Deutsche US-Exporte schrumpfen

faulheit & arbeit
Sonnabend/Sonntag,
19./20. November 2016, Nr. 271
n Drucksachen
n Schwarzer Kanal
n Reportage
n ABC-Waffen
Geist der Abspaltung. Antonio Gramsci
1930 in seinen »Gefängnisheften« über
Krisen bürgerlicher Herrschaft
Leitkultur und Leitnation. Nach Trumps Sieg
schwankt das deutsche Ideologiegewerbe
zwischen Panik und Machtgier
Gegen den Hass. Irmela Mensah-Schramm
entfernt seit 30 Jahren rechte Propaganda.
Von Carmela Negrete
Die wichtigsten Missverständnisse über das
Sexualleben des Mannes. Johannes und die
1.000 Schuss. Von Till Burgwächter
THOMAS PETER/REUTERS
»Gegen den Algorithmus kann es
kein Aufbegehren geben«
Gespräch n mit Matthias Burchardt. Über den digitalen Angriff auf die Schulen,
asoziale soziale Netzwerke und die Morgendämmerung des Maschinenmenschen
W
PRIVAT
er Ihren Namen
im Internet
sucht, erfährt,
dass Sie Monsterologe sind, also
so etwas wie ein Monster-Experte.
An dieser Stelle sollen Sie vornehmlich als Pädagoge und Bildungsforscher gefragt sein, der hierzulande
als einer von ganz wenigen Wissenschaftlern vor den Gefahren der
»digitalen Medien« warnt, insbesondere vor deren ungebremstem Vordringen in das Bildungssystem – von
den Kitas über die Schulen bis hinein in die Hochschulen. Sehen Sie
gleichwohl Berührungspunkte zwischen beiden Forschungsfeldern?
In der Tat nimmt die Präsenz der digitalen Endgeräte monströse Ausmaße
an. Wenn Sie mit offenen Augen in der
U-Bahn sitzen, sehen Sie um sich herum
ruhiggestellte Menschen, die von kybernetischen Exoparasiten kontrolliert werden. Manche dieser Invasoren schießen
ihre weißen Tentakel in die Ohren der
Menschen, andere bannen den Blick ihrer
Matthias Burchardt
ist Akademischer Rat am »Institut für
Bildungsphilosophie, Anthropologie und
Pädagogik der Lebensspanne« an der
Universität zu Köln und stellvertretender
Geschäftsführer der Gesellschaft für
Bildung und Wissen (GBW). Der Verein
widmet sich nach Eigendarstellung der
»Auseinandersetzung mit den Grundzügen, Voraussetzungen und Folgen der
gegenwärtigen umfassenden Bildungsreform von Schule und Hochschulen«.
Wirte mit einem hypnotischen Leuchten
an eine glänzende Oberfläche. Sie lassen
sich streicheln und schmiegen sich an die
warmen Körper, dabei regulieren sie die
Aufmerksamkeit der Besiedelten, steuern ihr Verhalten, und wenn sie Hunger
haben, versorgt sie der Wirt mit neuer
Energie. Doch diese digitalen Schmarotzer wollen mehr als nur Strom, ihr
Appetit gilt dem Leben der Wirte. Und
sie pflanzen sich fort: Eltern stecken ihre Kinder an. Die Kinderzimmer sind
längst befallen, und Kitas, Schulen und
Universitäten entpuppen sich als wahre
Inkubatoren der digitalen Brut, die einst
die Herrschaft über die Lande des Menschen übernehmen wird. Ansonsten sehe
ich keinen Zusammenhang zwischen den
Forschungsfeldern.
Was ist mit dem hier: Monster
sorgen für schlaflose Nächte, das
Internet auch? Die Online- und
Spielsucht in Deutschland nimmt
immer gravierendere Ausmaße
an. Laut der Drogenbeauftragten
der Bundesregierung, Marlene
Mortler, CSU, gelten heute bereits
560.000 Menschen als computersüchtig. Kinder und Jugendliche
sind dabei besonders gefährdet. Vor
einem Monat hat die Bundesregierung die Auflage eines fünf Milliarden Euro schweren Programms zur
Ausstattung aller deutschen Schulen
mit modernster digitaler Technologie angekündigt (jW berichtete am
13. Oktober). Den sogenannten Digitalpakt #D bewirbt das von Johanna
Wanka, CDU, geführte Bundesbildungsministerium mit: »Einmaleins
und ABC nur noch mit PC.« Wie gut
schlafen Sie noch bei all dem, oder
Ihre Kinder?
Frau Wanka entfesselt die nächste Welle
durch einen Pakt, der den Charakter einer Gewalttat im Gewand einer Wohltat
hat. Mir bereitet dieser Angriff auf die
Schulen tatsächlich große Sorgen. Meine
Kinder dagegen schlafen gut, weil ihre
innere Uhr abends nicht vom Bildschirmlicht gestört wird. Tatsächlich gehören
Schlaf- und Konzentrationsstörungen zu
Spielerei, Bedrohung,
Stütze – wie man den
Einsatz digitaler Techno­
logie im Klassenzimmer
bewertet, hat oft mehr
mit Ideologie als mit
Auseinandersetzung
zu tun
Maschinenmensch
Interview mit Matthias Burchardt über den
digitalen Angriff auf die Schulen, asoziale
soziale Netzwerke und eine fremdgesteuerte Kultur. Außerdem: Gegen den Hass.
Irmela Mensah-Schramm entfernt seit
mehr als 30 Jahren rechte Propaganda.
Reportage von Carmela Negrete
n Fortsetzung auf Seite zwei
ACHT SEITEN EXTRA
GEGRÜNDET 1947 · SA./SO., 19/20. NOVEMBER 2016 · NR. 271 · 1,90 EURO (DE), 2,10 EURO (AT), 2,50 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT
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2
3
7
Kolumbien: FARC-Guerilleros sterben
bei einem Angriff des Militärs.
Von André Scheer
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1947 · DONNERSTAG,
»Spalten, kontrollieren
und schwächen«. Wie die
New Yorker Polizei
zusammen mit
dem FBI jahrzehntelang politisch
missliebige Organisationen systematisch
bespitzelte und
infiltrierte. Mit
Konsequenzen
bis in
die Gegenwart.
Von Jürgen Heiser
PICTURE ALLIANCE
GEGRÜNDET
28. JULI 2016
Staatsnah
Amadeu-Antonio-Stiftung
4
an Zusammenarbeit weist Kritik
Verfassungsschutz mit dem
zurück
· NR. 174 · 1,50
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Automatische
5
Züge, mehr
Gewinn:
Die Deutsche
Bahn will wieder
einmal richtig
modern werden
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Weinen um Obama
BEZAHLT
Hartleibig
Venezuelas
6
Opposition
will
Amtsenthebungsreferendum
gegen
Maduro noch
in diesem
Jahr
Staatsfeind Journa
list
Türkei: Nach
dem
Medienvertreter. Putschversuch verschärft
das Regime
Von Peter Schaber
N
SEITEN 12/13
WWW.JUNGEWELT.DE
Krisengebeutelt
Deutsche Bank
und Commerzbank
mit Gewinneinbußen.
Kürzungsprogramme
als Patentrezept
9
Tote nach Anschlag
in Nordsyrien
die Verfolgung
ach dem gescheiterten
missliebiger
Versuch eines Militärputsches
in
der Türkei am
15. Juli geht
die Hexenjagd
oder tatsächliche gegen angebliche
wegung »Hizmet«Anhänger der BeUS-Exil lebenden (Dienst) des im
Imams Fethullah
Gülen weiter.
Der
Erzfeind gewordenevom Partner zum
Kamischli. Bei
Prediger
einem
von Ankara
als Drahtzieher wurde
in der mehrheitlich Anschlag
dem Coup ausgemacht.
hinter
bewohnten Stadt von Kurden
Nachdem bereits Zehntausende
Kamischli im
Nordosten Syriens
Soldaten, Richter,
Staatsanwälte,
woch mindestens sind am MittPolizisten und
suspendiert
oder inhaftiert Lehrer
getötet worden. 56 Menschen
wurden,
richten sich
Etwa 160 weitere
die Maßnahmen
seien verletzt
worden. Wie
neut gegen Medienvertreter. nun erdie kurdische Nachrichtenagentur
Bereits am
Firat
berichtete, handele
Montag
rungsnahe Zeitungen hatten regieOpfern mehrheitliches sich bei den
eine Liste mit
Namen von 42
um Zivilisten.
Laut offiziellen
Journalisten
veröffentlicht, gegen
Angaben
die von der
der Selbstmordattentäter zündete
für Terrorund Organisationsdelikte
in der
Nähe von Gebäuden
zuständigen
Staatsanwaltschaft
der kurdischen Selbstverwaltung
Haftbefehle
lassen worden
erSprengstoff beladenen einen mit
waren. Am Mittwoch
wurde mitgeteilt,
Lkw. Zu
dem Anschlag
bekannte sich
here Mitarbeiter dass weitere 47 früder
»Islamische Staat«
der Tageszeitung
Zaman gesucht
(IS). Die Islamisten hatten
werden, weil
bereits
als »bewaffnete
sie der
Grenzstadt Kamischlimehrfach die
Terrororganisation«
eingestufen
attackiert.
Reporter werden
Gülen-Bewegung
Die kurdisch
in der Türkei
geführten
hören sollen.
angeschon lange
Schon im vergangenen
den USA unterstützten und von
verfolgt:
März waren
Protestaktion
»Demomay ein und
die
kratischen Kräfte
gegen Verhaftungen
nahmen ihn
Zaman-RedaktionRäumlichkeiten der Sie
Syriens« (DFS)
am 21. Juni in
mit. »Wenn
kämpfen in Nordsyrien
in der Türkei
von PolizeieinheiIstanbul
zur Abrechnung
als Journalist
ten gestürmt,
gegen den
mit der Opposition.
sind, gibt
tätig Es ist
das
IS.
offensichtlich,
verwaltung gestelltBlatt unter Zwangs- Putschen, es keine Chance, sich
(AFP/dpa/jW)
dass keineswegs in den Fokus der türkischen
vor alle Journalisten,
worden.
Festnahmen,
Behörden.
Am Dienstag
Haftstrafen zu
nach denen gefahndet Mehr als ein Dutzend
retten«, hatte
wurde die früher
wird,
ihrer Journalisten
Mumay noch
die Sabah tätige
wurden inhaftiert,
für ne Woche
vergange- haben Gülen-Sympathisanten sind.
Bundesländer
Nazli Ilicak während
in einem Gastbeitrag
So hen langjährige vielen von ihnen droetwa die ebenfalls
einer Verkehrskontrolle
haben
die Frankfurter
für
Haftstrafen
in Bodrum
Überschüsse
Allgemeine Zeitung tag verhafteten Journalistenam Diens- geblicher
festgenommen.
geschrieben.
Propaganda für wegen anDie der AKP
dischen Nachrichtenagenturender kur- Arbeiterpartei
»Gewiss ist
die verbotene
Staatschef Recep
und man den
nur, dass
Berlin. Die Lage
Kurdistans (PKK).
Tayyip Erdogan
versuchten Staatsstreich
und JINHA
DIHA
hestehende Zeitung
der
ganz
Einer
Haushalte
na- Vorwand
offensichtlich
Aufstellung der
zum Verbindungen
der Bundesländer
nimmt, um
hatte die
keine
Journalistengeteurin 2013
ist angeblich
zu dessen Gemeinde. werkschaft TGS vom
entlassen, weil Redak- ter Druck zu setzen.« Journalisten un- Selami
so gut wie seit
Anfang der Woche
Aslan, Mehmet
sie über
Jahren
einen Korruptionsskandal
zufolge befinden
Ähnlich wie
Im ersten Halbjahr nicht mehr.
sich derzeit
bei den massenhaften Esra Aydin und CeylanSiddik Damar, wiegend
berichtet
hatte, der bis
2016 erzielten
linke und kurdische 34 überin höchste Regierungs- Suspendierungen
die 16 Länder
Eraslan wurden während
insgesamt einen
Presseverkreise reichte.
treter
einer Kontrolle
bei Angehörigen und Verhaftungen kisch-syrischen
Etatüberschuss
Polizisten drangen
in der tür- oder entweder in Untersuchungshaft
anderer Berufsgrupselben Tag in
von 3,9 Milliarden
am pen nutzt
sitzen Strafen
Grenzstadt Nusaybin
die Istanbuler
Euro, wie aus
ab, gegen zahlreiche
Ankara auch
am Mittwoch
des Hürriyet-Redakteurs Wohnung se
weitere wird
gegen die Pres- kurzzeitig festgenommen.
vorgedie aus dem
legten Zahlen
ermittelt. Der
InsbesondeBülent Muniedergeschlagenen re die DIHA gerät seit
des BundesfinanzPräsident
Staatsstreich
dem Beginn der des türkischen Journalistenverbandes,
ministeriums
militärischen
entstandene
hervorgeht. In
Turan Olcayto,
Auseinandersetzungen
Situation im
den
ersten sechs Monaten
nannte die VerhaftungsSüdosten der
welle »traurig
des VorjahTürkei immer
res
und
habe
inakzeptabel«.
wieder
das Plus bei nur
Siehe Seite
0,5 Milliarden Euro gelegen.
8
Nur noch drei
Länder wiesen
bis Ende Juni
ein Defizit aus:
USA: Konvent
Nordrhein-Westfalen
der Demokratischen
mit 565 Millionen Euro,
Partei nominiert
Baden-Württemberg
uf dem Parteikongress
mit einem Minus
Exaußenministerin
der Wort. Er
Demokratischen
lionen Euro sowievon 418 Milbat um eine Abstimmung
als Kandidatin
Partei der
USA ist am
mit 402 Millionen das Saarland
per
Dienstag (Orts- Akklamation, was die de
Der Vorwurf
zeit) Hillary
Euro. Selbst
facto einstimist nicht von
mige Nominierung
Clinton zur
Bremen, das
der Hand chungen
Kandidatin
Anfang Juni
von Clinton ermög- zu weisen. Am Wochenende
für das Präsidentenamt
als erstes
lichte. Viele Anhänger
gefunden: Es
Bundesland vom
sei nicht
nominiert
worden. Die
»Stabilitätsrat«
des »demokrati- die Internetplattform Wikileaks hatte zuschließen,
schen Sozialisten«
ehemalige First
zu zusätzlichen
dass die russische ausrund gierung
verließen verärgert 20.000 E-Mails aus der
Außenministerin
»SparanstrengunLady, das
hinter dem Hackerangriff RePlenum
gen« aufgefordert
Zentrale der
Demokratischen
New York wird und Senatorin von sezentrum und versuchten, das
auf
Partei veröffentlicht. seine Partei stecke,
Pres- Aus der
schaftete einen wurde, erwirtam 8. November
des Parteitages
erklärte der
Kommunikation
gen Donald
Überschuss von
Präsident dem
ge- Die Polizei
USzu besetzen.
Trump antreten,
128 Millionen
Fernsehsender
geht die ablehnende Haltung
drängte sie ab.
Euro.
der vergangenen
der in nieren,
NBC in
Kritiker mogegenüber Sanders einem Interview. Laut
(dpa/jW)
dass die Spitze
einem Bericht
publikanischen Woche von der Re- die
der New York
der Demokraten hervor. Die Enthüllungen
Vorwahlen torpediert
Times geht inzwischen
brachten die
Partei als Kandidat
Parteiführung
bestimmt worden
auch der US-Geheimdienst
hätte. Die aus
in Bedrängnis,
dem Parteiapparat
wird herausgegeben
war.
weil sie dass
sich im internen
davon aus,
stammenden
Der bei den
die Hacker
1.862 Genossinnen von
Vorwahlkampf
soge- tral
Vorwahlen unterlegene nannten Superdelegierten
mit »hoher
neu- scheinlichkeit«
verhalten soll.
Senator von Vermont,
Genossen (Stand und
Wahrhätten sich
4.7.2016)
von Moskau
Bernard Sanders, schon auf Clintons Seite
Deborah Wasserman Die Vorsitzende tragt
ergriff zum
n www.jungewelt.de/lpg
beaufgeschlagen,
wurden – Beweise
noch bevor Sanders
Schluss der
Schultz kündigte am Sonntag
Debatte das
indes nicht vorgelegt. dafür wurden
ihren Rücktritt
nen aufgenommen überhaupt das Renan.
Der Kreml
Am Mittwoch
habe.
die Vorwürfe
hatte Barack
am Mittwoch wies
den Schuldigen
Obama
erneut
für die Veröffentli- strikt zurück.
(AFP/dpa/jW)
Siehe Seite
zum Abo:
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EPA/SANA
Unsere Prämie
Hoffnungsvoll
Peter Hacks, Heiner Müller und Hartmut Lange in den frühen 60er
Jahren. Von Ronald Weber
12
Undercover
/ ZUMA PRESS
Rassistischer Brandanschlag in Mölln
Edeka und Rewe einigen sich über die
vor 24 Jahren: Gedenkrede ist der
Aufteilung von Kaiser’s-TengelStadt zu politisch. Interview
mann. Von Gudrun Giese
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lt.de/kam
pagne
B
arack Obama kam, und allerorten wurden die Taschentücher
ausgepackt: »Bitte nicht gehen«, barmte die Berliner Boulevardzeitung B. Z. in ihrer Freitagausgabe.
Den Gipfel der Peinlichkeit erklomm
jedoch wie schon so oft die von manchen noch immer für links gehaltene taz: »Ain’t no sunshine when he’s
gone«, zitierte sie den abgewandelten
Titel eines Soulklassikers von Bill
Withers.
In der deutschen Hauptstadt hatte
Obama mit Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie den Regierungschefs
Frankreichs, Italiens, Spaniens und
Großbritanniens am Freitag über die
künftige Zusammenarbeit zwischen der
EU und den USA gesprochen. Bei dem
Gipfel ging es auch um die westlichen
Sanktionen gegen Russland. Medienberichten zufolge waren sich alle Teilnehmer darüber einig, dass diese aufrechterhalten werden sollten. Zudem
gaben sie ein Bekenntnis zur NATO ab.
Obama versuchte so, sein politisches
Vermächtnis festzuzurren. Was davon
unter Donald Trump bleiben wird, ist
allerdings offen.
Scheidender US-Präsident in Berlin: Presse und Politik
überbieten sich in Pathos. Von Drohnenangriffen und
Staatsstreichen spricht hingegen kaum jemand. Von Michael Streitberg
Nach dem Wahlsieg des Demagogen und Multimilliardärs erinnern sich
gegenwärtig viele gern an ihre Euphorie, die den ersten Wahlsieg Obamas
im Jahr 2008 begleitet hatte. Mit dem
zweifelsohne historischen Amtsantritt
des ersten schwarzen Präsidenten in der
Geschichte der USA verbanden sich damals Hoffnungen auf die Überwindung
der größten sozialen Ungerechtigkeiten.
Auch die von seinem Amtsvorgänger
George W. Bush begonnene Besatzung
des Irak versprach Obama zu beenden.
Die Ernüchterung ließ nicht lange
auf sich warten: Nachdem die meisten
US-Soldaten den Irak verlassen hatten,
stürzte sich Washington bald in den
Syrien-Krieg und rüstete die dort gegen
die Regierung kämpfenden islamistischen Banden auf – mit all den bekannten Folgen. In Honduras und Paraguay
wurden zwei Staatsstreiche gegen gewählte linke Regierungen mit großem
Wohlwollen aus Washington begleitet.
In Pakistan und anderswo ließ Obama
mit zahllosen unbemannten Drohnen
auf vermeintliche Terroristen schießen. Offizielle Zahlen der Regierung
von Anfang 2016 sprechen davon, dass
seit 2009 circa 2.500 Terroristen, aber
»nur« ungefähr 100 unschuldige Zivilisten getötet wurden, doch zeichnen
unabhängige Meldungen über »Kollateralschäden« ein anderes Bild.
Mit tatkräftiger Hilfe Frankreichs
wurde ein Krieg gegen Libyen entfesselt, dem Abertausende zum Opfer fielen und der das Land in ein bis heute
andauerndes Chaos stürzte. Nach der
barbarischen Ermordung des ehemaligen Staatschefs Muammar Al-Ghaddafi jubelte Hillary Clinton vor laufender
Kamera: »Wir kamen, wir sahen, er
starb.«
Auch die Namen Edward Snowden
und Chelsea Manning werden mit der
Präsidentschaft Obamas verbunden
bleiben. Die Exsoldatin Manning, die
die Öffentlichkeit über US-Kriegsverbrechen informierte, wird lange Jahre
im Gefängnis verbringen. Snowden,
der ehemalige Mitarbeiter des Geheimdienstes NSA, der die weltweiten Angriffe auf die Privatsphäre von Internetbenutzern publik machte, musste sich
ins russische Exil flüchten.
Auch die Hoffnung auf eine Überwindung des Rassismus wurde nicht
eingelöst: Nach unzähligen Erschießungen unbewaffneter schwarzer Amerikaner durch meist weiße Polizisten
glauben nur noch wenige an Obamas
Versprechen einer Gesellschaft, die frei
von Diskriminierung ist. Angesichts der
wüsten Ausfälle Donald Trumps mag
die Obama-Nostalgie verständlich sein.
Mit den realen Verhältnissen in den vergangenen acht Jahren hat sie dennoch
wenig zu tun.
Deutsche US-Exporte schrumpfen
Warenabsatz auf größtem Auslandsmarkt sinkt um mehr als sechs Prozent
D
en deutschen Exporteuren
drohen erstmals seit der Finanzkrise 2009 Einbußen
im US-Geschäft. Von Januar bis September fielen die Ausfuhren zu ihrem
weltweit wichtigsten Kunden um 6,3
Prozent auf knapp 80 Milliarden Euro, wie aus Daten des Statistischen
Bundesamtes hervorgeht. »Im gesamten Jahr 2016 dürfte es sogar zu einem
Rückgang von etwa sieben Prozent
kommen«, sagte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und
Handelskammertages (DIHK), Volker
Treier, am Freitag. »Das ist ein gehöri-
ger Dämpfer auf unserem wichtigsten
Exportmarkt.« Zum Vergleich: Die gesamten Exporte wuchsen in den ersten
neun Monaten um rund ein Prozent.
2015 waren die Lieferungen in die
weltgrößte Volkswirtschaft noch um 19
Prozent auf rund 114 Milliarden Euro
nach oben geschnellt, womit die USA
nach Jahrzehnten Frankreich als wichtigsten Kunden ablösten. »Drei Viertel
dieses Zuwachses gingen allerdings
auf die kräftige Euro-Abwertung zurück«, sagte Treier. Mit diesem Effekt
sei es nun vorbei, da der Euro-Kurs
weitgehend stabil geblieben sei.
US-Unternehmen investieren in
diesem Jahr weniger in Ausrüstungen
wie Maschinen und Fahrzeuge. Im
ersten Quartal brachen ihre Ausgaben um 9,5 Prozent ein, im Frühjahr
und Sommer gingen sie um jeweils
knapp drei Prozent nach unten. Im
Gesamtjahr 2015 hatten die Unternehmen noch 3,5 Prozent mehr Geld
für Investitionen lockergemacht. Die
US-Unternehmen leihen sich auch
weniger Geld dafür. Kredite und Leasingverträge schrumpften in den ersten neun Monaten um vier Prozent,
ermittelte der US-Branchenverband
Equipment Leasing and Finance Association. Mit dem VW-Abgasskandal
dürften die sinkenden Exporte nichts
zu tun haben. Wie das Landesamt für
Statistik Niedersachsen am Donnerstag berichtete, sind die Exporte des
Bundeslandes in die USA zwischen
Januar und September um 9,2 Prozent
(4,1 Milliarden Euro) im Vergleich
zum Vorjahreszeitraum gestiegen.
Der größte Posten war im Vorjahr mit
1,6 Milliarden Euro auf Automobile,
Fahrgestelle, Motoren und Kfz-Teile
entfallen.
(dpa/Reuters/jW)
RALF HIRSCHBERGER/ZENTRALBILD/DPA-BILDFUNK
Berlin-Tegel am Freitag:
Die US-amerikanische Regierungsmaschine Air Force One kurz vor
dem Rückflug
Slowenien schreibt Recht
auf Trinkwasser fest
Ljubljana. Als erstes EU-Land hat
Slowenien dem Recht auf Trinkwasser Verfassungsrang gegeben. Die
Abgeordneten des Parlaments in
Ljubljana votierten am Donnerstag
einstimmig für den Zusatz zur Verfassung, wonach »jeder das Recht
auf Trinkwasser« hat. Die Versorgung mit Wasser muss dabei vom
Staat »direkt« und »nicht kommerziell« gewährleistet werden. In der
slowenischen Zeitung Delo wurde
die Entscheidung des Parlaments als
»deutlicher Akt eines souveränen
Landes gegen den Hunger multinationaler Konzerne« begrüßt. Die
Versorgung mit Trinkwasser sei ein
Menschenrecht »und keine Ware«,
heißt es in einem Kommentar des
Blattes. Bislang hatten erst 15 Länder
weltweit das Recht auf Trinkwasser
in den Verfassungsrang gehoben.
(AFP/jW)
Schon jetzt mehr
Abschiebungen als 2015
Berlin. In den ersten zehn Monaten
dieses Jahr haben die Bundesländer
mehr Ausländer abgeschoben als
im gesamten Jahr 2015. Wie das
Bundesinnenministerium am Freitag
auf Anfrage mitteilte, gab es von Anfang Januar bis Ende Oktober bundesweit 21.789 Abschiebungen. 2015
hatten 20.888 Menschen Deutschland auf diese Weise verlassen
müssen. Die meisten Abschiebungen
erfolgten aus Nordrhein-Westfalen
(4.220), Baden-Württemberg (3.099)
und Bayern (2.892). In diesen Bundesländern leben viele Asylbewerber, deren Verteilung sich nach den
Steuereinnahmen der Länder und
ihrer Bevölkerungszahl richtet. Die
Abgeschobenen kamen den Angaben zufolge vorwiegend aus den
Balkanstaaten. Die Albaner stellten
mit 5.343 die größte Gruppe unter
den abgelehnten Asylbewerbern, die
zwischen Anfang Januar und Ende
Oktober gehen mussten. Aus dem
Kosovo wurden 4.338 Menschen
abgeschoben.
(dpa/jW)
wird herausgegeben von
1.916 Genossinnen und
Genossen (Stand 17.11.2016)
n www.jungewelt.de/lpg