SWR2 Zeitwort

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SWR2 Zeitwort
22.10.1895:
In Paris ereignt sich ein spektakulärer Lokomotiv-Unfall
Von Evi Seibert
Sendung: 22.10.2016
Redaktion: Ursula Wegener
Produktion: SWR 2016
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Autorin:
Die Zeitung L´Eclair, der Blitz, berichtete am 23. Oktober 1895, am Tag nach dem
sensationellen Unfall in großen Lettern:
„Ein Zug ist aus dem Fenster auf die Straße gefallen“
Und so sah es auch tatsächlich aus, am Gare Montparnasse, der damals noch
Westbahnhof hieß. Die Lok hing kopfüber aus der ersten Etage des Bahnhofs bis auf
den darunterliegenden Vorplatz, dahinter ragten noch ein paar Waggons aus dem
Loch in der Bahnhofs-Wand. Das Bild ging in den nächsten Tagen durch ganz
Frankreich und die Welt.
Hunderte Menschen waren zum Zeitpunkt des Unfalls, um vier Uhr nachmittags, im
Bahnhof. Die Zeit konnte deshalb so genau festgelegt werden, weil alle Uhren im
Bahnhof durch die Erschütterung stehengeblieben waren.
Guillaume Marie Pellerin war der Zugführer, ein Mann mit fast zwei Jahrzehnten
Berufserfahrung. Er bestieg an diesem 22. Oktober, in Granville in der Normandie
seinen Zug.
Zugatmo, Dampflok, Archimedes
Autorin:
Sein Convoi bestand aus zwei Waggons mit Gepäck und einem mit Post direkt hinter
seiner Lok- anschließend acht Wagen mit Passagieren und ganz am Schluss noch
mal Gepäck.
„Lokführer Pellerin war pünktlich um 8:45 gestartet. Auf der Strecke bekam der Zug
aber immer mehr Verspätung. Die geplante Ankunftszeit um 11.55 in Paris konnte er
nicht mehr schaffen“,
schrieb die Eisenbahngesellschaft später in einem Communiqué. Bis auf die letzten
Meter versuchte Pellerin noch Zeit wettzumachen. Deshalb überschritt er auch die
Geschwindigkeitsbeschränkung, als er auf den Pariser Ziel-Bahnhof zurollte. Er
vertraute auf die neue Westinghouse-Bremse. Eine in Amerika entwickelte
Druckluftbremse, die den Zug rechtzeitig stoppen sollte. Die versagte aber. Was
dann passierte, ist immer wieder in Büchern und Filme aufgegriffen worden, zuletzt
im Hollywood Film „Hugo Cabret“,
Ungebremst rast die Lok auf den Bahnsteig zu, der Lokführer schreit, dass die
Bremsen nicht funktionieren, der zweite Zugbegleiter Albert Mariette ist abgelenkt
und merkt erst zu spät, dass etwas nicht stimmt. Als er schließlich die zweite Bremse
betätigt, ist die Lok schon entgleist und schlittert durch die Bahnhofsvorhalle. Mitsamt
der Gepäckwaggons rast sie auf die gegenüberliegende Mauer zu, und durchbricht
sie - neun Meter tief fällt sie auf die Straße. Sie verfehlt nur knapp die vollbesetzte
Straßenbahn.
Wie durch ein Wunder konnte der zweite Zugbegleiter im Bahnhof die Wagen mit den
131 Passagieren noch stoppen. Fünf Menschen im Zug wurden schwer verletzt,
darunter die beiden Lokführer. Ein einziger Mensch kam bei dem Unfall ums Leben:
Eine Frau am Zeitungskiosk. Aber nicht, weil der Zug sie überfahren hätte - nein, ihr
fiel ein Stück Bahnhofsmauer auf den Kopf. Ihr Mann erzählte später der Zeitung``le
petit Parisien":
"Sie war sofort tot. Sie saß auf den Stufen des Kiosks und strickte. Nun stehe ich hier
allein, mit meinen beiden kleinen Jungen."
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Die Bahngesellschaft übernahm die Kosten ihrer Beerdigung und zahlte den beiden
Waisen eine Pension. Die Lokomotive hing noch einige Tage aus dem Bahnhof
heraus und wurde zu dem Attraktionspunkt in Paris:
"Von morgens bis abends gab es eine Prozession - die Leute kauften sich Zugkarten
nur um in den Bahnhof gelassen zu werden. Dann blieben sie so lange es ging an
den Postwaggons stehen, die noch aus dem Fenster hingen - und stiegen
anschließend wieder auf den Bahnhofsvorplatz herunter - ohne einen Zug
genommen zu haben"
Die Lokomotive überstand den sensationellen Unfall fast intakt. Die beiden Zugführer
kamen vor Gericht und wurden verurteilt.
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