SWR2 Zeitwort

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SWR2 Zeitwort
06.10.1889:
Drei Bergsteiger bezwingen den Kilimanjaro
Von Theo Wurm
Sendung: 06.10.2016
Redaktion: Ursula Wegener
Produktion: SWR 2016
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Autor:
Auch wenn ihn steile Felswände, Eis, Schnee und plötzliche Wetterstürze noch so
sehr abschirmen mögen - es gibt keinen Berg von Format, auf dessen Gipfel nicht
irgendwann zum ersten Mal ein Mensch seinen Fuß setzt. Er muss es hinnehmen,
dass dann einer und im Lauf der Zeit immer mehr auf ihm herumtrampeln. Zu den
Bergen, die sich von andern schon durch die Geschichte ihrer Erstbesteigung
abheben, gehört der Kilimandscharo. Wenn es wahr ist, dann ist es ihm zunächst
einmal bis zum 6.0ktober 1889 gelungen, das Schicksal aller großen Berge
aufzuhalten. Immerhin über 100 Jahre länger als der Montblanc zum Beispiel. Dafür
erhebt sich der Kilimandscharo in einsamer Größe in Ostafrika auf 5.895 Meter hoch.
Als ihn der schwäbische Missionar Johann Rebmann 1848 als erster Europäer
entdeckte, wurde er von einheimischen Dschaggas gewarnt: Der Berg sei von bösen
Geistern bewohnt, von Dschins, die würden jeden töten, der sich nähere. Die Kraft
des weißen Pulvers lasse den Körper erstarren. Nach den Erkundungen des
Missionars, musste es sich bei dem weißen Pulver um Schnee handeln. Zwei weitere
"Missionsreisen" brachten die Bestätigung.
Ein Schneeberg in unmittelbarer Nähe des Äquators- das war eine Sensation für:
die forschenden Welteroberer im Europa des 19. Jahrhunderts. Sie starten eine
Expedition nach der anderen. Die erste, 1861, schleppt, sich mühsam durch die
Hoheitsgebiete afrikanischer Häuptlinge und löst, sich dann im Dauerregen in 2.500
Meter Höhe auf. Eine zweite führt, über den Bergregenwald und den Nebelwald
hinaus auf fast 4.000 Meter Höhe in die alpine Sawanne. "Nachts schneite es tüchtig
und am anderen Morgen sahen wir Schnee zu unserer Rechten und zu unserer
Linken unter uns liegen", wird berichtet. Die Beobachtungen der Forscher lösen zwei
Dutzend Versuche aus, den Gipfel zu erreichen. Alle scheitern sie an einem Aufstieg,
der sich über 100 Kilometer hinzieht und durch fünf Klima-Zonen führt, von der
heißen Sawannenwüste bis in die abstoßende Eiswüste, die wie ein Wulst den
Höchsten der beiden Gipfel, den KIBO, umschließt. Weitere Forschungsreisen
bringen wichtige Einzelheiten über die Vegetationszonen des einsamen Bergriesen,
der von einem Vulkan mit drei Schloten an der Erdoberfläche aufgebaut worden war,
mit einem Krater an der Spitze, in dem sich diese Eistürme stapeln. Erstmals am
6.0ktober 1889 gelingt der Durchstieg durch das Eis. Um halb elf Uhr ist der Gipfel
erreicht - schneefreies Geröll. Die Männer, mit deren Namen dieses Ereignis in die
Geschichte eingeht sind der Salzburger Alpinist Ludwig Purtscheller und der
Leipziger Geograph Hans Meyer, der Enkel des Verlegers und Herausgebers von
"Meyers Konversationslexikon. Auch er war bei seiner ersten Expedition zunächst
an dem Eiswulst gescheitert. Seine zweite mit nicht weniger als 230 Mann wurde
überfallen und ausgeraubt. Gefangenschaft und Folter konnten ihn nicht abbringen,
wie er sagte: "von einem der größten Wunder Afrikas, dem Schneeberg, der den
Äquator verhöhnt". Dann, am Ende eines dritten, entsagungsvollen Anlaufs steht
Meyer als erster auf dem Kibo-Gipfel. Nicht nur mit großer wissenschaftlicher
Genauigkeit, sondern voll Ehrfurcht und Begeisterung wird er danach den
Kilimandscharo beschreiben: "Welch eine gewaltige Vereinigung von Gegensätzen!
Die riesigen Eismassen in ihrem vormals glutflüssigen Bett, und über alledem die
hehre Stille der anorganischen Natur.“
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