Die Achse Brüssel–Kiew

Soweto-Revolte
JULIA NAUE/DPA
Vor 40 Jahren erhoben sich die Bewohner des südafrikanischen Townships gegen das Apartheidregime.
Während das Land den Jahrestag
begeht, spitzen sich die Auseinandersetzungen innerhalb der Regierungsallianz zu
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GEGRÜNDET 1947 · DONNERSTAG, 16. JUNI 2016 · NR. 138 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT
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Verfolgungseifer
Ausbruchsversuch
Gesprächsbasis
Lagerland
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12
München: Am Freitag beginnt der Prozess gegen zehn Revolutionäre
aus der Türkei. Von Nick Brauns
Portugal wehrt sich diskret gegen
Gängelung aus Brüssel. Streit
um Finanzierung von Schulen
Venezuela und die USA wollen diplomatische Beziehungen normalisieren. Siehe Kommentar Seite 8
Europas zynische Flüchtlingspolitik
und die Leiden der Griechen.
Von Hansgeorg Hermann
Verfassung sucht Schutz
Bericht: Bundeswehr
in Syrien im Einsatz
Berlin/Damaskus. Einem Bericht
der staatlichen syrische Nachrichtenagentur Sana zufolge sollen
Bundeswehr-Soldaten in Syrien
aktiv sein. Wie auch andere
syrische Medien am Mittwoch
meldeten, unterstützen deutsche
und französische Spezialkräfte
im Norden des Landes von Kurden geführte Einheiten im Kampf
gegen die Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS). Über einen
solchen Einsatz berichtete auch
die »Syrische Beobachtungsstelle
für Menschenrechte«, ein oppositionsnahes Propagandabüro mit
Sitz in Großbritannien. Demnach
seien mindestens 20 deutsche
Militärberater im Einsatz, hieß
es unter Berufung auf »mehrere
zuverlässige Quellen«. Das Bundesverteidigungsministerium in
Berlin dementierte die Berichte.
Die Meldungen seien falsch, sagte ein Ministeriumssprecher am
Mittwoch. (dpa/jW)
Grundrechte-Report kritisiert Massenüberwachung, Linksfraktion fordert Amtsenthebung
von Geheimdienstchef Maaßen, den die Parlamentsarbeit stört. Von Claudia Wangerin
D
Abschlussbericht zum BER:
Schlamperei ohne Ende
CHRISTIAN-DITSCH.DE
Seit Bekanntwerden der NSA-Massenüberwachung weiß jeder, woran er bei modernen Kommunikationsmitteln ist
diesem unsäglichen Auftritt fordere ich
den Bundesinnenminister auf, endlich
zu handeln und Herrn Maaßen zu entlassen«, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Bayerischen Rundfunk. Der
SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, legte dem
Geheimdienstchef den Rücktritt nahe:
»Herr Maaßen sollte in sich gehen und
überlegen, ob er in der jetzigen Situation noch der Richtige an der Spitze des
Amtes ist.«
Der NSA-Ausschuss tagt seit April
2014. Im aktuellen Grundrechte-Report
kritisiert Rechtsanwalt Rolf Gössner,
dass der Ausschuss bis heute nicht die
Liste der NSA-Selektoren einsehen
durfte, die dem Bundesnachrichtendienst (BND) übermittelt worden waren, um große Datenströme nach den
entsprechenden Begriffen, Telefonnummern oder Mailadressen durchsuchen
zu können. Statt dessen hatte die Regierungskoalition den Exbundesrichter Kurt Graulich als »unabhängige,
sachverständige Vertrauensperson« zur
Überprüfung der Selektorenliste engagiert. Im Oktober 2015 hatte Graulich
seinen Bericht in drei Versionen vorgelegt: einer öffentlichen, einer »streng geheimen« für Ausschussmitglieder und
einer für das Bundeskanzleramt. So vertusche die Regierung »mutmaßlich kriminelles, verfassungs- und völkerrechts-
widriges Handeln«, schreibt Gössner
im Kapitel »Ausspähen unter Freunden
– geht doch!«. Unter den rund 14 Millionen Selektoren seien etwa 40.000, die
der BND selbst als rechtswidrig oder
gegen deutsche oder europäische Interessen gerichtet eingestuft habe.
Der Grundrechte-Report wird vom
Republikanischen Anwältinnen- und
Anwälteverein, der Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen, der
Internationalen Liga für Menschenrechte, der Neuen Richtervereinigung der
Humanistischen Union, dem Komitee
für Grundrechte und Demokratie, dem
Bundesarbeitskreis Kritischer Jura­
gruppen und Pro Asyl herausgegeben.
Die Achse Brüssel–Kiew
NATO verstärkt Kooperation mit Ukraine. Poroschenko zu Gipfeltreffen eingeladen
K
napp einen Monat vor dem
NATO-Gipfel in Warschau
hat das westliche Kriegsbündnis den Konfrontationskurs gegenüber
Russland erneut bekräftigt. Am zweiten
Tag des Treffens der Verteidigungsminister des Militärpakts in Brüssel tagte
auch die NATO-Ukraine-Kommission.
Dabei wurde beschlossen, ein »umfassendes Unterstützungspaket« für Kiew
voranzubringen. Dieses soll helfen,
»effektiverer und effizienterer Verteidigungs- und Sicherheitsstrukturen« aufzubauen, erklärte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. »Wir entwickeln
zudem neue Projekte in den Bereichen
der hybriden Kriegführung und der Minenbeseitigung«, sagte der Norweger.
Er forderte, Russland solle seine Unterstützung für die Aufständischen im
Donbass beenden und »seine Truppen
und Ausrüstungen von ukrainischem
Territorium abziehen«, ohne deren Existenz zu belegen. Das Militärbündnis
werde die Souveränität und territoriale
Unversehrtheit der Ukraine schützen.
Als Zeichen der Unterstützung wurde
der ukrainische Präsident Petro Poroschenko zum nächsten Treffen der
NATO-Ukraine-Kommission auf dem
Gipfel des Kriegsbündnisses am 8. und
9. Juli in Warschau eingeladen.
Gleichzeitig stellten die NATO-Verteidigungsminister Russlands staatliche Integrität in Frage: Man werde die
»illegale und illegitime Annexion der
Krim« nicht anerkennen, hieß es am
Mittwoch in Brüssel. Zur Zeit finden
mehrere NATO-Großmanöver in Osteuropa statt, zum Teil in unmittelbarer Nähe der russischen Grenze. Dass
Moskau deswegen seine Truppen im
Westen verstärkt, erklärte Stoltenberg
zur Gefahr für die Stabilität der Region.
Bereits am Dienstag hatten die Ver-
teidigungsminister der Kriegsallianz
beschlossen, in Polen und den drei baltischen Staaten jeweils 1.000 Soldaten zu
stationieren. Auch die Bundesrepublik
wird dafür Truppen bereitstellen und
in Litauen sogar die Führung übernehmen. Russland kritisierte die NATOPläne scharf. Diese Entscheidung stehe
im Widerspruch zu bestehenden Abkommen, die militärische Zurückhaltung forderten, sagte laut Nachrichtenagentur dpa Andrej Kelin vom russischen Außenministerium am Mittwoch
in Moskau. (AFP/dpa/Reuters/jW)8
Siehe Seite 8
PATRICK PLEUL/DPA - BILDFUNK
er deutsche Inlandsgeheimdienst nennt sich Verfassungsschutz, aber mit der Frage, wie
es um die im Grundgesetz verankerten
Bürger- und Menschenrechte bestellt
ist, befassen sich andere. Einen Tag
nach Amtsenthebungsforderungen gegen Verfassungsschutzpräsident HansGeorg Maaßen durch Oppositionspolitiker haben Anwälte und Aktivisten
in Karlsruhe den diesjährigen Grundrechte-Report vorgestellt. Acht Bürgerrechtsorganisationen kritisieren darin
neben der fortgesetzten »Amputation«
des Asylrechts durch Festlegung »sichererer Herkunftsstaaten« auch jene
Massenüberwachung, zu der Maaßen
im NSA-Ausschuss des Bundestags Rede und Antwort stehen sollte.
Er hatte dort vergangene Woche den
Abgeordneten deutlich gemacht, was
er von ihrem Versuch einer demokratischen Kontrolle der Geheimdienste hält.
Die Arbeit des Untersuchungsausschusses zur Massenüberwachung durch den
US-Geheimdienst NSA und dessen
Partner behindere die Arbeit seiner Behörde, so Maaßen. Das gilt aus seiner
Sicht auch für den Untersuchungsausschuss zur Terrorserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU). Im
Bundesamt für Verfassungsschutz würden Kräfte gebunden, die den Ausschüssen Informationen liefern müssten, beklagte er sich. Die »Skandalisierung«
halte die Nachrichtendienste von lebenswichtigen Aufgaben ab: »Niemand sage im Fall eines Terroranschlages, das
habe er nicht gehört«, erklärte Maaßen.
Zudem äußerte er den unbelegten Verdacht, der NSA-Whistleblower Edward
Snowden sei ein russischer Agent.
Der Oppositionspolitiker André
Hahn (Die Linke) forderte am Dienstag personelle Konsequenzen: »Nach
Berlin. Kollektiver Realitätsverlust,
ein Verantwortungsvakuum und
mangelnde Kontrolle zählen zu
den Hauptgründen für das Debakel um den neuen Hauptstadtflughafen in Schönefeld bei Berlin.
Das geht aus dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses hervor, den das Berliner
Abgeordnetenhaus am Mittwoch
veröffentlichte.
Die Opposition aus Grünen,
Linken und Piraten fügte dem
Bericht allerdings lange Sondervoten an, weil in dem Text die Politiker, die im Aufsichtsrat Verantwortung trugen, zu sehr geschont
würden. Der Bericht war vor zwei
Wochen beschlossen worden, am
Donnerstag nächster Woche soll
er im Landesparlament diskutiert
werden.
(dpa/jW)
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