SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 13.10.1884: Die internationale Meridiankonferenz teilt die Weltzeitzonen ein Von Stephan Krass Sendung: 13.10.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: Jedes neue Jahr beginnt in Kiribati. In diesem pazifischen Inselstaat springen in der Silvesternacht die Uhren zuerst auf die Ziffer zwölf, um den Anbruch des neuen Jahres zu verkünden. Die geographische Lage von Kiribati am Rande der Datumsgrenze, die den Pazifik wie eine Erdachse von Nord nach Süd durchschneidet, bringt die kleine Insel in diese exklusive Situation. Wer Spaß an paradoxen Formulierungen hat, könnte also sagen: auf diesem ozeanischen Inselflecken fängt die Zeit an. Dabei ist es gerade etwas mehr als hundert Jahre her, dass die Welt in ein unentwirrbares Geflecht verschiedener Zeitzonen aufgeteilt war. Wer etwa in den USA mit der transkontinentalen Eisenbahn reiste, musste zwischen Ost und West 71 mal seine Uhr umstellen. Auch der Zug-Passagier, der am Bodensee unterwegs war, unternahm eine kleine Reise durch die Zeit. Beim Grenzübertritt vom schweizerischen Kreuzlingen ins badische Konstanz, musste er die Uhr um vier Minuten vorstellen, weil in der Schweiz die Berner Zeit galt, in Baden dagegen gab Karlsruhe das Zeitmaß an. Fuhr er weiter nach Friedrichshafen, ging seine Uhr wieder nach, weil dort die Stuttgarter Zeit galt, die drei Minuten Differenz auf die Karlsruher Zeit aufwies. Begab er sich weiter nach Lindau, befand sich unser Passagier in der Zeitzone von München, in der neun Minuten Vorsprung auf Stuttgart gemessen wurden. Wenige Kilometer weiter, im österreichischen Bregenz, war schließlich die kakanische Zeit verbindlich, die sich an Prag orientierte und 16 Minuten voraus war. Rechnet man zurück, ergibt sich auf die Berner Zeit eine Differenz von 32 Minuten. So nimmt es nicht wunder, dass am Beginn der neuen Zeitrechnung ein verpasster Zug stand. Dieser sollte einen gewissen Sandford Fleming von einer kleinen irischen Inselstädtchen zum Hafen bringen, wo die Fähre nach England ablegte. Fleming erreichte jedoch weder Zug noch Schiff und fasste den Entschluss, an Plänen für eine vereinheitlichte Weltzeit zu arbeiten. Der gelernte Landvermesser hatte einen ausgeprägten Instinkt dafür, wie man mithilfe neuer Techniken die Erfordernisse des Alltags verbessern und erleichtern kann. So entwarf er einen Rollschuh, der mit Walzen funktionierte. In Kanada gestaltete er die erste Briefmarke des Landes, und zeichnete den ersten Plan der Stadt. Später leitete er den Bau der Eisenbahnlinie von Toronto nach Britisch Columbia und organisierte die Verlegung eines Tiefseekabels von London nach Australien. Irgendwann musste dieses Pionierdasein zwischen den Zeiten von der Notwendigkeit einer neuen Weltzeit eingeholt werden. So machte sich Fleming schließlich daran, den Globus wie eine Orange in verschiedene Zeitzonen aufzuspalten. Eine hübsche Legende verortet den Moment dieser Eingebung auf jenem irischen Kleinstadtbahnhof. Am 13. Oktober 1884 wurden Flemings Überlegungen zum Maßstab der neuen Zeitrechnung. Eine internationale Konferenz erklärte den Längengrad, der vom Nordzum Südpol genau durch das Observatorium von Greenwich bei London läuft, zum Nullmeridian. Seither wird die Erdkugel nach Osten und Westen in je 180 Längengrade aufgeteilt - und in je 12 Zeitzonen. Die Einführung der Globalzeit hat das Gesicht der Welt verändert. Das neue Zeitmaß gab den Takt vor, nach dem sich Handel, Verkehr und Kommunikation rund um den Globus entwickelten. Als Ergebnis einer einfachen Zugverspätung ist das eine respektable Leistung. 2
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