SWR2 Zeitwort

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SWR2 Zeitwort
16.09.1813:
Die Freischärlerin Eleonore Prochaska wird verwundet
Von Christiane Recht
Sendung: 16.09.2016
Redaktion: Ursula Wegener
Produktion: SWR 2016
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Autor:
Ein Potsdamer Soldatenkind muss sich auf alles verstehen, sagte der als August
Renz bei den Lützowschen Truppenkämpfen freiwillige Jäger, schlug lustig und
gekonnt die Trommel, die man eben einem toten, kleinen französischen Retap blanc
abgenommen hatte und führte die Soldaten so mutig und froh gegen den Hügel mit
den Franzosen, als ob sie das Soldat-Sein nur spielen, nicht aber den Tod vor Augen
haben müssten.
Es war der 16. September 1813, im ersten Jahr der Befreiungskriege gegen
Napoleon. Die französische Katastrophe in Russland war das Fanal für eine
nationale Erhebung in Preußen und Deutschland. Auf das leidenschaftliche Drängen
des vor Napoleon nach Russland geflohenen Freiherrn von Stein, hatte sich der Zar
endlich entschlossen, den Krieg über die Grenzen Russlands hinaus fortzusetzen.
Das zögerliche Verhalten des preußischen Königs in diesen Krieg mit einzutreten,
veranlasste den Führer des preußischen Hilfskorps, General Yorck, absolut
eigenmächtig, erst einmal einen Neutralitätsvertrag mit den Russen abzuschließen,
und nachdem von Stein die ostpreußischen Stände zusammengerufen hatte, um
eine Landwehr aufzustellen, rief endlich auch der König zum Kampf auf. Für einen
ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Untergang, führte auch der eher
zartgebaute trommelnde, lützowsche Jäger seine Soldaten gegen den belagerten
Hügel nahe dem Göhrdewald, als die Truppe von einer zweiten Kartätschen-Ladung
getroffen wurde. Und diesmal traf es den mutigen Trommler selbst. Doch im Fallen
ergriff dieser einen Rockzipfel seines neben ihm marschierenden Kameraden und rief
diesem zu „Herr Leutnant, ich bin ein Mädchen.“ Sicher kam die Mitteilung des
angeblich August Renz an seinen Leutnant für diesen überraschend, doch eine
Ausnahme war sie nicht. Die Eleonore Prochaska, Soldatenkind aus Potsdam. Als
Preußen zum Krieg rüstete, schieb Eleonore an ihren Bruder. „Schon zwei Briefe
erhielt ich von Freundinnen, welche mir vorwarfen, ich sei feige, da alles um mich
hier entschlossen ist, in diesem ehrenvollen Krieg mitzukämpfen.“ Und so versetzte
sie all ihre Habe, um sich Manneskleidung kaufen zu können, bis sie soldatische
Montierung erhalten würde. Besorgte sich Büchse und Hirschfänger für 8 Thaler und
ging unter die schwarzen Jäger. „Der Vater wird nicht böse sein“, schrieb sie weiter
an den Bruder, „denn er erzählte ja selbst von den tapferen Spanierinnen und
Tirolerinnen, wobei er meinen Entschluss bereits deutlich auf meinem Gesicht lesen
konnte. Wir exerzieren, tirilieren und schießen recht fleißig hier, woran ich sehr viel
Vergnügen habe. Ich treffe auf 150 Schritt die Scheibe. In ewiger Liebe Deine
Eleonore, genannt August Renz, freiwilliger Jäger bei den Lützowschen Freicorps im
Detachment 1. Batailon.
Das Eintreten für die Sache des Vaterlands war auch die entscheidende praktische
Auswirkung eines neuen Nationalgefühls. Was ist des Deutschen Vaterland, fragte
Ernst Moritz Arndt und wusste auch die Antwort darauf: „Soweit die deutsche Zunge
klingt und Gott im Himmel Lieder singt. Das soll es seyn. Das, wackrer Deutsche,
nenne Dein.“
Im zwanzigsten Jahrhundert führten ähnliche Gedanken das deutsche Volk in die
Katastrophe. „Was ist das Deutsche Vaterland, Wo Zorn vertilgt den wälschen Tand,
und jeder Franzmann heißet Feind,“ Mit dieser Überzeugung schritt auch Eleonore
Prochaska, genannt August Renz, im Alter von 28 Jahren, deutschem Sieg und
Heldentod entgegen.
Ihr Mut und der vieler Kameraden und Kameradinnen, geführt von taktisch
geschickten Heerführern, brachte Deutschland endlich die Freiheit. Ihr brachte es ein
Begräbnis mit militärischen Ehren und 52 Jahre später einen Gedenkstein.
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