Benehmen» als Pflichtfach? - Debatte über eine lebensnahe Schule

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161st Year – No. 23589928 • Sunday, May 17 – Saturday, May 23, 2015
Kirche auf
Rädern: Wenn der
Pfarrer mit dem
Altar anrollt
Masern-Impfung
schützt indirekt
auch vor anderen
Krankheiten
Seite 3
NACHRICHTEN - Kompakt
Seite 11
Fußball
Seiten
7&8
Männerwallfahrt im Eichsfeld
Frauen arbeiten etwas mehr als Männer aber viel häufiger unbezahlt
Wiesbaden (dpa). Frauen in Deutschland arbeiten
etwas mehr als Männer, allerdings viel häufiger unbezahlt. Rund 45,5 Stunden ist eine Frau im Durchschnitt
mit Familienbetreuung, Haushalt, Job und Ehrenamt
in der Woche beschäftigt, eine Stunde mehr als ein
durchschnittlicher Mann. «Dabei leisten Frauen zwei
Drittel ihrer Arbeit unbezahlt, Männer weniger als die
Hälfte», teilte das Statistische Bundesamt mit.
Kampf gegen Schleuser: Kritik aus
Berlin, Entschlossenheit in Brüssel
Brüssel (dpa). Die EU treibt trotz Bedenken aus der
Bundesregierung die Vorbereitungen für Militäreinsätze
gegen kriminelle Schleuserbanden voran. Möglicherweise könnten die geplanten Marineoperationen vor
der libyschen Küste bereits in den nächsten Wochen
beginnen, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica
Mogherini zum Auftakt eines Treffen der Außen- und
Verteidigungsminister. Verteidigungsministerin Ursula
von der Leyen äußerte sich zu Beginn der Beratungen
nicht zur deutschen Position. Entwicklungsminister
Gerd Müller hatte sich zuvor gegen Militäreinsätze
ausgesprochen.
Warnstreiks bei der Post gehen weiter
Berlin (dpa). Vor der nächsten Verhandlungsrunde im
Tarifkonflikt bei der Post hat die Gewerkschaft Verdi
ihren Forderungen mit weiteren Warnstreiks Nachdruck
verliehen. Bundesweit rechne die Gewerkschaft mit
rund 5000 Streikenden, sagte ein Gewerkschaftssprecher. Der Schwerpunkt des Ausstandes lag im Bereich
der Brief- und Paketzustellung. Betroffen waren unter
anderem Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg, Bremen und Niedersachsen.
GDL kündigt weiteren Streik bei
der Deutschen Bahn an
Berlin (dpa). Nach erneut gescheiterten Verhandlungen am Wochenende hat die Lokführergewerkschaft
GDL einen weiteren Streik bei der Deutschen Bahn
angekündigt. Nähere Einzelheiten dazu sollten am
Nachmittag in Berlin bekanntgegeben werden, wie die
Gewerkschaft mitteilte. Damit müssen sich Bahnkunden auf einen weiteren, mittlerweile neunten Streik der
Lokführer einrichten. Vertrauliche Gespräche zwischen
der Gewerkschaft und dem Unternehmen waren am
Samstagabend in Berlin ohne Annäherung beendet
worden. Erst am 10. Mai war ein fast sechstägiger
Ausstand zu Ende gegangen.
Rentner stirbt bei Schießerei
mit der Polizei
Rodgau (dpa) - Ein Rentner ist bei einem Feuergefecht mit Polizisten im hessischen Rodgau ums Leben
gekommen. Der 74-Jährige starb heute vor seinem
Haus in der Kleinstadt. Der Rentner habe zuerst auf
die Einsatzkräfte geschossen, um seine Einweisung
in eine Klinik zu verhindern, teilte das LKA Wiesbaden
mit. SEK-Beamte schossen zurück und verletzten den
Mann tödlich. Das SEK kam morgens zum Reihenhaus,
weil die Polizei mit Schwierigkeiten bei dem Einsatz
gerechnet hatte. Der Mann hatte einen Waffenschein
und drohte mit Eskalation.
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Mit einem Pferdegespann kommen Gläubige am 14.05.2015 vom Gottesdienst an der Kirche Klüschen Hagis
bei Wachstedt (Thüringen). Mit der Männerwallfahrt feiern Thüringens Christen an diesem Tag Christi Himmelfahrt. Foto: dpa
«Benehmen» als Pflichtfach? - Debatte
über eine lebensnahe Schule
Schüler lernen
«zu viel unnützes
Zeug» - und «Benehmen» sollte ein
Unterrichtsfach
werden: Dieser
Meinung ist laut
Umfrage eine
klare Mehrheit der
Bürger in Deutschland. Auch Politik,
Wissenschaft und
Wirtschaft diskutieren zunehmend
über lebensnähere
Lerninhalte.
Von Werner Herpell
Berlin (dpa) - «Benehmen»
als Schulfach, am besten
gar verpflichtend? Das hört
sich zunächst nach konservativem Tugendwahn
an - aber drei von vier
Bürgern in Deutschland
(75 Prozent) sind nach einer neuen Umfrage dafür.
51 Prozent meinen, dass
Benimm-Kurse an Schulen
Pflicht sein müssten, für 24
Prozent immerhin Wahlfach. Ein obligatorisches
Unterrichtsfach «Benehmen» läge den Befragten
damit mehr am Herzen als
«Wirtschaft» (48 Prozent),
«Gesundheitskunde» (42),
«Suchtprävention» (39)
oder «Computerprogrammierung» (35).
Die Befragung des Institutes YouGov unter
1330 Bürgern zeigt auch
(weniger überraschend),
dass älteren Menschen die
Unterweisung in korrekten
Umgangsformen viel wichtiger ist als jungen. Insgesamt spiegelt die Umfrage
zu bereits existierenden,
aber eher seltenen und zu
möglichen neuen Fächern
ein verbreitetes Unbehagen
mit den Lerninhalten an
deutschen Schulen anno
2015 wider.
Denn zwei von drei
Befragten (68 Prozent)
stimmen «voll und ganz»
oder «eher» der Ansicht zu,
dass Schüler «zu viel unnützes Zeug» lernen. Lehrer
sollten auch Computer- und
Wirtschaftskenntnisse (je
91 Prozent Zustimmung)
und Gesundheit (89) als
Pflicht- oder Wahlfächer
unterrichten. Selbst Schönschrift fände noch jeder
Zweite gut als Pflicht- (17
Prozent) oder Wahlfach
(37). Nicht nur Lehrern
stellt sich da die Frage: Was
soll Schule denn noch alles
leisten?
So einiges vom Wunschzettel der Bürger - freilich
nicht «Benehmen» - empfiehlt die Kultusministerkonferenz (KMK) der 16
Bundesländer schon länger
als «fächerübergreifende
Inhalte» für den Unterricht.
Das betreffe «vor allem
Fragen der politischen und
wirtschaftlichen Bildung
im weitesten Sinne» und sei
«in der Regel Gegenstand
mehrerer Unterrichtsfächer» - um neue Pflichtfächer geht es also hier noch
nicht. «Wirtschaftliche
Bildung» oder «Verbraucherbildung» etwa soll
laut KMK stärker in den
Lehrplänen der Schulen
verankert werden. Länder
wie Schleswig-Holstein
oder Bayern sind bereits
vorangegangen.
Sehr plakativ - für manche auch platt - hatte vor
wenigen Wochen die Kölner Schülerin Naina (17)
ihren Ärger über heutige
Lerninhalte per Twitter
verbreitet und ein RiesenEcho erzeugt. «Ich bin fast
18 und hab keine Ahnung
von Steuern und Miete oder
Versicherungen. Aber ich
kann ‘ne Gedichtsanalyse
schreiben. In 4 Sprachen»:
Damit fand Naina - neben
Spott und Kritik im Netz auch Gehör in der Politik.
«Ich bin dafür, in der
Schule stärker Alltagsfähigkeiten zu vermitteln»,
stimmte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) im Grundsatz
zu, fügte jedoch hinzu:
«Es bleibt aber wichtig,
Gedichte zu lernen und
zu interpretieren.» Und
die nordrhein-westfälische
Schulministerin Sylvia
Löhrmann (Grüne) wies
im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur nicht
nur auf die weiterhin erforderliche Verantwortlichkeit der Eltern für
bestimmte «Alltagsfähigkeiten» hin, sondern warnte
auch indirekt vor einer
Überdehnung der Lehrpläne: «Wie schaffen wir das,
ohne dass wir ständig von
oben draufsatteln?»
Die Wissenschaft nimmt
sich des Themas ebenfalls
an. So sollten nach Ansicht
des hochkarätig besetzten
Aktionsrats Bildung die
Schulen in Deutschland
mehr Wert auf Persönlichkeitsentwicklung legen.
Lehr- und Lernprozesse
dürften sich nicht nur
auf Wissensvermittlung
beschränken, heißt es in
einem neuen Gutachten
des Gremiums um die
Bildungsforscher Dieter
Lenzen und Wilfried Bos.
Wichtig sei «mehrdimensionale Bildung», um Schüler
«bei der Entwicklung einer
verhaltenssicheren und lebensfähigen Persönlichkeit
zu unterstützen».
«Bildung ist mehr als
Fachwissen. Überfachliche
Kompetenzen müssen stärker als heute in den Lehrplänen verankert werden»,
sagte der Präsident der Vereinigung der bayerischen
Wirtschaft (vbw), Alfred
Gaffal, zu dem Gutachten.
«Nicht nur Mathematik,
Deutsch und Englisch sind
relevant. Eine gesunde Charakterbildung ist genauso
wichtig.» Das war natürlich
nicht gleich als Plädoyer für
ein Pflichtfach «Benehmen»
oder als Zustimmung zu
Nainas Frust-Thesen zu
verstehen. Aber gegen mehr
schulische Unterweisung in
den bürgerlichen Tugenden
oder lebensnahem Wissen
hätte die Wirtschaft wohl
auch nichts.