SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 01.07.1694 Philipp Christoph Graf von Königsmarck verschwindet spurlos Von Xaver Frühbeis Sendung: 01.07.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: Ihr war so unglaublich langweilig. Mit sechzehn hatte sie geheiratet: ihren Cousin, den hannoverschen Kurprinzen Georg Ludwig. Es war eine politische Ehe gewesen, sie hatte ihm zwei Kinder geschenkt, darunter einen Thronfolger, und das war's dann. Er trieb sich mit seinen Mätressen rum, und sie? "Wir leben hier still", schrieb sie an eine Freundin, "kein Abenteuer passiert". Der Höhepunkt der Ausschweifungen war es, wenn sie und der Herzog von Wolfenbüttel beim Kartenspiel eine Flasche Wein leerten. Doch plötzlich kommt alles anders für Sophie Dorothea. Ein junger Offizier ist aufgetaucht: Philipp Christoph von Königsmarck. Sie kennen einander, seit ihrer Kindheit, er ist Page gewesen am Hof ihres Vaters. Und jetzt ist er ganz unvermutet hier in Hannover: Oberst, in Diensten ihres Schwiegervaters. Sie stellen fest, dass sie einander noch immer sympathisch sind. Und schließlich, aus dem Feldlager, dieser Liebesbrief. Zitator: "Es steht mit mir bis zum Äußersten, und ich weiß kein anderes Mittel, mich zu retten, als ein Wort von Ihrer unvergleichlichen Hand." Autor: Sie schreiben sich heimliche Briefe. Treffen nur im Verborgenen. Pfeifzeichen zeigen an, daß es der Rechte ist, der im Finstern wartet. Einmal wird er fast erwischt. Eine überraschte Kammerfrau leuchtet ihm mit einer Laterne ins Gesicht, zwei Männer verfolgen ihn über Zäune und Hecken, es dauert Stunden nachts im Wald, bis er sein Pferd wiederfindet. "Es war wie im Roman", schreibt er ihr. Zitator: "Welch Entzücken habe ich in Ihren Armen erlebt. Mein Gott, was für eine Nacht habe ich verbracht." Autor: So lange es heimlich bleibt, ist so eine Affäre zwischen Offizier und Kurprinzessin kein Problem. Da sieht man als Aristokrat drüber weg. Was aber unmöglich geht, dass Sophie mit ihrem Liebsten auf und davon will. Noch dazu womöglich zu den Sachsen, wo Königsmarck eine Stellung als Generalmajor in Aussicht hat, was aber die Kurfürsten-Karriere ihres Ehemanns gefährdet. Mit einem Mal sind Sophie und ihr Graf zu einem politischen Problem geworden. Das man lösen muss. Und wenn nötig mit Gewalt. In der Nacht des 1. Juli 1694 macht sich der Graf von Königsmarck ohne Uniform und Waffe auf den Weg ins Schloss zu seiner Geliebten. Man sieht ihn hingehen, man sieht ihn nicht mehr herauskommen. In dieser Nacht verschwindet der Graf spurlos. Ein paar Tage später melden ihn seine Diener als vermisst. Der sächsische Kurfürst fragt an, wo sein General bleibt. An den Höfen Europas wird gemunkelt, die Sache gerät zur Staatsaffäre. Doch in Hannover zuckt man bloß mit den Schultern. Keiner weiß etwas, keiner will etwas sagen. Sophie Dorothea wird schuldhaft geschieden und auf ein abgelegenes Schloss verbannt, wo man sie ihr Lebtag lang gefangen hält. Ein paar Diener nur, kaum Besuch. Ihre Kinder sieht sie niemals wieder. 1 Die Frage, was in dieser Nacht mit dem Grafen von Königsmarck geschehen ist, erregt noch lange die Gemüter. Theodor Fontane schreibt ein Gedicht darüber, Schiller versucht sich an einem Trauerspiel. Viel später stöbert der Historiker Georg Schnath in den Archiven. Der Hof hat damals alle verräterischen Akten vernichten lassen. Aber Schnath entdeckt doch noch etwas. Kurz nach dem Verschwinden des Grafen hat der hannoversche Hof ein sehr bedeutendes Darlehen an einen kleinen, hoch spielverschuldeten Höfling gezahlt. Warum das? Schnath ist überzeugt, das war verschleierter Mordeslohn. In dieser Nacht hat Don Nicolo di Montalban den Grafen Königsmarck umgebracht. 2
© Copyright 2025 ExpyDoc