTERS Vor der Konferenz der Unions-Innenminister streiten CDU und CSU über Burkas. Ein Teilverbot ist wahrscheinlich. Von Ulla Jelpke Von der Union als größte Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausgemacht: islamische Verschleierung. Mit Terrorismus hat das nichts zu tun könnte. Zu Recht – der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat schon vor sechs Jahren darauf hingewiesen, ein Verbot der Vollverschleierung sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Vom Verweis auf die Verfassung lassen sich die Scharfmacher unter de Mazières Kollegen aber nicht beeindrucken. Dazu gehören insbesondere jene Innenminister, die in aktuellen Wahlkämpfen stehen, etwa Frank Henkel (Berlin) und Lorenz Caffier (Mecklenburg-Vorpommern). Beide fordern auch die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Henkel forderte im ARD-»Morgenmagazin« unter Verweis auf die jüngsten Anschläge in Süddeutschland, Menschen mit zwei Pässen müssten sich klar bekennen. »Es kann keine doppelten Loyalitäten geben«, so Henkel, der damit die Frage der Staatsbürgerschaft zum Bekenntnis für oder wider terroristische Gewalt erhob. Politiker der SPD lehnten diese Pläne ab: »Der Doppelpass bleibt«, erklärte etwa Justizminister Heiko Maas. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller bezeichnete die Forderungen seines CDU-Innensenators als »wilden Aktionismus«. Den wahrscheinlich intelligentesten Beitrag zur Debatte lieferte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (ebenfalls SPD), der erklärte, wer Burkas verbiete, der müsse auch verbieten, »dass sich Menschen als Nikolaus verkleiden«. Die Burka sei zwar ein Zeichen mangelnder Integration, aber nicht mangelnder Sicherheit. Hinter den Kulissen bereiten Union und SPD allerdings einen Kompromiss vor, der Teilverbote der Burka in bestimmten Bereichen vorsieht. De Maizière nannte etwa Meldeämter, Standesämter und Demonstrationen, SPD-Vize Ralf Stegner kam dem per Twitter entgegen: Ein Verbot sei »in Sicherheitsbereichen und einzelnen Institutionen« grundgesetzkonform. Verlässliche Zahlen, wie viele Frauen in Deutschland eine Vollverschleierung tragen, gibt es übrigens nicht. Die anderen Punkte des Forderungskatalogs der Union wurden gestern allenfalls am Rande angesprochen. Der bayerische Innenminister Herrmann machte sich für eine »Fußfessel für islamistische Gefährder« stark und forderte ähnlich wie auch schon de Maizière die Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht. Auf dem »Berliner Erklärung« betitelten Wunschzettel der Unions-Innenminister werden darüber hinaus »mehr Personal und mehr Befugnisse für unsere Nachrichtendienste« gefordert, die künftig auch Minderjährige bespitzeln und die Vorratsdatenspeicherung nutzen sollten. Datenschutz solle es nur »mit Augenmaß« geben, heißt es in dem Papier. Siehe Seiten 8 und 15 Ausgerechnet Rürup gegen Rente mit 69 Ehemaliger Regierungsberater kritisiert Bundesbank-Vorstoß als »nicht konstruktiv« D er Vorstoß der Bundesbank für eine Rente erst mit 69 Jahren geht nach den Worten des früheren »Wirtschaftsweisen« Bert Rürup an der Realität vorbei. Damit werde »die aktuelle rentenpolitische Diskussion gar nicht zur Kenntnis« genommen, sagte der Rentenexperte am Donnerstag im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. Gegenwärtig gehe es darum, »wie man das System armutsfester machen kann«. Die Bundesbank hatte am Montag Berechnungen vorgelegt, wonach das Renteneintrittsalter ab 2030 in Stufen bis 2060 von 67 auf 69 Jahre steigen sollte. Durch die längere Lebensarbeitszeit könne ein weiteres Absinken des Rentenniveaus verhindert werden. Nach geltendem Recht steigt das Renteneintrittsalter bis 2029 von derzeit 65 Jahren und fünf Monaten auf dann 67 Jahre. Zugleich soll das allgemeine Niveau der Bezüge aus der gesetzlichen Altersvorsorge von derzeit knapp 48 auf 43 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens sinken. Rürup beklagte, die Bundesbank thematisiere die anstehenden Fra- gen, wie man den Risiken einer Zunahme von Altersarmut begegnen könne, gar nicht. Dabei gehe es im Moment konkret darum, »wie man mit den Soloselbständigen und Langzeitarbeitslosen umgehen soll, was eine rentenpolitische Antwort auf eine Zunahme von gebrochenen Erwerbsbiographien sein kann«. Rürup war von 2002 bis 2003 Vorsitzender der von der Bundesregierung von SPD und Grünen installierten »Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme«, kurz »Rürup-Kommission«. 2004 wurde auf der Basis der Vorschläge des Gremiums das »Gesetz zur Nachhaltigkeit der Rente« verabschiedet, mit dem unter anderem die erwähnte Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent festgeschrieben wurde, die ein wesentlicher Grund für die vielen Durchschnittsverdienern drohende Altersarmut ist. Die Kommission hatte sich schon damals für die 2007 beschlossene Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre ausgesprochen. (Reuters/dpa/jW) Widerstand gegen Abschiebungen wirkt MARKUS SCHOLZ/DPA - BILDFUNK E igentlich sollte das Treffen der Unions-Innenminister, das gestern abend in Berlin begann, der Sicherheitspolitik gewidmet sein. Tatsächlich spitzte sich die unionsinterne Debatte unmittelbar vor Beginn der Zusammenkunft auf reine Symbolpolitik zu: Befürworter und Gegner eines Burka-Verbots meldeten sich nahezu stündlich in den Nachrichtenagenturen zu Wort. Dabei behauptet zwar keiner ernsthaft, dass die Frage, ob eine muslimische Frau voll-, halb- oder gar nicht verschleiert ist, irgend etwas mit Sicherheit zu tun hat. Es genügt den meisten Konservativen, dass ihnen die Burka einfach nicht gefällt: Sie sei »ein Fremdkörper in unserem Land«, polterte etwa Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Wichtigster Gegner eines Totalverbots ist Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der befürchtet, dass eine solche Maßnahme vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden Berlin/Brüssel. Seit Anfang 2015 sind mehr als 600 Abschiebungen per Flugzeug aus der BRD im letzten Moment gestoppt worden. Das geht aus einem Bericht der Bild (Donnerstagausgabe) hervor, der sich auf Daten des Bundesinnenministeriums bezieht. Demnach sei die Abschiebung in 330 Fällen ausgesetzt worden, weil sich die Migranten heftig gewehrt hätten. Zudem hätten sich 160mal Fluglinien oder Piloten geweigert, den Flug durchzuführen. Wie es nach den Abbrüchen weiterging, schrieb das Blatt nicht. Am Mittwoch protestierten zwei Deutsche in einem Flugzeug spontan gegen die Abschiebung eines Migranten. Sie wurden zusammen mit vier weiteren Personen des Flugzeugs verwiesen, wie die Nachrichtenagentur Belga berichtete. Der Asylsuchende wurde ebenfalls aus der Maschine gebracht. Er soll aber noch in dieser Woche mit einem anderen Flug abgeschoben werden. (dpa/jW) wird herausgegeben von 1.867 Genossinnen und Genossen (Stand 12.8.2016) n www.jungewelt.de/lpg
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