SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 16.07.1926 Eisensteins Film "Panzerkreuzer Potemkin" wird neu geschnitten Von Christiane Recht Sendung: 16.07.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autorin: Es ist das Jahr 1905. Russland steht im Krieg mit Japan und muss eine Niederlage befürchten. Demonstranten errichten Barrikaden. Arbeiter und Armee liefern sich Straßenkämpfe. Die Kameraeinstellung zeigt Wellen, die unentwegt an den Hafenkai schlagen. Sturm zieht auf. Der Film orientiert sich am historischen Matrosenaufstand von 1905 auf dem Panzerkreuzer Potemkin, dem damals modernsten Schiff der russischen Schwarzmeerflotte. Eine Gruppe von Matrosen weigerte sich verdorbenes Fleisch zu essen. Als die Männer hingerichtet werden sollen, meutert die ganze Mannschaft, erhebt sich gegen die Offiziere. Der Aufstand scheitert, der Anführer der Matrosen wird erschossen. Auch wenn die Revolte vom Sommer 1905 niedergeschlagen wurde, so gilt der Aufstand der Matrosen doch als Initialzündung für die spätere Oktoberrevolution. Zum 20. Jahrestag wünschte die Parteiführung in Moskau einen entsprechenden Film. Sergej Eisenstein verpflichtet den Kameramann Karl Freund und den Komponisten Edmund Meisel. Die Hafentreppe von Odessa. Aus der Masse der Menschen lösen sich einzelne Gestalten heraus, Nahaufnahmen. Ein beinamputierter Junge lässt sich die Treppe runter rollen. Eine junge Frau hält ein getötetes Kind im Arm und steigt furchtlos den blank polierten Soldatenstiefeln am oberen Treppenabsatz entgegen. Ein Kinderwagen stürzt die Treppe hinab und niemand mehr, der ihn aufhält. Die blanken Stiefel schreiten rücksichtslos über ihre Opfer hinweg. Die Kamera- und Bildmontagen sind filmästhetisch völlig neu. Sie erwecken den Eindruck vieler kleiner, naher Momentaufnahmen - Assoziationsketten. Der Bildeindruck, hergestellt mit den Mitteln amerikanischer Montagetechnik, soll die emotionale Wirkung verstärken. Die Zuschauer sollen die Gefühle der dargestellten Menschen nachempfinden. Der Filmregisseur Friedrich Murnau erklärt, dass er von der Stimmung im Kino so angesteckt wurde, dass er bereit war, zum Revolver zu greifen und sich mit den Matrosen in den Kampf zu stürzen. Im April 1926 hat der Film im Kunstfilmtheater auf dem Moskauer Arbad-Platz Premiere. Die öffentliche deutsche Erstaufführung findet Ende Juni im Apollo-Theater in der Friedrichstraße statt. Der Film wird ein Publikumsrenner. Doch seine Widersacher sind sich einig, er gehört verboten. Schließlich setzt das Land Württemberg ein Signal und lässt Potemkin Anfang Juni 1926 verbieten, setzt alle Hebel in Bewegung, das Verbot auf ganz Deutschland auszuweiten. Es bildet sich ein Ausschuss zur Verhinderung eines Potemkin-Verbots. Darin unter anderen: Albert Einstein, Leopold Jessner, Paul Löbe, Alfred Kerr, Max Liebermann, Erwin Piscator, Ernst Toller und Heinrich Zille. Trotzdem: Mitte Juli hat es die konservative Reaktion geschafft, der Film wird gegen alle Proteststürme des Ausschusses und der linksbürgerlichen Presse von der Berliner Oberprüfstelle in Deutschland verboten. Doch der Prometheus Film-Verleih will die Produktion wieder in die Kinos bringen. Am 16. Juli 1926 liegt der Film erneut auf dem Schneidetisch. Er wird vom Verleih umgearbeitet, um 100 Meter gekürzt, das heißt, die provokantesten Szenen fallen dem Schnitt zum Opfer. Ende Juli muss Panzerkreuzer Potemkin von der Oberprüfstelle frei gegeben werden. In dieser umstrittenen Fassung tritt der Film seinen Siegeszug durch die deutschen Kinos an. 1
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